Bankkundengeheimnis: Mythos aufgeben, eigenverantwortliches Handeln ist angesagt

Beim Bankgeheimnis … handle sich um ein Prinzip, welches die Bürger vor einer allzu inquisitorischen Verwaltung schütze. Eine liberale Demokratie, wie sie die Schweiz darstelle, müsse dieses Prinzip stolz und entschlossen verteidigen. Solche Sätze sind in einem Artikel des Auto-Anzeigers, (früher Tages-Anzeigers) vom 20. Februar 2009 über die Reaktionen der FDP zum Rechtsstreit zwischen UBS, FINMA und USA zu lesen.

Dass die FDP dabei gleichzeitig verlangt, jetzt müssten in Wirtschaft und Politik „Köpfe rollen“ wegen dieser Geschichte, zeigt die Unangemessenheit dieser FDP-Reaktion bestens. „Köpfe rollen“ ist eine Strafform aus dem Mittelalter, die direkt den Tod des Angeschuldigten/Verurteilten zur Folge hatte – die Todesstrafe ist in der Schweiz abgeschafft, da ist es auch nicht angezeigt, dieses Bild der „endgültigen“ Lösung zu verwenden.

Die Inquisition, ebenfalls ein historischer Fakt aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, ebenfalls mit vielen ungerechtfertigten Todesstrafen verbunden, bezog sich auf von den religiösen Glaubensansichten des Klerus und des Adels abweichende Haltungen Einzelner oder Gruppen.

Demokratien wie die Schweiz basieren darauf, dass Mehrheitsentscheide gefasst werden und diese zu respektieren sind. Dazu gehört unter anderem das Steuersystem, welches dafür zu sorgen hat, dass der Staat die erforderlichen Mittel erhält, um einen Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und egoistischen Bedürfnissen Einzelner zu ermöglichen. Wenn nun Einzelne versuchen, sich durch das Verstecken ihrer Einkommens- und Vermögenswerte von der Beteiligung am staatlichen Mittelbedarf gemäss ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu drücken, ist dies aus demokratischen und rechtsstaatlichen Gründen höchst problematisch und daher strafbar. Dies betrifft insbesondere die nicht mit Erwerbsarbeit verbundenen Erträge aus Finanzgeschäften. Bei diesen ist es besonders wichtig, dass ein gesellschaftlicher Ausgleich erfolgt, sind doch diese Gewinne immer mit finanziellen Verlusten anderer Menschen (zum Teil erst in zukünftigen Generationen) verbunden. Wenn der Staat auf die steuerrechtlich korrekte Erfassung derartiger Einkommens- und Vermögenswerte besteht, handelt es sich dabei um einen rechtsstaatlichen Vorgang, der auf keinen Fall mit der Inquisition verglichen werden kann.

Wenn die FDP ein Bankkundengeheimnis verlangt, bei dem nach Ansicht der FDP rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien nicht berücksichtigt werden müssen, so ist dies nicht nachvollziehbar – wie kann dieser „Diebstahl zulasten der Allgemeinheit“ mit Liberalismus begründet werden?

Es gibt nur eine Lösung: auch die Finanzwirtschaft muss zu eigenverantwortlichem Handeln übergehen – zum Beispiel dadurch, dass die Banken sicherstellen, dass die ihnen anvertrauten Mittel rechtsstaatlich korrekt, unter Einbezug demokratischer Grundsätze und ethisch verantwortet in den Besitz der potentiellen EinlegerInnen gekommen sind. Die aktuelle Finanzwirtschaftskrise bietet eine gute Chance, dass sich die Finanzwirtschaft an den Grundsätzen einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, welche die Aspekte der Gesellschaft, der Umwelt, der Ökonomie und der globalen und intergenerationellen Solidarität umfassend einbezieht, orientiert. Ethical Banking ist gefragt, dies bezieht sich sowohl auf die Herkunft der Gelder als auch auf die Anlage- und Investitionsvehikel der Banken. Es ist davon auszugehen, dass unter solchen Voraussetzungen sowohl Boni/variable Lohnbestandteile als auch Eigenkapitalrenditen deutlich geringer ausfallen.


Am 23. Februar 09 in der NZZ: ein Interview mit Parteigutachter Professor Urs Behnisch, welcher unter anderem auf die Unterschiede zwischen „Steuerhinterziehung“ und „Steuerbetrug“ hinweist:

  • Steuerhinterziehung: unvollständige Deklaration der Einkünfte in der Steuererklärung mit ihren Beiblättern
  • Täuschung der Steuerbehörde durch unechte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Bilanzen, Erfolgsrechnungen, Lohnausweise oder Bestätigungen Dritter – dabei gilt die Steuererklärung und ihre Beiblätter nicht als Urkunde.

Tja, wie soll eine finanzielle Bilanz wahr sein, wenn die Komponenten dazu nicht stimmen? Diese Unterscheidung ist definitiv haarspalterisch und mit gesundem Menschenverstand (GVM) nicht nachvollziehbar. Denn: das Endergebnis ist das gleiche: der/die Steuerpflichtige zahlt weniger Steuern, als es der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechen würde. Für die anderen Steuerpflichtigen ist völlig egal, ob dies durch Hinterziehung oder Betrug erfolgt, verwerflich ist es so oder so.


Nachtrag 2.3.09

Spannend, wie wenig Druck es braucht, um offenbar granitene Reduits ins Wanken zu bringen, wie wenig es braucht, um demokratische Gepflogenheiten über Bord zu werfen. Vielleicht geht es aber auch bloss um Sprachregelungen. Einen Einschnitt ins Bankgeheimnis bedeute es nicht, wenn Steuerhinterziehung und Steuerbetrug anders definiert werde, sagt etwa Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Spannend! Vor noch nicht sehr langer Zeit wurde von offizieller Seite der (für niemanden nachvollziehbare) Unterschied von Hinterziehung und Betrug als unverhandelbar bezeichnet – es braucht nur ein leises Hüsteln von zwar demokratischen, aber mit mehr oder weniger dezenten autokratischen Elementen operierenden PräsidentInnen, KanzlerInnen und dergleichen, es braucht das Drohen mit schwarzen Listen, und schon wird filigran gepützelt an den demokratischen bestimmten staatstragenden Elementen. Diesem Land fehlt das Rückgrat, in Eigenverantwortung ein ethisch verantwortbares Funktionieren der „heimischen“ Finanzwirtschaft zu gewährleisten, es fehlt aber auch das Rückgrat, überhaupt eine Position zu vertreten. Diesem Land fehlen die Perspektiven, fehlt ein gemeinsames Ziel – nichts anderes als ein Haufen opportunistischer EgoistInnen ist dies Land (zumindest auf Ebene jener, die sich bereit erklärt haben, Verantwortung zu übernehmen). Ein windfahniger Selbstbedienungsladen ist dieser Staat, sogenannt liberal, aber letztlich nichts als eine Vereinigung von ZechprellerInnen an der Welt. Spannend, wirklich spannend! Wenn dann diese Spannung abgebaut ist, wenn wieder etwas Ruhe eingekehrt ist in den Hühnerhaufen der Eitelkeit, auch Politik genannt, dann braucht es viel Denkarbeit, braucht es viel emotionale Arbeit, um zu überlegen, was denn genau Demokratie heisst, wie sich die durchschnittliche Schweizerin, der durchschnittliche Schweizer des übergrossen ökologischen Fussabdrucks entledigen kann, wie die Existenz der Menschen unabhängig von ihrem Erwerbseinkommen gesichert werden kann – bedingungsloses Grundeinkommen für alle, und was Weltethos (siehe oben) auch für die Schweiz bedeutet.


Nachtrag 8.3.2009

Im Auto-Anzeigers, (früher Tages-Anzeigers) vom 24. Februar 2009 wird der Wert des Bankgeheimnisses für die Schweiz ermittelt, etwa 1 bis 2 Prozent des BIP.

Dies ist nur die eine Seite – die andere hat mit Steuergerechtigkeit in den Herkunftsländern zu tun und der Solidarität beim Tragen der „Lasten“ der Allgemeinheit. Wenn die Schätzungen des Tages-Anzeigers zu den in der Schweiz angelegten Privatvermögen von AusländerInnen stimmen (1’000 Mia Franken), wenn wiederum angenommen wird, dass die Hälfte davon vor den Steuerbehörden des Herkunftslandes versteckt wird, und weiter angenommen wird, dass etwa ein Drittel solcher Vermögen von Menschen mit Wohnsitz USA stammen, dann würden 167 Mia Franken Vermögen in der Schweiz vor dem US-Fiskus versteckt. Mit einem sehr hohen Ertrag von 10% und einer Verrechnungssteuer von 35% ergibt sich ein Steuerbetrag aus dem Ertrag dieser Vermögen von rund 6 Mia Franken. Wird zusätzlich eine Vermögenssteuer von 2 Promille angenommen, ergeben sich nur Rundungen an diesem Betrag.

Rund 3’000 Mia Dollar betragen die Staatsausgaben der USA, diese rund 5 Mia Dollar Steuerertrag auf möglicherweise versteckten Vermögen von US-Bewohnerinnen machen somit nicht einmal 2 Promille der Finanzierung des US-Staatshaushaltes aus. Selbst wenn dieser Anteil um Faktor 3 oder 4 höher wäre, könnte damit nicht wirklich ein substanzieller Beitrag zur Verbesserung des Staatshaushaltes geleistet werden (2009: Defizit von 1’750 Mia Dollar). Diese Verhältnisse zeigen auf, dass nicht nur die USA erheblich von den Prinzipien einer nachhaltigen Finanzwirtschaft entfernt ist – und die Auseinandersetzung um das Bankgeheimnis und die dadurch bewirkten Steuerertragsausfälle zwar mehr als berechtigt sind, aber letztlich von den tatsächlichen Problemen der Menschheit ablenken. In erster Linie würde es hier darum gehen, dass anerkannt wird, dass ein grosser Teil der sogenannten Industrie-Staaten („1. Welt“) nur dank Zechprellerei funktioniert – da kann es ja nicht verwundern, dass die Gierigen unter ihnen auch zu Zechprellern an der Gemeinschaft werden, was Steuerhinterziehung und Steuerbetrug letztlich sind.


Vom „Mythos Bankgeheimnis“ spricht auch Rudolf Strahm, Alt-Nationalrat und Alt-Preisüberwacher – und vor allem einer, der seit langen Jahren Transparenz schafft in wirtschaftlichen Fragen (Kommentar vom 10.3.09). Ein Zitat daraus: „Die Banken werden durch die Aufhebung des Bankgeheimnisses bei Steuerfluchtvergehen ihr Geschäftsmodell anpassen müssen. Aber der Finanzplatz wird nicht untergehen. Einen ähnlichen Strukturwandel aufgrund der neuen globalen Spielregeln (WTO) musste die übrige Wirtschaft längst bewältigen – und dies meist ohne Hilfe des Staates.


Nachtrag 12.4.09

Langsam wird klarer, was Herr Steinbrück genau will, und es wird immer deutlicher, dass er und sein Staat wirklich Zechpreller sind. Es gibt ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland, letztmals im Jahr 2002 revidiert, und dies immer im Einverständnis zwischen der Schweiz und Deutschland. Wenn nun Herr Steinbrück reklamiert, es komme zuwenig Geld aus der Schweiz nach Deutschland, so verdächtigt er die Schweiz, dieses Doppelbesteuerungsabkommen nicht einzuhalten. Das ist eine der schlimmsten Verdächtigungen, und rein aufgrund einiger Banalst-Rechnungen mit Vermutungen zu den in der Schweiz untergebrachten Vemögen von Menschen mit Wohnsitz Deutschland nicht zu beweisen. Da ist eben das neckische Wörtchen „wenn“ im Interview: … wenn die EU-Zinsrichtlinie endlich auf Kapitaleinkünfte jedweder Art erweitert würde …. Herr Steinbrück ist wirklich zu bemitleiden: da gibt er Geld aus, welches er nicht hat, er gibt Geld aus, welches voraussichtlich zu einer Inflation führen wird, und er bekommt genau das Geld aus der Schweiz, was Deutschland aufgrund der Doppelbesteuerungsabkommen und der EU-Zinsrichtlinie zusteht, und er vermutet irgendwo in der Schweiz einen riesigen „Sesam öffne Dich nicht“. Und weil er diesen nicht findet, weil nicht zu finden ist, was nicht vorhanden ist, weil er nicht in der Lage ist, das Doppelbesteuerungsabkommen und die EU-Zinsrichtlinie so zu ändern, dass die von ihm herbeigeschwatzten Milliarden zum Vorschein kommen, prügelt er auf alle unmöglichen Arten auf die Schweiz (völlig undifferenziert, bei Herrn Steinbrück ist nicht klar, ob er den Staat, die Banken oder die Menschen meint) ein, wird unflätig und ausfällig – aber er hat noch nicht einmal um Verhandlungen zum Doppelbesteuerungsabkommen nachgesucht. Schlicht und einfach darum, weil er genau weiss, dass unbewiesene Verdächtigungen mehr bewirken als Tatsachen und Fakten.

Letztlich schadet Herr Steinbrück auf diese Art und Weise seinem Anliegen – so ist die auch von immer mehr SchweizerInnen gewünschte Transparenzschaffung nicht zu erreichen, im Gegenteil, siehe zum Beispiel einen Artikel in der NZZ vom 11.4.09. Dringliche Empfehlung: Herr Steinbrück: tun Sie Ihren Job, kümmern Sie sich auf demokratischem Weg um die Veränderung der EU-Zinsrichtlinie, kümmern Sie sich auf den vorgesehenen Wegen um die Revision des Doppelbesteuerungsabkommens, und überlassen Sie den SchweizerInnen auf den in der Schweiz üblichen demokratischen Wegen, eine gute und verfassungskonforme Lösung für den Umgang mit dem Bankkundengeheimnis zu finden. Und dann noch dies: Abwrackprämien sind nicht wirklich zukunftsgerichtet, sondern sorgen nur für eine Verlagerung des Problems.

Erste Fassung 21.2.09