Politik und Wirtschaft noch nicht unterwegs Richtung Atomausstieg und Energiewende

Der Weg zu einer nuklear- und fossil-freien Energieversorgung dürfte noch beschwerlicher werden: mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen „Energiestrategie 2050“ wird einmal mehr auf eine ernsthafte nationale Energie- und Klimaschutzpolitik verzichtet! Statt „More of the same“ und Kultivierung liebgewordener Vorurteile sind erhebliche und dringliche Nachbesserungen erforderlich, etwa das Vorziehen einer stark lenkenden Energieabgabe.

Vorbemerkung 1: Ich verzichte auf eine Darstellung der Inhalte dieser dürftigen „Energiestrategie 2050“. Ich verweise dazu auf einen Infosperber-Beitrag von Hanspeter Guggenbühl.

Vorbemerkung 2: Ich verweise einmal mehr auf mein Einfach-Szenario Nach-nuklear und nach-fossil: heute beginnen – es führt nichts am Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft vorbei! Bei der Umsetzung dieses Szenarios sind weder Technik noch Ökonomie limitierend, sondern einzig die Politik und die „Köpfe“ der BewohnerInnen dieses Landes. Wer anderes behauptet, ist Teil des Problems und trägt nichts zur Lösung bei.

Es gibt in diesem Land einige Elemente, die energiepolitikverhindernd wirken:

  • Energiepolitik wird auf Stromversorgungspolitik reduziert – den Beleg liefert die $VP: in der Medienmitteilung der $VP zur Energiestrategie 2050 wird auf ein Positionspapier der SVP zur Energiepolitik verwiesen – dieses trägt allerdings den Titel „Für eine sichere und bezahlbare Stromversorgung„.
  • In der auf den Strom beschränkten Sicht der Energiepolitik wird nochmals enger fokussiert, nämlich auf die Atomenergie respektive auf potentielle Ersatzmöglichkeiten. Der Strom hatte 2011 gemäss Energiestatistik des Bundes einen Anteil von etwa einem Viertel an der Endenergiebilanz der Schweiz, daran hat die Atomenergie einen Anteil von leicht über 40 Prozent – das, was in der Schweiz als Energiepolitik bezeichnet wird, kümmert sich also um etwa zehn Prozent der Energierealität! Bundesrätin Doris Leuthard hat gesagt, dass sie weiterhin für die Nutzung der Atomenergie ist, derzeit aber neue AKWs als nicht mehrheitsfähig erachtet. Ganz klar: vom Atom-Ausstieg hält Frau Leuthard nichts, sie macht Staubwedel-Energiepolitik, um die Sachzwänge zu schaffen, um neue AKWs zu erzwingen.
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  • Weil der Gebäudebereich gemäss Bundesverfassung in der Hoheit der Kantone liegt, prägt die Einfamilienhaus-Sicht der Mehrheit der EnergiedirektorInnen diesen zentralen Handlungsbereich. Da Neubauten bereits heute deutlich weniger Energie pro Quadratmeter verbrauchen als bestehende Bauten, bringt eine Verschärfung der Energiegesetzgebung für Neubauten durchaus Fortschritte, angesichts des geringen Anteils allerdings eher marginale. Es führt nichts daran vorbei – es braucht klare Vorgaben an die energetische Qualität von bestehenden Bauten.
  • Aus Energiesicht geradezu tabuisiert ist der Verkehr – die Fixierung auf das Auto sowohl der Politik als auch der einzelnen Menschen lässt eine Diskussion über nachhaltigen Verkehr kaum zu. Nicht nur wegen der Lärmthematik ist auch der Flugverkehr in die energiepolitischen Überlegungen einzubeziehen.
  • Die Energiepreise lügen fundamental. Die Versicherung der möglichen AKW-Unfall-Kosten, die AKW-Stilllegungskosten und die „Endlager“-Kosten werden in diesem Land bloss symbolisch behandelt, was zu einer enormen Subventionierung der Atomenergie führt. Damit dies so bleiben kann, gibt es zur Besänftigung des rot-grünen Parteienspektrums auch Subventionen für erneuerbare Energien. Und dies, obwohl klar ist, dass Subventionen noch nie zur Problemlösung beigetragen haben, sondern die Probleme eher verschärfen!

Die Bundesverfassung gibt in Art. 73 vor, dass eine nachhaltige Entwicklung anzustreben ist. Nachhaltigkeit stützt sich auf die Elemente Suffizienz, Effizienz und Konsistenz. Da die Energiestrategie 2050 bloss bescheidene Elemente zur Konsistenz, nur dürftige Effizienzbeiträge und keine Suffizienz-Aspekte umfasst, ist erheblicher Nachbesserungsbedarf ausgewiesen.

Die Energiestrategie 2050 des Bundesrates zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie im Wesentlichen das weiterführt und punktuell verstärkt, was bis anhin schon gemacht wurde – „more of the same“ also. Die Verpflichtungen der Energieversorgungsunternehmen auf Effizienzsteigerungen und die Pflicht zum „Eigenkonsum“ von dezentral erzeugtem Strom aus erneuerbarem Strom sind altbekannt und müssten schon lange eingeführt sein. Die Reduktion der Rechtsstaatlichkeit durch eine Verminderung der Verfahrensschritte ist schlichter Unsinn und steht gegen das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung (wenn hier Veränderungen angezeigt ist, geht es um die Sicherstellung von kürzeren Verfahrensdauern; dies betrifft vor allem die Gerichte, die personell auszubauen sind). Es ist klar festzuhalten: es gibt keinen Grund, Aspekte der Energieversorgung höher zu gewichten als etwa Natur- und Gewässerschutz; die bestehenden gesetzlichen Vorgaben in diesen Bereichen leisten ebenfalls Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung. Es ist zudem nicht auszuschliessen, dass hier Verfahrensschritte ausprobiert werden sollen, um zu einem späteren Zeitpunkt neue Atomkraftwerke oder Atommülllager ausserhalb der demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmenordnung durchzusetzen.

Dringlich: stark lenkende, vollständig an Haushalte und Wirtschaft rückerstattete Energieabgabe

Wenn heute bereits klar ist, dass die „Stufe 1“ der Energiestrategie 2050 nicht ausreicht, gibt es schlicht keinen Grund, die Einführung einer stark lenkenden, vollständig an Haushalte und Wirtschaft rückerstatteten Energieabgabe auf die Zeit nach 2020 hinauszuschieben. Es wurde in den letzten 20, 30 Jahren derart viel an diesem Instrument herumgedacht, dass eine entscheidungsreife Vorlage sehr schnell erstellt werden kann. Die grösste Schwierigkeit liegt in den Köpfen der PolitikerInnen, weil Energieabgaben mit „teureren Energiepreisen“ verknüpft werden – statt mit der Motivation „wer die energetischen und klimaschützerischen Hausaufgaben gemacht hat, profitiert von der Energieabgabe. Zudem zeigt die Teilzweckbindung der CO2-Abgabe für das unzweckmässige Gebäudeprogramm, dass bis anhin die Lenkungswirkung solcher Instrumente vorsätzlich abgeschwächt wurde.

Zur Unterstützung der Energieabgabe und gleichzeitig zum Einbezug der Suffizienz könnte beispielsweise eine Wohnflächenabgabe, ebenfalls vollständig rückerstattet, dienen – auch weitere Lenkungsabgaben sind denkbar.

Dringlich: klare energiepolitische Vorgaben an Haushalte und Wirtschaft

Seit der Erdölpreiskrise, seit Tschernobyl, seit Rio, seit Fukushima wird ohne grössere Eindringlichkeit an die Freiwilligkeit der Einwohnenden appelliert. Es ist klar, dass Freiwilligkeit eine begrenzte, wahrscheinlich sogar eine sehr begrenzte Reichweite hat. Angesichts vieler weiterer Herausforderungen können die angestrebten Ziele ausschliesslich mit freiwilligen Massnahmen nicht erreicht werden. Es braucht endlich ein Sanierungsobligatorium für bestehende Gebäude – wenn die Kantone nicht endlich handeln, muss der Bund gestützt auf Art. 89 der Bundesverfassung aktiv werden. Und es braucht klare Vorgaben insbesondere für den Autoverkehr – die bisherigen Bemühungen zur Treibstoffreduktion sind arg bescheiden.

Der Weg in eine nuklear- und fossil-freie Energieversorgung ist nur zu schaffen mit einer „Energiepolitik von unten“ – auch dazu braucht es klare Vorgaben!

Dringlich: weg von der Subventionitis im Energiebereich!

Mittel- bis längerfristig muss bei allen Gebäuden der Energieverbrauch deutlich vermindert werden, sind Wärme- und Stromversorgung auf erneuerbare, nachhaltig nutzbare Energieträger umzustellen, braucht es eine massive Energie-Effizienzsteigerung und Entkarbonisierung bei allen Verkehrsträgern. Das heisst: es sind alle BewohnerInnen dieses Landes betroffen, es handelt sich um viele Lebensbereiche. Somit stellen Subventionen „an alle“ ein betriebswirtschaftliches Nullsummenspiel dar (als Hinweis: Energieabgaben sind ein volkswirtschaftliches Nullsummenspiel, die Energieträger werden netto nicht teurer, mit der scheinbaren Preiserhöhung bei spezifisch hohem Verbrauch und als Gegenstück virtuell tieferen Energiepreisen bei tiefem spezifischem Energieverbrauch werden den AkteurInnen klare Signale vermittelt). Subventionen aller Art – von der öffentlichen Versicherung für AKW-Umfälle bis zur kostendeckenden Einspeisevergütung KEV sind ersatzlos zu streichen. Neben den klaren Vorgaben, die den Energieverbrauch betreffen, braucht es zusätzlich ein Quotenmodell für die Steuerung des Energieträgermixes bei der Stromversorgung (entgegen den Behauptungen der KEV-Fans gibt es neben dem abschreckenden Beispiel aus Grossbritannien sehr wohl funktionierende Modelle, auch hier unterstützend allenfalls mit Lenkungsabgaben.

Auch wieder mit Blick auf die Energiepolitik von unten: es braucht auch eine klare Vorgabe, dass jede auf und an Gebäuden gut bis sehr gut zur Nutzung der Sonnenenergie geeignete Fläche zu verwenden ist – und dass ein möglichst grosser Teil der so produzierten Energie im Gebäude selbst zu verbrauchen ist, allenfalls mit Zwischenspeicherung.

Dringlich: überlegtes Handeln angesichts der Dringlichkeit von Energiewende und Atomausstieg

Energiewende und Atomausstieg müssen als dringlich erachtet werden – es braucht eine „Anbauschlacht“ auf dem Weg zu einer nicht-nuklearen und nicht-fossilen Energieversorgung (ich habe leider immer noch keinen besseren Begriff anstelle von „Anbauschlacht“ gefunden). Es gibt ausreichend Gründe, schnell zu handeln – die Abschwächung des Mensch gemachten Klimawandels ist nur ein Aspekt, die Endlichkeit fossiler und nuklearer Ressourcen gehört auch dazu, ebenso lokale ökologische und betriebs-/volkswirtschaftliche Nutzen. Der Atomausstieg ist zeitlich klar zu fixieren – die Atomausstiegsinitiative der Grünen mit dem Endtermin ist zwar auch zögerlich, aber immerhin besser als das Atomenergie-Ausfranseln der bundesrätlichen Energiestrategie 2050.

Fazit: Die Energiestrategie 2050 des Bundesrates führt nicht Richtung Atomausstieg und Energiewende – es braucht erhebliche Nachbesserungen für eine glaubwürdige Energie- und Klimaschutzpolitik!