Wir brauchen einen nachhaltigen Wohnungsmarkt!

Wieder einmal zwei zusammen passende Medienbeiträge: „Im Mobimo-Tower entsteht ein 600-Quadratmeter-Appartement“ und „Der traurige Sieg von Wiedikon“ über den intensivierten Liegenschaftenunterhalt entlang der Weststrasse, welcher die Wohnungen (scheinbar) für die bisherigen MieterInnen unbezahlbar macht: Zwei Spots mehr auf einen alles andere als nachhaltigen Markt, immerhin im Grundbedürfnisse-Bereich „Dach über dem Kopf“!

Gebäude, auch Wohnhäuser, sind nicht für Ewigkeit gebaut.

Relativ unbestritten ist, dass Gebäude einen regelmässigen Unterhalt brauchen, weil viele Bauteile durch den täglichen Gebrauch abgenützt werden. Die Erhaltung der Gebrauchstauglichkeit ist im Mietwohnungsbereich durch die Mietzahlungen der NutzerInnen abgedeckt.

Die Nutzungsdauer der unterschiedlichen Bauteile ist für die Schweiz in einer „Paritätischen Lebensdauertabelle“ festgehalten: die Verbände der MieterInnen und der VermieterInnen haben sich mehr oder weniger einvernehmlich darauf verständigt, wie lange üblicherweise Bauteile genutzt werden können. Fenster etwa halten je nach Qualität des Rahmenmaterials 25 bis 30 Jahre, ein Heizkessel kann 20 Jahre genutzt werden, verputzte Aussenwände sind je nach Qualität nach 25 bis 40 Jahren zu erneuern. Teppichböden sind bereit nach 8 bis 10 Jahren zu ersetzen, während Parkettböden 40 Jahre genutzt – allenfalls zwischendurch mit Auffrischung – werden können.

Wenn beispielsweise ein Fenster nach dem Ende der Nutzungsdauer ersetzt werden soll, zeigt sich ein interessanter Aspekt: ein solches Fenster kann gar nicht mehr in identischer Qualität ersetzt werden! Der bautechnische Fortschritt, die laufend verschärften energetischen Vorschriften und die Anforderungen des Lärmschutzes führen dazu, dass das neu einzubauende Fenster einen Mehrwert gegenüber dem Istzustand darstellt.

Ist ein Heizkessel zu ersetzen, ist angesichts des Karussell-Heizölpreises, den Klimaschutzaktivitäten und der Endlichkeit fossiler Ressourcen eine Umstellung des Heizungsbetriebes auf erneuerbare Energien zu prüfen. Auch damit sind Mehrwerte verbunden.

Entscheiden sich Hauseigentümerschaften im Zuge dieser Heizungssanierung etwa für eine Solarwärmeanlage, wird ein weiterer Bauteil betroffen: die Sonnenkollektoren müssen entweder in ein Schrägdach integriert oder auf einem Flachdach aufgestellt werden. Da die Bau- und Zonenordnung (der Stadt Zürich) bei den meisten Bauten eine erhöhte Ausnutzung zulässt, wird sinnvollerweise vor der Bestellung der Sonnenkollektoranlage geprüft, ob es allenfalls zweckmässig sein könnte, das Dach auszubauen oder gar einen neuen Dachaufbau zu erstellen, um etwa mehr von dem so begehrten Wohnraum zu schaffen. Sowohl Sonnenkollektoranlage wie Dachaus-/-aufbau schaffen Mehrwert – immerhin kann der zusätzliche Wohnraum vermietet werden, was den Mietertrag erhöht.

Die Anforderungen der 2000-Watt-Gesellschaft verlangen, dass bestehende Bauten beim nächsten grösseren baulichen Eingriff auf den Energieverbrauchs-Level von Minergie-Neubauten gebracht werden. Dazu gehört regelmässig auch die Wärmedämmung der Fassaden (auch Verputze von Aussenwänden haben eine begrenzte Nutzungsdauer, siehe oben). Dies kann weitere Konsequenzen haben: Balkone, häufig direkt mit dem Gebäude verbunden, stellen erhebliche Wärmebrücken dar – bei einer Wärmedämmung der Fassade sind Balkone thermisch zu trennen, durchaus auch eine Gelegenheit, den Balkon zu vergrössern (oder einen Balkon zu erstellen, wenn ein solcher noch nicht vorhanden ist). Auch damit sind Mehrwerte, aber auch Mehrkosten verbunden. Als ein weiteres Beispiel: wird die Fassade mit einer Wärmedämmung versehen, ist zu entscheiden, wie mit den Fensterleibungen umzugehen ist: Fenster sind häufig von innen her angeschlagen; wird nun, wie es fachgerecht erforderlich ist, die Fensterleibung gedämmt, verkleinert sich das Fensterlicht. Um dies zu verhindern, müssen entweder die Mauerlichter vergrössert oder die Fenster aussen angeschlagen werden.

Die unterschiedlichen technischen Nutzungsfristen der verschiedenen Bauteile illustrieren eines: den idealen Zeitpunkt für eine Erneuerung gibt es nicht! Es wird immer so sein, dass bei einer umfassenden Erneuerung einzelne Bauteile ihre technische Nutzungsdauer noch nicht erreicht haben, andere sie dafür bereits überschritten haben. Vielfach sind es darum auch nicht-bauliche Faktoren, die den Anstoss für eine umfassende Erneuerung geben, in vielen Fällen der Wechsel in der Eigentümerschaft, sei dies durch Verkauf oder Erbvorgang. Klar ist dabei, dass eine umfassende Erneuerung der bessere Ablauf zur Ermöglichung einer nachhaltigen Liegenschaftenbewirtschaftung ist als eine etappierte Erneuerung über mehrere Jahre.

Welcher Anteil dieser Erneuerungskosten ist nun der energetischen Sanierung „anzulasten“ (allenfalls sogar in zwei Stufen: was wird vom Gesetzgeber verlangt, welches sind die Anforderungen zur Erreichung der gesellschaftlich angestrebten Entwicklung Richtung 2000-Watt-Gesellschaft), was entfällt je auf werterhaltende und wertvermehrende Investitionen? Gibt es allenfalls auch Luxusinvestitionen (gehört etwa der Wechsel von Teppich- zu Parkettböden bereits in diesen Bereich)? Gerade im Mietwohnungsbereich ist diese Frage zentral, geht doch der Gesetzgeber davon aus, dass nur die wertvermehrenden Investitionen, darin insbesondere die dem Energiesparen dienenden Investitionen neu auf den Mietzins abgewälzt werden dürfen. Hier geht es um eine brisante volkswirtschaftliche Frage: wie kann sichergestellt werden, dass die von den Eigentümerschaften vorgenommene einmalige Investition durch die Mietenden refinanziert wird, ohne dass ungerechtfertigte Mitteltransfers von der einen zur anderen Seite transferiert werden – bei einer mittleren Mietdauer von zehn Jahren bei umfassenden Erneuerungen alle vierzig Jahre ein schwieriges Unterfangen. Festgehalten ist in den Verordnungen, dass die Kosten einer umfassenden Erneuerung zu 50 bis 70 % auf die Mieten überwälzt werden können – der verbleibende Rest gilt als werterhaltend. Festzuhalten ist, dass insbesondere bei neu erworbenen Liegenschaften hier ein grösseres Problem besteht: die eigentlich zu erfolgenden Rücklagen für den aufgelaufenen werterhaltenden Unterhalt (bereits durch die MieterInnen aufgebracht) werden meistens beim Kaufpreis nicht berücksichtigt, oder anders: bestehende Liegenschaften werden betriebswirtschaftlich viel zu teuer gehandelt. Vielfach haben die bisherigen Eigentümerschaften den leider nur virtuellen Erneuerungsfonds konsumiert, zum Nachteil der MieterInnen und der neuen Eigentümerschaften. Wenn gemeinnützig ausgerichtete Genossenschaften bei Kaufverhandlungen aussteigen – diese stützen sich bei ihren Kaufangeboten ausschliesslich auf den realen Wert der Liegenschaft, bedeutet dies nichts anderes, als dass in solchen Fällen die bisherige Eigentümerschaften erhebliche und betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Gewinne aus dem Verkauf einer Liegenschaft realisieren wollen. Wenn Genossenschaften nicht kaufen können oder wollen, signalisiert dies, dass sich bei solchen Liegenschaften meist die Verkäuferschaft ungerechtfertigt bereichert!

Als Hinweis: für eine zukunftsfähige Sanierung einer mittelgrossen Vierzimmerwohnung ist etwa von Investitionskosten von in der Grössenordnung von 200’000 Franken auszugehen – bei einem Mehrwert von 70 % (=140’000 Franken) führt die zu einer monatlichen Mehrmiete von etwa 750 Franken. Daraus wird ersichtlich, dass etwa die Förderbeiträge von „Das Gebäudeprogramm“ mehr kommunikative als betriebswirtschaftliche Wirkung entfalten. Damit ist bestätigt, dass die Liegenschaftenbewirtschaftung ausschliesslich durch die NutzerInnen zu finanzieren ist – alles andere ist schlicht nicht nachhaltig!

Klar ist: nicht nur an der Weststrasse in Zürich wurde in den letzten Jahrzehnten kaum wertvermehrend investiert, aber sichtbar auch zu wenig für die Werterhaltung getan. Mit ein Grund für die tiefen Mieten, aber ebenso für die voraussichtlichen Mietzinsaufschläge nach einer umfassenden Erneuerung. Diese Liegenschaftenbewirtschaftung ist eindeutig als nicht nachhaltig zu bezeichnen, weil dadurch Gebäudesubstanz massiv übernutzt wurde. Die MieterInnen in dieser Gegend haben voraussichtlich die realen Wohnkosten nicht bezahlt – und haben ihre Lebensumstände auf diese zu tiefen Mieten ausgerichtet (zum Beispiel Flächenanspruch, Konsumhaltung – oder anders: es ist nicht davon auszugehen, dass der ökologische Fussabdruck dieser MieterInnen sich in erheblichem Mass von der „Restbevölkerung“ abhebt.

Da nach wie vor davon auszugehen ist, dass die Mietzinsentwicklung durch den Flächenanspruch pro Person geprägt ist – baulicher Zustand (ausser bei Neubauwohnungen) oder energetische Qualität spielen kaum eine Rolle – und viel Wohnraum als erstrebenswerter Luxus gilt (siehe oben erwähnter Artikel zur 600-Quadratmeter-Wohnung im Mobimo-Tower, oder die Geschichte rund um das ehemalige Hotel Atlantis), braucht es auch im Wohnungsbau eine Suffizienzstrategie – so rasch als möglich ist das pro Person angebotene Flächenangebot zuerst zu begrenzen und anschliessend abzusenken.

Gerade auch im Hinblick auf die Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft ergeben sich verschiedene Forderungen an einen nachhaltigen Wohnungsmarkt:

  • Es ist eine stark lenkende Wohnflächenabgabe mit vollständiger Rückerstattung an die Bevölkerung einzuführen.
  • Die nicht-gewinnorientieren Wohnbaugenossenschaften sind deutlich zu stärken; ebenso sind neue Modelle – beispielsweise Nutzungsrecht statt Wohneigentum – zu installieren.
  • Gebäudeeigentümerschaften sind zu verpflichten, Werterhaltungsfonds zu schaffen und diese jährlich mit beispielsweise einem Prozent des Gebäudeversicherungswertes zu speisen. Der Fondsinhalt darf nur für grössere Instandhaltungsarbeiten eingesetzt werden – solche Fonds sind an das Grundstück zu binden, d.h. bei einem Verkauf der Liegenschaft gehen die eingelegten Mittel in die Verwaltung der neuen Eigentümerschaft über.
  • Es ist ein auch mit dem Klimaschutz begründetes Sanierungsobligatorium für bestehende Bauten einzuführen. Gleichzeitig ist das Steuerrecht so anzupassen, dass Gesamtsanierungen gegenüber der etappierten Vorgehensweise nicht mehr benachteiligt sind. Ergänzend dazu braucht es eine stark wirkende Energielenkungsabgabe mit vollständiger Rückerstattung an Haushalte und Wirtschaft.
  • Das bedingungslose Grundeinkommen für alle ist auch auf dem Wohnungsmarkt ein Beitrag zur Nachhaltigkeit – demgegenüber ist die Forderung nach billigen Wohnungen für sozial randständige Gruppen ein massiver Verstoss gegen die Regeln der Nachhaltigkeit. Dazu gehört auch, dass eine aus Nachhaltigkeitssicht zweckmässige Liegenschaftenbewirtschaftung nicht als Spekulation bezeichnet werden kann.

Und einmal mehr ist festzuhalten: nachhaltiges Wohnen wird voraussichtlich einen höheren Anteil des Haushalteinkommens beanspruchen – wenn durch bewussteren Konsum (zum Beispiel LOVOS) der ökologische Fussabdruck vermindert, das Wohnen somit wieder eine grössere Bedeutung bekommt, ist dies durchaus finanzierbar.

Im übrigen: die Entwicklung an der Langstrasse ist besonders auffällig, weil viele Liegenschaften gleichzeitig „in Bewegung“ kommen. Festzuhalten ist im Hinblick auf die nachhaltige Gebäudebewirtschaftung: die Langstrasse ist überall!