Der Preis der eigenen Meinung

Am 13. Februar 2011 werden die Stimmberechtigten der Stadt Zürich über eine einzige städtische Vorlage abstimmen. Es geht um den Privaten Gestaltungsplan Kornhaus Swissmill in Zürich Aussersihl – einen exakt 118, in Werbesprache 120 Meter hohen Siloturm, Speicherraum für diverse Getreide, die in der traditionellen Mühle an der Limmat, eine Tochtergesellschaft von Coop, zu (Brot-)Mehl und (Teigwaren-)Griess für einen erheblichen Teil des Schweizer Marktes. Dazu ist eine Abweichung von der Standard-Bau- und Zonenordnung erforderlich – der realisierte Bau wird zu einer Beeinträchtigung der Aussichtslage eines Teils des Zürcher Quartiers Wipkingen und zu ein bisschen mehr Schatten im bereits als schattig eingeschätzten Flussbad Unterer Letten führen. Ein klassischer Interessenskonflikt also zwischen den Bedürfnissen des Wirtschaftsstandorts und einem Teil der Wohnbevölkerung.

Stadtrat und Gemeinderat haben diese Interessenabwägung bereits durchgeführt. Wie die Abstimmungszeitung ausführt, unterstützt die Legislative der Stadt Zürich dieses Vorhaben mit 104 zu 10 Stimmen (dies ist zwar eindeutig, die 11 nicht anwesenden oder sich enthaltenden GemeinderätInnen sind für die Gepflogenheiten dieses Rates eine unüblich hohe Absenzquote). Insbesondere BewohnerInnen von Wipkingen haben die erforderlichen Unterschriften für das Referendum zusammengebracht.

In der Begründung des Referendumskomitees in der Abstimmungszeitung versucht, dem ganzen Prozess dieses Geschäftes „Nicht-Demokratie“ vorzuhalten. Dieser Vorwurf geht eindeutig neben der Sache vorbei. Zwar trifft es zu, dass die Grundordnung ein solches Bauvorhaben nicht zulassen würde, Gestaltungspläne, welche abweichende Regelungen zulassen, sind Teil dieser Grundordnung. Die auch in der Abstimmungszeitung dargelegten Schritte zu diesem Schritt belegen, dass den demokratischen Ansprüchen bei diesem Prozess ausreichend Gewicht beigemessen wurden. Zudem stehen weiterhin Rechtsmittel offen. Die Argumente gegen ein demokratisch vorgegebenes und rechtsstaatlich abgesichertes Verfahren wirken sehr eigenartig – und vermögen die Argumentationskraft des Referendumskomitees nicht zu stärken, im Gegenteil. Zudem vermögen auch die weiteren Argumente des Komitees keine wirkliche Kraft zu entfallen im Vergleich mit der Replik des Stadtrates.

Interessant ist etwa, dass in der Abstimmungszeitung mit keinem Wort über mögliche Varianten zum Siloturm berichtet wird. Es gibt bereits heute im Spickel zwischen Letten- und Wipkingerviadukt und der Limmat eine Siloanlage der Swissmill, durchaus auch ein grosses Volumen, zudem Standort einer der ersten grösseren Photovoltaikanlagen auf Stadtgebiet. Eine spannende Frage: hat die Oeffentlichkeit ein Anrecht darauf, zu erfahren, welche Varianten geprüft wurden und aus welchem Grund diese nicht weiterverfolgt wurden respektive warum das aktuelle Projekt des 118-Meter-Siloturms die Bestlösung darstellt? Auch wenn es nicht darum gehen kann, den – ich gehe mal davon aus – umfassenden, viele Aspekte einbeziehenden Planungsprozess der Bauherrschaft durch eine populistische JeKaMi-Ideenbörse abzulösen, wäre hier etwas mehr Transparenz von Seiten Bauherrschaft und Stadt durchaus angezeigt.

Die Aussage „Nein, das ist leider nicht möglich. Wir sind auf alle Seiten eingeschränkt.“ des Swissmill-Verantwortlichen Romeo Sciaranetti auf die Frage Könnten Sie das nötige Bauvolumen nicht anders verteilen auf Ihrer Parzelle? in der NZZ vom 9. November 2010 ist dazu doch etwas gar knapp.

Der Swissmill-Siloturm kann durchaus auch als Denkzeichen verstanden werden: eine Stadt ist für die Versorgung mit Gütern auf ein grösseres Umland angewiesen. Mehl und Griess werden nicht einfach im Verkaufsgestell produziert, sondern erfordern eine umfangreiche Vorkette. Diese soll durchaus auch in einer Stadt sichtbar werden, auch wenn diese ihren Boden für viele andere Zwecke benötigt – und mit hoher Wahrscheinlichkeit sind ja diese immer wieder mit Überflussansprüchen verbunden Zwecke (Stichwort ökologischer Fussabdruck) auch eine Begründung dafür, dass die Bereitstellung von Lebensmitteln auf knappem Grund, dafür weit in den Himmel reichend, erfolgen muss.

Die Badi Unterer Letten gilt bereits als schattig – auf der Internet-Seite badi-info.ch wird „Wiesen eher schattig“ mit einem 20-ab-achti-Smiley 🙁 kommentiert. Wobei: aus Sicht der Gesundheitsvorsorge/Sonnenbrandprävention sind schattige Badis durchaus zweckmässig. Es trifft zu: die Beschattung der bereits schattigen Badi Unterer Letten würde stärker durch den Swissmill-Siloturm – aber auf keinen Fall so stark, dass der Quartiernutzen dieser Badi erheblich vermindert würde, die entsprechenden Darstellungen in der Abstimmungszeitung ermöglichen eine gute Beurteilung. Amüsant dann wieder der Hinweis in der Abstimmungszeitung bei der Schattendarstellung für den 21. Juni um 19 Uhr: „Langsam wird es dunkler.“ Zur Erinnerung: am 21. Juni 2010 fand der Sonnenuntergang um 21:26 Uhr statt, also fast 2 1/2 Stunden nach dem letzten Schattenbild in der Abstimmungszeitung (wobei ausgerechnet dieser 21. Juni 2010 nicht zum abendlichen Sonnenbad einlud: „13 °C“ lautete die Temperaturprognose für den Tag des astronomischen Sommerbeginns).

Mein Fazit: die aktuellen Informationen führen tendenziell eher zu einem Ja zu dieser Vorlage, wobei durchaus noch einiges an Fragen offen ist. Dies heisst: entweder gibts hier Klärungen, man orientiert sich an den Parolen der diversen Parteien respektive der davon abweichenden ExponentInnen – oder wählt die Antwort-Option „Enthaltung“ auf dem Stimmzettel (im Wissen darum, dass dies eher das Ja begünstigt)!