Bankgeheimnis und Ethik

Der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann, Deutscher und Angestellter der Hochschule St. Gallen, hat beim deutschen Bundestag Äusserungen zum Bank(kunden)geheimnis und zum Verhältnis der SchweizerInnen zu Recht und Unrechtsbewusstsein gemacht, die auch aus ethischer Sicht diskutabel sind. Auch wenn viele der Äusserungen von Herrn Thielemann im Kern zutreffend sind – so ist klar, dass die Besteuerung letztlich ausschliesslich ein Thema zwischen Steuerpflichtigen und deren Wohnortsstaat ist – gibt es doch einiges, dass intensiv diskutiert werden muss, etwa das Verhältnis zwischen den diversen an diesem Geschäft Beteiligten.

Grundsätzlich ist daran nicht zu rütteln: Steuerpflichtige haben sich nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an der Finanzierung der Aufgaben des Gemeinwesens an ihrem Wohnsitz zu beteiligen. In demokratischen Staaten sind diese Aufgaben mehrheitlich beschlossen worden, also steht es einzelnen in ihrem individuellen Bereich nicht zu, die Legitimität in Frage zu stellen; Unzufriedene haben für die Anederung dieser Verhältnisse ihre demokratisch und rechtsstaatlich garantierten Mitwirkungsrechte in Anspruch zu nehmen.

Es gehört somit auch zu den Aufgaben des Staates, im Sinne der Steuergerechtigkeit dafür zu sorgen, dass alle Steuerpflichtigen tatsächlich nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden.

Bei der Vermögensbesteuerung hat dies die Schweiz so gelöst, dass Vermögenserträge einer hohen Verrechnungssteuer von 35 % unterworfen sind, welche zurückerstattet wird, wenn die Vermögenserträge in der Steuererklärung als Einkommen und das Vermögen als solches deklariert werden. Dabei ist im übrigen das Bankgeheimnis respektiert – und es ist den Steuerpflichtigen überlassen, ob sie Vermögenserträge und Vermögen offen deklarieren wollen, oder ob sie den Verrechnungssteur-Abzug akzeptieren wollen. Bei den üblichen Grenzsteuersätzen und Vermögenssteuern dürften die Unterschiede der beiden Besteuerungsarten eher klein sein.

Wir haben also ein Viereck mit

  • den einzelnen Steuerpflichtigen
  • der Gesamtheit der Steuerpflichtigen
  • dem Staat und
  • der Bank/den Banken

.

Nun gilt aber zumindest in der Europäischen Union der freie Kapital- und Zahlungsverkehr, welcher rein logisch auch für Drittstaaten gilt. Zu diesem Viereck kommt nun der Drittstatt als weiterer Akteur dazu, und die Bank wechselt den Status, da sie nicht mit der gleichen Rechtssprechung untersteht wie die einzelnen Steuerpflichtigen.

Erfüllt nun der Drittstaat mit der Uebertragung der Verrechungssteuer (im Sinne einer Quellensteuer) an den Herkunftsstaat der Steuerpflichtigen die Erfordernisse an die Besteuerung der Steuerpflichtigen nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit?

Die Schweiz ist dieser Ansicht, im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, auffälligerweise solchen mit hohen Steuerbelastungen für die Individuen – mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass dabei die Unterschiede zwischen Verrechnungs-/Quellensteuer und der Besteuerung von Vermögensertrag und Vermögen grösser als in der Schweiz sind.

Diese Hochsteuerstaaten und mit ihnen die OECD sind nun der Ansicht, dass es Aufgabe des Drittstaates sei, volle Transparenz über die bei den Banken im Drittstaat angelegten Vermögenswerte ihrer Steuerpflichtigen zu schaffen. Diese Staaten verlangen ultimativ und unter Androhung von Repressionen bei Ausserachtlassung der nationalen Souveränität, dass Dritte für sie ihre Aufgaben erledigen (durch Offenlegung der Vermögenswerte ihrer Staatsbürger). Es ist nicht legitim, zur Sicherstellung der eigenen Souveränität in die Souveränität anderer einzugreifen (und wenn man es trotzdem tut, hat dies nichts mehr mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu tun, sondern schlicht mit Hegemoniebestrebungen).

Letztlich stellen diese Hochsteuerstaaten den Grundsatz des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs in Frage – dies kann man tun, allerdings sind auch zur Veränderung dieser Freiheit die demokratischen, rechtsstaatlich gesicherten Instrumente zu gebrauchen. Oder anders, und dies ist eine uralte Erkenntnis, spätestens seit dem kantschen Imperativ: die Freiheiten des Einzelnen können nur so weit gehen, wie nicht die Freiheiten anderer eingeschränkt werden! Offenbar haben es viele Staaten verpasst, flankierende Massnahmen zu ergreifen, die sich aus dem freien Kapital- und Zahlungsverkehr ergeben, und jetzt erachten sie es als nötig, Dritte zu nötigen, für sie den Job zu tun, statt selber ihre ureigene Aufgabe der Sicherstellung der Steuergerechtigkeit zu erfüllen! Wenn Staaten den Eindruck haben, die Steuerpflichtigen würden Mittel verstecken, um sie unter Inanspruchnahme des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs der Besteuerung zu entziehen, so haben die Staaten selbst für die entsprechenden Regelungen, allenfalls unter Einschränkung der freien Kapital- und Zahlungsverkehrs, zu sorgen – eine Delegation an Drittstaaten ist rechtsstaatlich unhaltbar, OECD-Standard hin oder her!

Letztlich ändert nichts daran: das aktuelle Finanzsystem ist alles andere als nachhaltig – und insbesondere in den sogenannten Industriestaaten wird ausgiebig der Zechprellerei gefrönt. Die Hoffnung auf vermeintlich in der Schweiz oder anderswo gehortete Vermögen, die bei einer ordentlichen Besteuerung sämtliche Finanzprobleme dieser Zechprellerstaaten lösen würden, ist simple Illusion. Allein deshalb ist es empfehlenswert, dass die Schweiz aus eigenem Antrieb für eine deutliche Verbesserung der Transparenz sorgt. Denn: diesen „Sesam öffne dich“ gibt es nicht, es führt nichts an einer nachhaltigen Finanzpolitik vorbei, die respektiert, dass gerade die Industriestaaten auf viel zu grossem (ökologischen) Fuss leben! Mit Vorteil äussern sich WirtschaftsethikerInnen auch zu dieser Frage!


Nachtrag 24.4.09

Ulrich Thielemann äussert sich noch einmal zur Thematik im Magazin vom 24.4.09 – und er äussert sich noch einmal faktenwidrig! Vorerst, der Grundsatz der Besteuerung am Wohnsitzort ist unbestritten, auch wenn Herrn Thielemann das Gegenteil behauptet.

Gemäss der «Europäische Richtlinie zur Zinsbesteuerung», welche zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und fünf weiteren europäischen Staaten, darunter die Schweiz, gilt, werden alle Zinsen, die natürliche Personen im Ausland erwirtschaften, besteuert. In der Schweiz sind es seit 2008 20 Prozent und ab 2011 sollen es 35 Prozent sein. Von diesem Zins werden drei Viertel an die EU-Staaten abgeliefert, den Rest behält die Schweiz (zitiert). Wie gesagt, das haben die EU-Staaten und die Schweiz so vereinbart. Damit ist eindeutig widerlegt, dass die Herkunftsstaaten keine Steuern aus den Zinserträgen erhalten. Herr Thielemann, hier irren Sie sich! Wenn nun der deutsche Finanzminister Steinbrück meint, es müsste mehr Geld aus der Schweiz kommen, hat dies mehrere Gründe. Möglicherweise werden (nicht zuletzt aus politischen Gründen) die im Ausland angelegten Mittel absichtlich überschätzt. Dann, und dies ist entscheidend: die EU-Zinsrichtlinie gilt nur für natürliche Personen! Wenn nun also das Vermögen natürlicher Personen durch eine juristische Person im Ausland angelegt wird, gelten diese Bestimmungen nicht! Offenbar wollte man auch innerhalb der EU derartige Schlupflöcher nicht schliessen. Es gibt derzeit keine erkennbare Bewegung innerhalb der EU in diese Richtung, auch Herr Steinbrück hält sich zurück. Selbstverständlich ist dies eine legalistische Argumentation. Es ist allerdings schlicht unhaltbar, eine ein Einvernehmen mit vielen Staaten abgeschlossene Regelung über die Zinsbesteuerung als unethisch zu bezeichnen (besonders, wenn man dazu wie Herr Thielemann einen Grundlagenirrtum begeht). Und wie gesagt, Deutschland hätte es in der Hand, das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz anpassen zu wollen. Zur ethisch verantworteten Verhaltensweise gehört auch, die eigenen Möglichkeiten zu nutzen! Und dann war da noch diese Schlagzeile: Deutschland bricht Abkommen zur Doppelbesteuerung!

Fazit: generelle Aussagen – hier die Guten, da die Bösen – taugen nichts, selbst mit ethischer Untermalung! Ethik und Gesetzgebung haben noch einige Aufgaben zu bewältigen, um die geeigneten flankierenden Massnahmen zur Minimierung der negativen Folgen des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs erfinden und beschliessen zu können. Tobin-Tax und ähnliche Ansätze müssen nun endlich umgesetzt werden!

Erste Fassung 6.4.2009