Klimaschutz: Die Zukunft beginnt ab jetzt

«NettoNull2030» ist eine der Klimastreik-Forderungen von Fridays4Future, konkretisiert von den Scientists4Future: die Nettoemissionen von Treibhausgasen (insbesondere CO2) müssen sehr rasch sinken und in den nächsten 20 bis 30 Jahren weltweit auf null reduziert werden (um mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Erwärmung von 1,5 °C nicht zu überschreiten). Dies stimmt überein mit den am 8. Oktober 2018 vom Weltklimarat IPCC veröffentlichten Schlusssfolgerungen: Die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C erfordert schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Schnell, weitreichend, beispiellos: dies ist eine echte Herausforderung für alle Bereiche der Gesellschaft, wie insbesondere die Reaktionen der «Erwachsenen» auf die Klimastreik-Forderungen der Kinder, Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen zeigen.

Die Vorgabe ist seit den Siebziger-Jahren des letzten Jahrhunderts klar: Wenn die Menschheit auf dem Planeten Erde eine Zukunft haben soll, ist – beispielsweise ausformuliert als nachhaltige Entwicklung – die Nutzung fossiler Energiequellen wie Erdöl, Erdgas und Kohle baldmöglichst einzustellen. Es geht hier um einen neuen Gesellschaftsvertrag, um einen fundamentalen Veränderungsprozess. Im Werk «Die Grosse Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels» – herausgegeben von Uwe Schneidewind, begleitet von der Internetsite zukunftskunst – werden die erforderlichen Veränderungen als «moralische Revolution» (nach Appiah, 2011) bezeichnet. Zu vergleichen ist dies mit der Einführung der Demokratie, der Abschaffung der Sklaverei oder der Einführung des Frauenwahl- und -stimmrechts. Eine solche «moralische Revolution» läuft (nach Appiah, zitiert in die «Grosse Transformation») üblicherweise in fünf Phasen ab:

  1. Ignoranz – Problem wird nicht gesehen
  2. Anerkennung, aber kein persönlicher Bezug
  3. Anerkennung des persönlichen Bezugs, aber Nennung von Gründen, warum kein Handeln möglich ist
  4. Handeln
  5. Im Rückblick: Unverständnis, dass die alte Praxis je bestehen konnte

 

Die ersten Ansätze für diese grosse Transformation liegen rund fünfzig Jahre zurück. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eigentlich derzeit individuell alle fünf Phasen dieser «moralischen Revolution» anzutreffen sind.

Viele SVP- und auch FDP-VertreterInnen stagnieren in Phase 1, mit ganz leichten Bewegungen Richtung Phase 2. Stark geprägt wird dies von der fossilen Mafia bei Gebäuden und im Verkehr. Oder anders: stillschweigend profitieren insbesondere die reichen Länder von den fossilen Renten, von den vor Jahrmillionen abgespeicherten fossilen Energieträgern. Und es gibt noch erhebliche Anteile von PolitikerInnen, die den Verbrauch von fossilen Energien mit Menschenrechten oder gar Freiheit in Verbindung bringen, absurder gehts nicht mehr. Geradezu lächerlich wird es, wenn von Phase-1-VertreterInnen der geringe Anteil der Schweiz an den Treibhausgas-Emissionen und die scheinbare Untätigkeit anderer Länder geltend gemacht wird. Tatsache ist, dass die Schweiz zu den Ländern mit einem übermässig grossen ökologischen Fussabdruck gehört. Daraus leitet sich ein entsprechender eigenverantwortlicher Handlungsbedarf ab.

Seit langen langen Jahren gibt es zahlreiche realisierte Beispiele für Phase 4: Sehr viele Menschen haben gehandelt; leider reicht dies nicht aus, um die «moralische Revolution» zu schaffen. Mit diesem Wissen, geprägt durch einen Teil der Eltern- und Grosselterngeneration, fordern die Klimastreikenden die schnelle und konsequente Umsetzung von Phase 4, fordern schnelles und wirksames Handeln.

Was zu tun ist, ist bestens bekannt. Gewisse Publikationen dazu sind eher plump, zum Beispiel 75 Ideen, wie Sie den Klimawandel stoppen können. Eine Anleitung zur Rettung der Welt. Wichtig dabei, darum eben Phase 4: Klimaschutz betrifft uns alle, betrifft uns in allen Situationen, in alltäglichen und speziellen Situationen – wenn wir es wollen, ist dies zu schaffen.

Als zusammenfassende Auswahl:

  • Überall müssen wir von den fossilen Energien weg:
    • Die Heizung und die Warmwasserversorgung unserer Häuser ist so schnell als möglich auf dezentral genutzte erneuerbare Energien umzustellen. Die beanspruchten Wohn- und Arbeitsflächen sind lebensabschnittsgerecht möglichst zu minimieren.
    • Alle Verkehrsmittel sind ausschliesslich mit erneuerbaren Energien zu betreiben – mag sein, dass für Schiffe und Flugzeuge zumindest in einer Übergangsphase Power-to-Liquid-Technologien anzuwenden sind.
      • Dazu gehört, dass weniger Verkehr mobilitätsfördernd ist. Der Alltag sollte mit 7’000 Schritten pro Tag abdeckbar sein – ein Teil davon auch per Velo, sicher weniger als eine Stunde pro Tag.
      • Nicht zuletzt aus Gerechtigkeitsüberlegungen sind insbesondere Flugreisen deutlich zu vermindern.
  • Die gesamte Stromversorgung hat mit erneuerbaren Energieträgern, möglichst dezentral genutzt, stattzufinden (eine Schlagzeile vom 15. April 2019 dazu: BFE-Studie: Schweizer Solarpotenzial grösser als benötigt).
    • Atomenergie ist wie seit bald fünfzig Jahren bekannt kein zukunftsfähiger Ansatz.
    • Es braucht einen Übergang von den fossilen Energiespeichern zu ressourcenoptimierten und menschenrechtsverträglichen Tages-, Wochen-, Monats- und Saison-Energiespeichern. Immer häufiger funktionieren solche Speicher bereits heute auch ohne «seltene Erden».
    • Eine nachhaltige Landwirtschaft kommt mit deutlich geringeren Tierbeständen aus – weniger Fleisch, weniger Milchprodukte, saisonale und regionale Produkte sind zukunftsfähig, FlexitarierInnen werden zahlreicher, vegetarische und vegane Gerichte gehören immer häufiger zum Alltag. Da werden auch Migros und Coop ihre absurden Grill-Kampagnen anzupassen haben.
  • Es geht um nachhaltige Entwicklung – neben den ökologischen gehören zukunftsgerichtete soziale und ökonomische Aspekte selbstverständlich mit dazu.
    • Zu beachten sind die prioritätssetzenden handlungsleitenden Nachhaltigkeitsprinzipien Suffizienz, Effizienz und Konsistenz.
  • Verschiedentlich wurde gezeigt, dass fossilfreie Technologien in einer Gesamtbetrachtung günstiger sind als konventionelle Technologien – allerdings wird dies durch massiv lügende Energiepreise verfälscht. Energielenkungsabgaben sind daher dringlich.

Nein, die Reduktion des «Bevölkerungswachstums» gehört nicht zu dieser «moralischen Revolution». Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass eine gerechte globale Wohlstandsverteilung eine nachhaltige und vom Planeten bewältigbare Bevölkerungsentwicklung ermöglicht. Geprägt wird der zu grosse ökologische Fussabdruck von den reichen Ländern; diese haben im Sinne der Klima-Gerechtigkeit die «moralische Revolution» beschleunigt umzusetzen.

Ein Klimanotstand wird von den Klimastreikenden und den sie unterstützenden Kreisen verlangt. Nach rund fünfzig Jahren ist Klimaschutz endlich dringlich umzusetzen. «Notstand» ist auf Verfassungs- und Gesetzesstufe zum Teil bereits besetzt. Wenn nun – wie etwa in der Stadt Zürich – dringliches Handeln mit derartigen Wortklaubereien abgelehnt wird, ist dies nicht zukunftsfähig. Wenn Kanton und Bund ihre Verpflichtungen zur schnellen und wirksamen Absenkung der Treibhausgasemissionen nicht wahrnehmen, haben Städte subsidiär die notwendigen Schritte zu unternehmen. Dazu gehören beispielsweise Verbote von (neuen) Öl- und Gasheizungen oder Fahrverbote für Fahrzeuge, die mit fossilen Treibstoffen betrieben werden.

Echter und ernsthafter Klimaschutz verlangt (siehe oben), dass die Nettoemissionen von Treibhausgasen (insbesondere CO2) sehr rasch sinken und in den nächsten 20 bis 30 Jahren weltweit auf null reduziert werden. Dabei handelt es sich um eine Tatsache, einen Fakt – und nicht einfach eine Meinung. Demokratische Prozesse haben der zwingenden Notwendigkeit des schnellen und wirksamen Klimaschutzes Rechnung zu tragen. Es ist dafür zu sorgen, dass es nicht mehr möglich ist (wie 2018/2019 in den Kantonen Bern und Solothurn), dass die fossile Mafia Stimmen-Mehrheiten gegen den Klimaschutz kaufen kann.

Seit rund fünfzig wird bei der «moralischen Revolution» in erster Linie auf Freiwilligkeit gesetzt. Nach wie vor gilt vieles, was mit einem erheblichem Ausstoss an (fossilen) Treibhausgasen verbunden ist, aus sozio-psychologischer Sicht als «normal, nützlich und notwendig». Wer gegen diese Mehrheitstrends handelt, verhält sich häufig als AussenseiterIn. Es ist mit fünfzig Jahren Erfahrung offensichtlich, dass Appelle an freiwilliges vorbildliches Handeln nicht tauglich sind. Gerade liberal ausgerichtete demokratische Rechsstaaten haben dafür zu sorgen, dass zur Zukunftskunst Regelwerke gehören, die den zum Handeln erforderlichen neuen Verhaltens- und Gefühlsmustern entsprechen, Stichwort zum Beispiel Ökoroutine.

Ich, du, sie, er, wir ihr, sie: Klimaschutz geht uns alle an, ab sofort, schnell und wirksam. Nur ein solcher Klimaschutz ist zukunftstauglich, ist enkelInnen- und urenkelInnentauglich. Dazu gehört auch: Gletscher-Initiative unterschreiben!

Die Zeichnung illustriert mögliche Absenkpfade.