Thermographie: schöne Bildchen – kaum Nutzen für die Energiepolitik, wenig energietechnischer Nutzen

In den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts waren sie Mode: Luftbilder der eigenen Liegenschaft. Wie liess sich der Stolz auf das eigene Haus besser illustrieren als mit einer grossformatigen Luftaufnahme? Nun – die Zeiten haben sich geändert: Vertikalaufnahmen gehören im Internet zum Standardangebot von Kartenprogrammen.

Eine ähnliche Mode zeigt sich aktuell: Wärmebilder (oder Thermographieaufnahmen) sind in. Farbige Aufnahmen, die die Oberflächentemperaturen der abgebildeten Fassaden zeigen, als Indikator für den Wärmehaushalt auf dieser Fassade.

Wer gerne ein Falschfarbenbild seines Hauses irgendwo verfügbar haben möchte, soll sich solche Bilder herstellen lassen. Aber: die Bilder haben geringe Bedeutung für Energiepolitik und Energietechnik!

Thermografieaufnahmen sind eine relative Moment-Aufnahme:

  • Je besser die energetische Qualität eines Gebäudes, desto näher bei der Aussentemperatur befinden sich die Oberflächentemperaturen, und desto kleiner sind die Temperaturunterschiede zwischen den einzelnen Fassadenteilen. Und selbstverständlich umgekehrt: je schlechter die energetische Qualität, desto grösser sind die Temperaturunterschiede. Um überhaupt Farbunterschiede darstellen zu können, müssen also andere Temperaturskalen Verwendung finden. Auf einer Internetseite des Thermografie Verband Schweiz ist ein Beispiel dazu zu finden – mit der Anmerkung, dass es kontraproduktiv sei, „mit übertriebenen Empfindlichkeits-Einstellungen aus Mücken Elefanten zu machen„.
  • An den Oberflächen finden dynamische Austauschvorgänge mit der Umgebung statt – je nach Tageszeit und thermischen Eigenschaften der Oberfläche hat die thermische Vorgeschichte unterschiedliche Auswirkungen auf die Oberflächentemperaturen.
  • Fenster, metallische Bauteile und hinterlüftete Fassaden oder Dächer haben andere Oberflächeneigenschaften als kompakte Bauteile.

Eine seriöse Beurteilung von Thermografiebildern verlangt einiges an Aufwand und Fachwissen – es ist davon auszugehen, dass zumindest bei den Billigstangeboten die Farbkleckse überwiegen und die Interpretation dürftig ist.

Wichtig ist: mit einer Thermografieaufnahme allein kann über die energetische Qualität eines Gebäudes kaum etwas sinnvolles ausgesagt werden.

Als Fakt: sämtliche Bauten, die vor 1990 neu erstellt oder umfassend erneuert wurden, weisen in der Regel ein erhebliches energetisches Verbesserungspotential auf, das nicht durch das „Flicken“ einzelner durch die Thermografie-Aufnahmen feststellbarer Lücken erschlossen werden kann.

Um auf eine zukunftsgerichtete energetische Qualität zu kommen, müssen sämtliche bestehenden Bauten so rasch als möglich auf den Energieverbrauchslevel von Minergie-Neubauten gebracht werden, und dies erfordert umfassende energetische Massnahmen am gesamten Gebäude, erfordert Massnahmen an der Haustechnik, erfordert den Einsatz erneuerbarer Energien.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss vorerst eine ausreichende Werterhaltung betrieben werden, es braucht weitere bauliche, nicht-energetische Massnahmen, und quasi als Dessert sind noch eine weitergehende energetische Massnahmen erforderlich. Dies erfolgt am besten im Rahmen einer umfassenden Gesamterneuerung, die bei jedem Gebäude alle 30 bis höchstens 40 Jahre zwingend erforderlich ist. Eine seriöse Liegenschaftenbuchhaltung und eine strategische Liegenschaftenbewirtschaftung sind zwingende Voraussetzungen, um für jedes Gebäude den individuellen Weg Richtung 2000-Watt-Gesellschaft zu bestimmen – dazu gehören auch Ueberlegungen, ob allenfalls das „Austragen“ des Gebäudes und ein anschliessender Ersatzneubau aus ökologischer Gesamtsicht nicht sogar die bessere Lösung wäre.

Sollte sich eine Hausbesitzer oder eine Hausbesitzerin davon überzeugen wollen, dass die allgemeine Aussage über die energetische Qualität von bestehenden Bauten auch tatsächlich zutrifft, gibt es einfachere und genauere Instrumente: Zum Beispiel den Gebäudeenergieausweis der Kantone (GEAK).

In einer solchen umfassenden Gebäudestrategie gibt es für die modischen Thermografiebilder genau einen Platz: als Blickfang auf dem Titelbild eines Konzeptpapieres!

P.S. Thermografie eignet sich bestens zur Qualitätssicherung von energetischen Massnahmen an Gebäuden, vor allem im Dackstockbereich, wo Luftdichtigkeit und durchgehende Wärmedämmung Garanten für eine energieoptimale Bauausführung mit minimiertem Bauschaden-Potential darstellen.

Aus 2kwblog.umweltnetz.ch, ergänzt 18.10.2009

2 Gedanken zu „Thermographie: schöne Bildchen – kaum Nutzen für die Energiepolitik, wenig energietechnischer Nutzen“

  1. Hallo Herr Püntener,

    Zur Frage, ob eine Thermografie nutzlos ist oder nicht, sollte man bedenken:
    Die Thermografie ist eine gute Ergänzung zur rechnerischen Ermittlung
    der Energiekennzahl. Es sind doch gerade ältere Gebäude, bei denen
    eine energetische Sanierung ansteht. Diese Sanierung wird oft nicht
    mehr vom Erstbesitzer des Gebäudes durchgeführt, sondern erst dann,
    wenn das Haus schon in zweiter Hand ist oder noch mehr Besitzerwechsel
    hinter sich hat.
    In der Baugeschichte hat ein Haus dann viele Umbauten, Anbauten und
    Reparaturen gesehen, die dem aktuellen Besitzer vielleicht gar nicht
    im Detail bekannt sind. Ein Energieberater hat dann die Aufgabe, den
    Ist-Zustand möglichst genau in seine Berechnungen einfließen zu
    lassen. Genau hier unterstützt die Thermografie den Energieberater:
    Die Thermografie dient als Plausibilitätstest für die erhobenen Daten.
    (Wurde bei der Begehung auch wirklich alles korrekt erfasst?)
    Außerdem hat man mit einer Thermographie die Chance, Gebäudeschäden
    und Gebäudemängel zu entdecken, die bei der In-Augenscheinnahme nicht
    aufgefallen sind, etwa eine mit Bauschutt verfüllte Hohlschicht…
    Eine Thermografie sollte der erste und letzte Schritt einer Sanierung
    sein:
    http://www.thermografie-team.de/energiesparen-mit-thermografie.htm

  2. Die Qualitätssicherung von Erneuerungskonzepten kann in Ausnahmefällen eine sinnvolle Anwendung der Thermographie sein. Die Erfahrungen zeigen allerdings: selbst Zusatzbauten, die in den 90er-Jahren erstellt wurden, erfüllen in der Regel die erforderlichen Energie-Effizienz-Anforderungen bei weitem nicht. Da würde ich das Geld für die Thermographie lieber ganz am Schluss als abschliessende Qualitätskontrolle für die Ausführung des Bauvorhabens durchführen lassen – und in Abhängigkeit dieses Ergebnisses die letzte Tranche der Unternehmerrechnungen bezahlen…

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