Zürcher Kantonsrat: wirkungslose Schein-Energiepolitik

Zumindest gemäss einem Bericht der NZZ wird offenbar der Zürcher Kantonsrat die unsinnige FDP-Initiative „Umweltschutz statt Vorschriften“ unterstützen. Einmal mehr betreibt da der Kantonsrat Schein-Umweltschutz- respektive -Energiepolitik. Da können die Kantonsratswahlen nicht weit weg sein.

Die Gebäude der Schweiz weisen einen erheblichen Sanierungsstau auf. Nicht nur die energetische Qualität der meisten Bauten ist lausig, auch der generelle bauliche Zustand ist alles andere als sachgerecht. Eine zukunftsgerichtete Politik scheitert an der Zelebrierung der Eigentumsfreiheit: da es zu den individuellen Freiheiten gehört, ein persönliches Vermögen auch schlecht zu bewirtschaften, denkt zwar die FDP ganz langsam an ein Sanierungsobligatorium, aber eben, ganz langsam und ganz schwach. Mit der Eigentumsfreiheit ist es eigentlich so schwierig: da Wohnbauten während 80 bis 100 Jahren genutzt werden, haben Entscheide zu Massnahmen am Gebäude allenfalls Auswirkungen auf mehrere Generationen. Noch unmittelbarer ist dies bei Mietwohnungen: zwar gehören Mietwohnungen nicht den NutzerInnen/MieterInnen, aber über den Mietzins tragen die NutzerInnen/MieterInnen zur Bewirtschaftung fremden Eigentums bei – durch den Sanierungsstau finden volkswirtschaftlich problematische Geldumlagerungen statt, die einer nachhaltigen Bewirtschaftung des Liegenschaftenbestandes im Weg stehen. Es braucht endlich eine kantonale Energiepolitik, die sich an der Effizienz- und Klimaschutz-Wirkung orientiert, es braucht für Gebäude ein Sanierungsobligatorium mit präzisen Vorgaben zur baldmöglichst zu erreichenden energetischen Qualität.

Was will die FDP-Initiative? Sie will für Bauvorhaben, die „keine wesentliche Aenderung des Erscheinungsbildes” eines Gebäudes bewirken, die Baubewilligungspflicht abschaffen. Dies ist nachweislich kontraproduktiv, dienen doch die energetischen Vorschriften der Qualitätssicherung. Oder anders: weil die meisten planenden ArchitektInnen nicht über ausreichend Energie-Fachwissen verfügen (siehe dazu nochmals den oben bereits erwähnten Blog-Beitrag). Somit trägt die behördliche Umsetzung der Vorschriften in erheblichem Umfang zur Qualitätssicherung bei! Wenn dieses Element wegfällt, werden bei einer grossen Zahl von Bauvorhaben nur noch minimale energetische Massnahmen ausgeführt statt zweckmässige und auch ökonomisch angepasste Erneuerungspakete. Es gibt dazu einen unverfänglichen Beleg: DAS Gebäudeprogramm, welches seit Anfang 2010 Förderbeiträge an energetische Verbesserungen bei bestehenden Gebäuden zahlt, wird vor allem für Beiträge an Fenstererneuerungen beansprucht. Nur: Fenster sind die Bauteile am Gebäude mit eher kurzen technischen Nutzungsdauern – Fenster sind gleichzeitig auch auffällig, weil diese regelmässig geöffnet und geschlossen werden (analog zum fast gleichnamigen Computer-Betriebssystem) und damit allfällige Schäden sehr schnell sichtbar werden. Nur: ein Fensterersatz kann eine zukünftige Erneuerung der Fassade vorbestimmen! Denn: wird ein Fenster weiterhin an der Innenseite der Aussenwand angeschlagen, wird eine Wärmedämmung der Fensterleibungen kaum bauphysikalisch korrekt ausgeführt, es ergeben sich sonst sogenannte Schiessscharten mit einer Einschränkung der optischen Fenstergrösse.

Energetische Massnahmen an einem Gebäude machen nur im Rahmen eines Gesamtkonzeptes Sinn, man weiss seit etwa 30 Jahren, dass isolierte Energieeffizienzmassnahmen an der Gebäudehülle Unsinn sind und nur Probleme verursachen. Zusätzlich zum obigen Fensterleibungsproblem betrifft dies etwa das Dach: bei vielen Bauten sind wegen der durch die Bau- und Zonenordnung geförderten innere Verdichtung erhebliche Ausbauten im Dachbereich möglich (zusätzlicher Wohnraum in den heutigen Dachräumen, Aufstockungen um 1 bis 2 Stockwerke). Wird nun, entsprechend auch der Subventionspraxis von Das Gebäudeprogramm, nur der Estrichboden oder allenfalls die Dachschräge mit einer Wärmedämmung versehen, wie dies dem Terminus „keine wesentliche Aenderung des Erscheinungsbildes“ entspricht, so wird über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte die Chance zu einer umfassenden energetischen Qualitätsverbesserung des oberen Gebäudeabschnittes verbaut; gleichzeitig werden die Chancen zum Einbau einer Sonnenenergieanlage (für Solarwärme oder Solarstrom) häufig nicht genutzt. Ist jedoch eine Baubewilligung erforderlich, werden die baulichen Potentiale in der Regel deutlich stärker in die Massnahmenplanung einbezogen.

Dies heisst: die FDP-Initiative führt zu tieferer energetischer Qualität der Massnahmen und behindert die Umsetzung der baulichen Verdichtungspotenziale. Ein weiteres klassisches Beispiel dafür, dass „gut gemeint“ das exakte Gegenteil von „gut“ ist! Oder anders: die unbewiesene Behauptung, eine Baubewilligung führe zu einer Behinderung von Energieeffizienzmassnahmen an der Gebäudehülle (nochmals, das Gegenteil ist wahr, Vorschriften sind derzeit eine dringend notwendige Qualitätssicherungsmassnahme). Und auch dies als Wiederholung: es führt nichts an einem Sanierungsobligatorium für bestehende Gebäude verbunden mit Anforderungen an die zu erreichende energetische Qualität vorbei!

Es wird spannend sein, wie die verschiedenen Parteien ihr allfälliges Ja zu dieser wirkungslosen Schein-Massnahme begründen. P.S. Dass die $VP diese Massnahme ebenfalls ablehnt, ist für mich keine Begründung, diese Initiative zu unterstützen.