Haben wollen müssen?

Menschen nicht nur in wohlhabenden Ländern haben im Durchschnitt deutlich zu grosse ökologische „Fussabdrücke“ – in der Schweiz etwa war bereits am 11. Mai 2013 das aufgebraucht, was an natürlichen Ressourcen für ein ganzes Jahr zur Verfügung stehen müsste (Overshoot Day). Ein Teil dieses zu grossen ökologischen Fussabdruckes ist darauf zurückzuführen, dass Menschen zu viele Dinge besitzen. Was brauchen Menschen wirklich? Eine wichtige Rolle spielt dabei die Werbung.

Werbung für Werbung: in einer Imagekampagne behauptet die Firma Clear Channel unter anderem, allein am Flughafen (Zürich Kloten) hätten deren Werbeflächen sechsmal mehr BesucherInnen als Mona Lisa, das weltbekannte, im Louve ausgestellte Gemälde von Leonardo da Vinci. Nun, zum Bild von da Vinci wollen die Menschen hin, an den Werbeflächen im Flughafen müssen sie vorbei, wenn sie – für welche Zwecke auch immer – durch den Flughafen gehen.

Viele Menschen nutzen im Internet Gratisangebote wie Google oder Facebook. Die sehr grossen Unternehmen hinter solchen Gratisangeboten finanzieren sich vor allem über Werbeeinnahmen! Auch die Newsportale vieler AnbieterInnen sind werbefinanziert. Die Kunst bei der Benutzung des Internets besteht unterdessen vor allem darin, vor lauter Werbeüberflutung das zu finden, was eigentlich gesucht wird! Die schnelleren Datennetzwerke werden zu einem erheblichen Teil durch die massiven Datenmengen, die für Werbeeinblendungen benötigt werden, gebremst. Ich habe bei diversen solchen Seiten nachgerechnet: neben den eigentlichen Inhalten und den Navigationsabschnitten stehen 75 und mehr Prozent der Datenmengen, die zur Darstellung einer Seite erforderlich sind, in Zusammenhang mit Werbung. Wie für den Papierbriefkasten gibt es auch für das Internet Werbestopp-Add ons. Ist dies ein schlechter Tipp? Denn: wenn ein grosser Teil der Internet-NutzerInnen solche Add ons installiert, sinkt die Attraktivität dieses Werbeangebots, und solche Angebote werden weniger nachgefragt, was die Einnahmen der Seitenanbieter, bis hin zu Google und Facebook, reduziert. Ich bleibe trotzdem bei meiner Empfehlung, solche Werbeblocker zu installieren!

Nicht nur im Internet nimmt Werbung sehr viel Raum ein. Auch im Aussenraum wird immer wieder versucht, die Möglichkeiten zur Platzierung von Werbeflächen zu steigern, und dabei gleichzeitig deren Aufmerksamkeitswert zu steigern. In der Stadt Zürich etwa wurde am 8. August 2013 ein Test mit neuen Werbeanlagen – Screens und Leuchtdrehsäulen – auf öffentlichem Grund bekanntgegeben. Eine Anfrage des grünen Gemeinderats Matthias Probst zu diesem Versuch wurde kürzlich vom Stadtrat beantwortet. Matthias Probst fragte unter anderem, wie sich die neuen Werbeträger mit dem Grundsatz der 2000-Watt-Gesellschaft vereinbaren liessen. Die Antwort des Stadtrates bezieht sich ausschliesslich auf die ökologischen Aspekte der Werbemittel im engeren Sinn – die Werbewirkung, durchaus mit starken Bezügen zur 2000-Watt-Gesellschaft (zum Beispiel Autowerbung an ÖV-Haltestellen), wird nicht in die Überlegungen einbezogen. Ob da noch die Standpauke des Zürcher Regierungsrates in dieser Frage nachwirkt?

Der massiv übergrosse ökologische Fussabdruck kann nur durch eine Vielzahl von Massnahmen in allen Lebensbereichen vermindert werden. Die Verminderung der Nachfrage nach Gütern gehört mit dazu. Werbung schafft unter anderem Nachfrage nach Gütern, für die kein wirklicher Bedarf besteht.

Suffizienz, LOVOS weisen auf andere Möglichkeiten hin. Uta von Winterfeld hat in einem Gedenkbeitrag zum Tod von Christiane Busch-Lüty, Ehrenvorsitzende der Vereinigung für ökologische Ökonomie, dazu festgehalten: Womöglich hätte ihr jedoch mehr Spaß gemacht, die Suffizienz schalkhaft gegen den Strich zu bürsten: Eines Tages wird Frau Keuner gefragt, wie sie es denn mit der Suffizienz halte. „Nun ja“, antwortet Frau Keuner, „so recht einleuchten will sie mir nicht. Wieso soll ich plötzlich auf etwas verzichten, das ich eigentlich noch nie haben wollte?“ In leicht abgewandelter Form steht dieses Zitat auch in einem Blogbeitrag unter dem Titel Werbefreiheit – ein Schritt zur Umsetzung suffizienter Lebensstile von Jan-Henning Korte. In Friedrichshain-Kreuzberg (Berlin) haben die BewohnerInnen die Initiative ergriffen und verlangen, dass Aussenwerbung, die zum Konsum materieller Güter auffordert, verboten wird. Sie haben dazu ein „Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben“ gebildet. Von dieser Internet-Seite stammt – als Ausschnitt aus dem Satz „Niemand soll immer mehr haben wollen müssen.“ – der Titel meines Blogbeitrags.

Die Debatte über Werbeverbote – etwa für Alkoholgetränke und Tabakprodukte – ist uralt. Als wesentliches Argument gegen Werbeverbote wird jeweils angeführt, Werbung trage zur Ankurbelung der Nachfrage bei. Nachfrage insbesondere nach Gütern vergrössert in der Tendenz den ökologischen Fussabdruck, und kann in keiner Art und Weise als nachhaltig bezeichnet werden. Die gegenwärtige Werbung leistet somit kaum einen Beitrag zur Nachhaltigkeit, selbst dann, wenn Produkte angeboten werden, deren ökologische Bilanz vorteilhafter ist als die zu ersetzenden Produkte – weil in vielen Fällen der Verzicht auf das Produkt die bestmögliche Lösung wäre!

Auch beim Verzicht auf Werbung für den Konsum materieller Güter gäbe es nach wie vor genügend Werbegegenstände, zum Beispiel für KandidatInnen und Parteien bei Stadt- und Gemeinderatswahlen!