Nachhaltigkeit baut auf den drei Säulen Suffizienz, Effizienz und Konistenz auf. Der Stadtrat von Zürich hat im Beschluss zum Masterplan Energie 2012 festgehalten: Bei der Umsetzung der städtischen Energiepolitik wird eine klare Prioritätenfolge festgelegt. An erster Stelle steht als neues Handlungsfeld das Thema Suffizienz, die Reduktion der Nachfrage nach energierelevanten Gütern und Dienstleistungen – gefolgt von den schon im Masterplan 2008 verfolgten Zielen «Effiziente Energienutzung» und «Zielkonforme Energieträgerwahl» (Energie aus Abfall, Abwärme und erneuerbaren Ressourcen). Der Regierungsrat des Kantons Zürich musste sich aufgrund einer Anfrage aus dem Kantonsrat ebenfalls zur Suffizienz äussern: Der Regierungsrat steht für ein möglichst freiheitliches Gesellschaftssystem ein und lehnt es grundsätzlich ab, vorsorglich Suffizienzgebote und entsprechende Verbote anzuordnen. Zwei Exekutiven mit Sitz in der gleichen Stadt, und doch könnten die Haltungen nicht unterschiedlicher sein.
Der Regierungsrat führt seinen verqueeren Gedankengang noch weiter aus: Solche [Suffizienzgebote und entsprechende Verbote] würden die Entwicklung des Kantons Zürich in einem zum heutigen Zeitpunkt kaum zu rechtfertigenden Ausmass beeinträchtigen. Auch der Kanton Zürich ist analog zur Entwicklung der Schweiz weiterhin auf nicht-nachhaltigem Kurs. Auch die ZürcherInnen und Zürcher haben (wie viele andere selbstverständlich) mit dazu beigetragen, dass am 22. August 2012, am so genannten „Earth Overshoot Day„, die Menschheit alle Ressourcen aufgebraucht hat, die die Erde einem Jahr bereit stellen kann (siehe dazu auch mein Blogbeitrag „Zornigere Grünere„). Auch hier wieder: zusammen mit anderen wohlhabenden Bewohnerinnen tragen die ZürcherInnen übermässig zu diesem deutlich übergrossen ökologischen Fussabdruck bei.
Suffizienz ist schon lange ein Thema, selbst in meinem Blog gehen die ersten Beiträge dazu auf das Jahr 2004 zurück: Wirtschaftswachstum? Nein! Suffizienz ist angesagt! Mit seiner Antwort gibt der Regierungsrat zu erkennen, dass er als einzigen gesellschaftlich relevanten Indikator das (zynische) BIP betrachtet – und damit dafür plädiert, noch mehr Verschwendung zu betrieben, so richtig auf Oekosau zu machen.
Der Hinweis auf das „freiheitliche Gesellschaftssystem“ trägt mit zu dieser zynischen Haltung des Regierungsrates bei. Freiheit hat immer Rechte und Pflichten, Freiheit muss verdient sein. Klar ist auch, dass die eigene Freiheit immer Auswirkungen hat auf die Freiheit anderer – die goldene Regel der Ethik, beispielsweise in der Formulierung des Kantschen Imperativs „tue andern nur das an, was Du bereit bist zu akzeptieren, wenn andere es Dir antun“ ist immer zu respektieren und umzusetzen. Nach wie vor ist die übermässig nicht-nachhaltige Schweiz abhängig von Atomenergie und fossilen Energieträgern – und hat noch keinen glaubwürdigen Weg zu einer nuklear- und fossilfreien Energiezukunft beschlossen, im Gegenteil. Wie bereits mehrfach gezeigt, ist etwa der gesamte Komplex Atomenergienutzung nicht mit einem demokratischen Rechtsstaat zu vereinbaren, und auch die Nutzung von fossilen Energieträgern als Brenn- und Treibstoffe ist alles andere als nachhaltig. Zur Illustration: am 30. August 2012 war zu lesen, dass im Golf von Mexiko ein „gigantisches“ Ölfeld entdeckt wurde, mit „bis zu 400 Millionen Fass Öl„. Zur Klarheit: dieses „gigantische“ Ölfeld verlängert die Reichweite der bekannten Erdölvorräte gerade mal um viereinhalb Tage – dieses Öl reicht in der Schweiz beim aktuellen Verbrauch für etwa viereinhalb Jahre. Im Übrigen: die Erdölförderung im Golf von Mexiko hat vor etwa zwei Jahren erheblich für Schlagzeilen gesorgt.
Gerade das „freiheitliche Gesellschaftssystem“ MUSS die Suffizienz fördern – weder die Abhängigkeit der Schweiz von endlichen Ressourcen noch die globalen Bedingungen zur Nutzung endlicher Ressourcen dienen der Freiheit. Auch der Kanton Zürich muss sich darauf einstellen, dass nicht mehr das BIP, sondern das globale Wohlergehen das Mass aller Dinge ist.
Bereits propagiert wurde der Lebensstil der bewussten Suffizienz: LOVOS – Lebensstil der freiwilligen Einfachheit. Mit seiner Antwort bestreitet der Regierungsrat die gesellschaftliche Legitimität dieses Lebensstils, auch wenn es sich um einen freiwilligen Lebensstil handelt, weil „freiwillig einfacher“ eine BIP-vermindernde Wirkung hat. Definitiv: die Antwort des Regierungsrat hat ein absurdes Verständnis eines freiheitlichen Gesellschaftssystems. Der Regierungsrat beabsichtigt offenbar, die Menschen zum Überfluss zu zwingen, selbst wenn diese dies nicht wollen! Einfach ein Beleg mehr dafür, dass der Zürcher Regierungsrat nicht wirklich zukunftsgerichtet ist, um es wohlwollend auszudrücken.
Als Wiederholung, Suffizienz, LOVOS als Lebensstil freiwilliger Einfachheit gehört die Zukunft, unabhängig davon, was der Zürcher Regierungsrat beabsichtigt!