Hat der Zürcher Kantonsrat die Zeichen der Zeit erkannt?

Am 10. März 2008 standen 4 Vorstösse – 2 Behördeninitiativen des Gemeinderates der Stadt Zürich, 2 parlamentarische Initiativen von Ratsmitgliedern – zu Energiefragestellungen auf der der Traktandenliste des Zürcher Kantonsrates. Einerseits ging es um die Ermöglichung von Energie-Lenkungsabgaben, andererseits um strengere Wärmedämmvorschriften insbesondere für Neubauten, aber auch um einen höheren Anteil erneuerbarer Energien für Heizung und Warmwasser (der aktuelle §10a des kantonalen Energiegesetzes sieht einen Höchstanteil nicht-erneuerbarer Energien für Heizung und Warmwasser von 80 % vor, die Vorstösse möchten diesen Anteil auf 50 % verringern).

Die Debatte und die Abstimmungsergebnisse lassen den Schluss zu, dass insbesondere FDP und SVP die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben.

Behandelt wurden die Vorstösse

  • Änderung des Energiegesetzes, Behördeninitiative des Gemeinderates Zürich KR-Nr. 337/2007
  • Energetische Anforderungen an Bauten und Anlagen, Behördeninitiative des Gemeinderates Zürich, KR-Nr. 338/2007
  • Änderung Energiegesetz, Reduktion des nichterneuerbaren Energieanteils im Gebäudebereich, Parlamentarische Initiative Spring, Hächler, Ziegler, KR-Nr. 203/2007
  • Begrenzung Wärmebedarf bei Bauten, Parlamentarische Initiative Anderegg, Scherrer Moser, Dürr, KR-Nr. 204/2007

Das Ergebnis sei vorweggenommen: zwar wurden alle Vorstösse vorläufig unterstützt, mit 79 bis 81 Stimmen – weil dies aber weniger als die Hälfte der 180 Mitglieder des Rates ist, ist zu befürchten, dass die definitive Unterstützung (vielleicht in 2 bis 3 Jahren) nicht zustande kommen wird. Insbesondere vermochten sich nicht mal einzelne Mitglieder der FDP- und SVP-Fraktionen zur Unterstützung dieser Vorstösse durchringen.

Gabriela Winkler, FDP-Kantonsrätin aus Oberglatt und Kommunikationsberaterin, lehnte als Sprecherin ihrer Fraktion sämtliche Vorstösse ab. Sie verwies einmal mehr auf die Dreisätze „Anreize“ (die die FDP will), „Vorschriften“ (die die FDP nur anerkennt, wenn sie aus ihrer Sicht sinnvoll sind) und „Verbote“ (die die FDP nicht will). Anreize gibt es mit kantonalen Förderbeiträgen für Minergie-Sanierungen und den Beiträgen des Gebäudeprogramm der Stiftung Klimarappen (Nachtrag 27.12.2012: abgelöst durch „Das Gebäudeprogramm„) bereits reichlich. Fakt ist: trotz diesen Beiträgen, also Anreizen gemäss FDP-Wünschen, werden immer noch viel zu wenige umfassende Gebäudeerneuerungen realisiert. Da sowohl die kantonalen Beiträge als auch das Gebäudeprogramm von energetischen Massnahmen ausgehen, ist eines klar: die kantonalen energetischen Vorschriften im Gebäudebereich sind viel zu schwach! Gebäude, die nach diesen Vorschriften ausgeführt werden, egal ob Neu- oder Umbauten, entsprechen bei weitem nicht den Anforderungen an ein eigenverantwortliches Verhalten im Bezug auf den Klimaschutz. Zudem verlangen die Vorstösse (ausser bei den Lenkungsabgaben) keine neuen Vorschriften, sondern schlicht eine Anpassung der Vorschriften an die seit dem Erlassen dieser Vorschriften erfolgte technische Entwicklung. Frau Winkler hat erneuerbare Energien kritisiert – allerdings nicht jene, die üblicherweise bei Gebäuden eingesetzt werden, sondern die Agrotreibstoffe, wo Lebensmittel oder lebensmittelnahe Produkte für die Produktion von Treibstoffen Verwendung finden, mit berechtigten Einwänden gegen die ökologische und soziale Verträglichkeit. Sonnenkollektoren oder Erdwärme stossen kaum auf Kritik – Wärmepumpen allenfalls wegen des Stroms (was aber unkritisch ist, wenn sichergestellt ist, dass endlich das erhebliche Stromeffizienz-Potential umgesetzt wird und zusätzlicher Strom ausschliesslich aus erneuerbaren Quellen in nachhaltiger Nutzung stammt).

Dass die SVP mit ihrem Sprecher Ueli Kübler sich für das Oel-Handelsgewerbe und die Gasindustrie einsetzte, ist einigermassen nachvollziehbar, hat aber mit Umweltschutz und nachhaltiger Energienutzung schlicht nichts zu tun. Hier wurde zudem zu Recht zum Beispiel von Patrick Hächler, CVP darauf hingewiesen, dass der Abfluss von Geldern für Erdöl und Erdgas ins Ausland bedeutsam sei – die SVP mache sich jeweils für Steuerfuss-Senkungen von 5 Prozent stark – die ins Ausland gehenden Gelder für Oel und Gas lägen aber bei 15 bis 20 Steuerfussprozenten! Wie aus dieser Sicht die SVP zur Erkenntnis kam, dass diese Vorstösse volkswirtschaftlich nicht ausgewogen wären, wurde nicht ersichtlich, da Herr Kübler die Redezeit überschritt und ihm das Wort entzogen werden musste. Es wäre spannend gewesen, zu erfahren, wie sich die SVP beispielsweise zu den Erkenntnissen der Stern-Review stellt.

Symptomatisch für die Argumentationen von SVP und FDP war der Beitrag von SVP-Kantonsrat René Isler: Statt die eigene Verantwortung wahrzunehmen, verwies er lieber auf die tatsächlich nicht bestreitbare Sinnlosigkeit des Nacht-Motorradrennens in Katar.

Auch hier einige Anmerkungen: Um dieses Motorradrennen in den besten Sendezeiten für Europa durchführen zu können, wurde die Rennstrecke mit 3600 Leuchten mit bis zu 2000 Watt Leistung (hat nichts mit der 2000-Watt-Gesellschaft zu tun ;-)) versehen – dies dürfte in der Wüste vor Doha (Katar/Qatar), wo Strom aus fossilen Brennstoffen produziert wird, zu höheren Treibhausgasemissionen geführt haben als der Treibstoff, welcher von den Rennfahrern während des Rennens gebraucht wurde. Es ist allerdings erstaunlich, dass ausgerechnet die SVP dieses Argument ins Spiel bringt, ist es doch SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner, der auch in der Schweiz Formel-1-Rennen zulassen möchte.

Auch die KantonsrätInnen Monika Spring (SP), Peter Anderegg (SP), Bruno Scherrer (GLP), Peter Weber (Grüne), Gerhard Fischer (EVP) und trotz Knurren (und unqualifizierten Äusserungen zum Verhältnis von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien) Willi Germann (CVP) haben mit weiteren Beiträgen klar gemacht, dass wenigstens die Mehrheit der Fraktionen des Kantonsrates die Zeichen der Zeit erkannt hat. Nach dem Achtungserfolg im Kantonsrat müssen sich jetzt der Regierungsrat und mindestens eine kantonsrätliche Kommission mit diesen Themen beschäftigen. Vielleicht erkennt irgendwann die Mehrheit des Kantonsrates, dass auch strengere Energie-Vorschriften dringlich sind. Spätestens die Debatte über die definitive Unterstützung dieser Vorstösse würde zu diesem Lernprozess einladen!

Aus 2kwblog.umweltnetz.ch