Umweltschutz statt Vorschriften – das will die FDP des Kantons Zürich, und hat dazu eine Volksinitiative lanciert. Ich habe noch selten ein Volksbegehren gesehen, dass derart unüberlegt und ausgesprochen kontraproduktiv daherkommt.
Unbestritten: es besteht ein massiver, geradezu alarmierender Sanierungsstau bei Gebäuden – dieser betrifft ausdrücklich nicht nur die energetischen Aspekte, sondern die gesamte Substanz des Bauwerks Schweiz. Oder anders: im Mittel wird der Gebäudebestand in der Schweiz nicht nachhaltig bewirtschaftet – das von den Vorfahren angelegte Kapital im Gebäudebereich wird verzehrt, es werden zulasten der Nachkommen Werte vernichtet. Es ist dringendes Handeln angesagt, nicht nur aus energetischer Sicht.
Der Gebäudemarkt ist sehr genau analysiert. Man weiss genau, warum nicht saniert wird.
Ein zentraler Aspekt ist die amateurmässige Bewirtschaftung der meisten Gebäude. Gebäude stellen ein grosses Vermögen dar, es braucht eine professionelle Bewirtschaftung. Dazu gehört auch eine dem Gebäude entsprechende Nutzung. Wenn beispielsweise Familien mit Kindern neue Wohnungen oder Einfamilienhäuser beziehen, ist dies super. Wenn die Kinder ausgezogen sind, sind die meisten dieser Wohnungen viel zu gross für die zurückbleibenden älter werdenden Eltern. Zudem wurde dummerweise Wohneigentum als perönliche Altersvorsorge propagiert. Dies führt dazu, dass umfassende Erneuerungen dann fällig werden, wenn die Eigentümerschaften/NutzerInnen bereits im Pensionierungsalter stehen – und eine umfassende Erneuerung, welche auf eine weitere Nutzungsphase von 30 bis 40 Jahren ausgelegt ist, die Lebensperspektiven der Betroffenen übersteigt und auch in der Rentenalter-Finanzierungsplanung nicht vorgesehen ist. Dies führt dazu, dass dann meist nur eine eher luxuriöse Pinselsanierung realisiert wird. Wenn dann die Nachkommen das Gebäude übernehmen, sind diese meist ebenfalls bereits in der Nähe des Pensionierungsalters – und haben ähnliche Entscheidungshemmnisse wie ihre Eltern.
Ebenso bedeutungsvoll: viele Fachleute verfügen NICHT über das Fachwissen, um Gebäude so umfassend zu erneuern, dass die Bauten den Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft entsprechen. Bestehende Bauten müssen dazu den Vorgaben des Minergie-Standards für Neubauten entsprechen. Dokumentiert ist dies etwa in der Studie Praxistest Minergie-Modernisierung. Ein Zitat daraus: Architekten und Unternehmer raten nur zögerlich zu Minergie-Modernisierungen, da für sie damit ein höherer Aufwand verbunden ist, der nicht in jedem Falle auch entsprechend honoriert wird. Fehlende Erfahrung mit Minergie-Modernisierungen führen auch dazu, dass von Minergie-Modernisierungen abgeraten wird. Dieses Hemmnis ist erheblich, da insbesondere Architekten die Vertrauenspersonen der Bauherren sind. Ein weiterer Aspekt: Minergie oder sogar Minergie-P ist dann am kostengünstigsten erreichbar, wenn konsequent energieoptimiert geplant und gebaut wird – sonst entstehen für die energetische Qualitätssteigerung Mehrkosten in doppelter bis dreifacher Höhe. Dies ebenfalls aus einer Studie: Die Wirkungen von MuKEn, MINERGIE® und MINERGIE-P®.
In den diversen Studien haben sich die gesetzlichen Vorschriften eigentlich nie als Hemmnisse erwiesen, im Gegenteil!
Gerade die energetischen Vorschriften für den Gebäudebereich sind als Qualitätsvorgaben an die Ausführung von Bauvorhaben formuliert. Nun stellt sich durchaus die Frage, ob die Qualitätssicherung Sache des Gesetzgebers ist. Die letzten 25 Jahre Erfahrungen mit der Umsetzung der Energievorschriften zeigen: die Gebäudebranche ist nicht in der Lage, die erforderlichen Qualitäten auch tatsächlich umzusetzen. Viele FDP-PolitikerInnen spielen eine prägende Rolle im Bauwesen – diese Initiative der FDP des Kantons Zürich könnte auch darauf hinweisen, dass sich viele ArchitektInnen nicht gerne in die Qualitätsaspekte ihrer Bauprojekte reinreden lassen möchten. Oder sie ist ein Abbild der „Deformation politique“, die sich aus dem FDP-Slogan „Mehr Freiheit, weniger Staat“ ergibt.
2000-Watt-Gesellschaft-fähige Erneurungen bestehender Bauten erfordern zwingend grössere bauliche Eingriffe – die Aufwändungen für energetische Massnahmen sind ein untergeordneter Kostenanteil. Ein solcher Schritt soll allerdings nur für Bauten erfolgen, die Zukunftspotential haben. Das heisst, die Grundrisse müssen attraktiv sein, allenfalls vorhandene Ausnutzungsreserven sollten im Sinne des haushälterischen Umgangs mit der knappen Ressource Boden realisiert werden, die Bauten sollen den Marktansprüchen entsprechen. Die energetische Verbesserung allein ist keine sinnvolle Motivation für die Erneuerung von Bauten! P.S. Vorbehalt bezüglich Marktansprüche: der Trend zu immer noch grösseren Flächen pro Person ist auch aus energetischer Sicht problematisch!
„Keine wesentliche Aenderung des Erscheinungsbildes“ soll gemäss FDP-Initiative das Kriterium sein, ob eine baurechtliche Bewilligung energetischer Massnahmen erforderlich ist. Gefördert werden dadurch die Bastellösungen, dabei wären gesamtkonzeptliche Ueberlegungen erforderlich. Als ein Beispiel: bei den meisten Gebäuden sind die Fenster von der Innenseite her an die Aussenwand angeschlagen. Werden nur diese Fenster 1:1 ersetzt (d.h. keine wesentlich Aenderung des Erscheinungsbildes), werden bereits Sachzwänge für eine allenfalls später erfolgende Erneuerung der Fassade geschaffen: bei der Wärmedämmung der Fassade gibt es eine starke Wärmebrücke bei der Fensterleibung, den Mauereinschnitten für das Fensterlicht. Werden diese den baupysikalischen Erfordernissen entsprechen gedämmt, entsteht eine Einengung des Fensterlichts (der sogenannte Schiessscharteneffekt) – um diesen zu begrenzen, wird dann meist die Schichtstärke der Wärmedämmung vermindert. Dadurch reduziert sich allerdings der Einspareffekt.
Die Alternative: werden Fenster und Fassade gleichzeitig erneuert, können die neuen Fenster in der Ebene der Wärmedämmung, d.h. aussen an der bestehenden Wand, angeschlagen werden – sowohl Wärmebrücken wie Schiessscharten können vermieden werden. Allerdings hat dies eine wesentliche Veränderung des Erscheinungsbildes zur Folge. Die FDP-Initiative fördert also Bastellösungen und „benachteiligt“ den ganzheitlichen Ansatz.
Es geht weiter: werden Fenster erneuert, sind diese deutlich dichter – es zieht weniger. Um trotzdem eine gute Luftqualität zu erreichen, macht der Einbau einer Komfort- oder kontrollierten Lüftung Sinn. Nur: auch dies dürfte einen deutlich umfassenderen Eingriff erfordern – was sicher das Erscheinungsbild verändern wird – auch hier wird die bessere Lösung durch die beim FDP-Vorschlag nach wie vor erforderliche Bewilligung erschwert.
Die FDP-Initiative spricht generell von „energetischen Sanierungen von Altbauten“, die bewilligungsfrei werden sollen. Nicht vorgegeben ist, welche Anforderungen bei einer energetischen Sanierung erfüllt sein sollen. So werden beispielsweise im Internet „Wärmedämmfarben“ angeboten – mit nachweislich bestenfalls marginaler Wirkung. Würde das Anbringen einer solchen Farbe bereits als energetische Sanierung bezeichnet werden? Zur Verdeutlichung: die so rasch als möglich zu erreichende energetische Qualität von Bauten nach der umfassenden Erneuerung entspricht dem Minergie-Standard für Neubauten – oder B und besser gemäss Gebäudeenergieausweis.
Fazit: die FDP-Initiative ist unüberlegt und kontraproduktiv!
Was sind denn die Alternativen?
- So rasch als möglich ist eine stark lenkende Energieabgabe mit vollständiger Rückerstattung an Haushalte und Wirtschaft auf allen Energieträgern einzuführen – auf allfällige Teilzweckbindung wie bei der CO2-Abgabe ist zu verzichten.
- Um die Wirkung der Energieabgabe zu erhöhen, müssen alle Bauten, die vor mehr als 15 Jahren baubewilligt wurden, bis spätestens 25 Jahre nach der ersten Baubewilligung eine Klassierung B gemäss Gebäudeenergieausweis zu erreichen (selbstverständlich mit Uebergangsbestimmungen für noch ältere Bauten). So rasch als möglich ist diese Vorgabe auf A zu verschärfen. Diese Vorgehensweise lässt den erforderlichen zeitlichen Spielraum und ermöglicht unterschiedliche Wege zur Erreichung – Energiepolitikumsetzung über ambitiöse Ziele statt über Massnahmen und Subventionen!
Die als „neu“ vorgeschlagenen Bestimmungen für Sonnenenergieanlagen entsprechen inhaltlich im wesentlichen den heutigen Vorschriften im Kanton Zürich – eine Push-Wirkung ist allerdings auch bei Sonnenkollektoren (für Wärme) und Fotovoltaikanlagen (für Solarstrom) nicht von einer Aenderung der Vorschriften oder von Subventionen zu erwarten, sondern auch hier wieder durch das Knowhow und das Engagement der Fachbranche!
Im übrigen: der Kantonsrat hat das dringliche Postulat 58/2009 der KantonsrätInnen Gabriela Winkler, Carmen Walker Späh und Thomas Vogel mit im wesentlichen den Inhalten dieser Volksinitiative am 11. Mai 2009 mit dem Stimmenverhältnis 116 Nein zu 53 Ja mit guten Argumenten abgelehnt – die drei KantonsrätInnen sind auch Mitglieder des Initiativkomittees. Die Bewilligungsbefreiung ist mit Sicherheit kein Vorteil für mehr Umwelt- und Klimaschutz.