Demokratie und/oder Monekratie?

Die langen Zeiten vor einer Volksabstimmung – beispielsweise zur Konzernverantwortungsinitiative – und die im Corona-/Covid-19-Zeitabschnitt offensichtlich werdenden Schwierigkeiten beim Sammeln von Unterschriften führen zur Frage, ob die Schweiz tatsächlich eine Demokratie ist – oder doch eher eine real existierende Monekratie.

Eine unüblich langer Zeitabschnitt liegt bei der Konzernverantwortungsinitiative (offizielle Bezeichnung: Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt») zwischen der Lancierung und der Volksabstimmung. Dieser lange Zeitraum war geprägt von kombinierten Public Relations- (PR), Marketing- und Werbe-Aktivitäten sowohl der BefürworterInnen als auch der GegnerInnen dieser Vorlage – Stichwort zum Beispiel orange Balkon-Fahne. Bei diesen summarisch zusammengefasst Kommunikationsmassnahmen zu bezeichnende Aktivitäten geht es nicht in erster Linie um Fakten, sondern ausschliesslich um die Reputation, um das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der AbsenderInnen.

Klar ist: bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative stand beiden Seiten sehr viel Geld zur Verfügung. Eigentlich wurden auf diesem Weg sowohl Stimmbeteiligung als auch Stimmen gekauft – darum der Begriff «Monekratie».

Bei Volksabstimmungen verfügt meist nur eines der Lager über erhebliche finanzielle Mittel, was die Sache recht schnell einseitig macht. Meist ist die finanzkräftige Seite der neoliberale Wirtschaftsblock.

In vielen Fällen sind Initiativen sachlich, fachlich und politisch bestens begründet. Die Erfahrung zeigt, dass dies – wie dies in einer Demokratie der Fall sein müsste, wo faktenorientiere Argumente den Ausschlag geben – nicht ausreichend ist für einen Abstimmungserfolg. Es braucht auch für berechtigte Anliegen – etwa das Frauenstimmrecht – mehrere Anläufe bis zu einem Ja.

Es braucht zwingend die Kombination von Public Relations- (PR), Marketing- und Werbe-Aktivitäten von für die Zielgruppen glaubwürdigen AbsenderInnen, um einer Volksinitiative zum Durchbruch zu verhelfen (bezeichnend übrigens der militärische Jargon, ich hab hier «Ziel», «Durchbruch» verwendet – auf «Abstimmungskampf» habe ich bis jetzt verzichtet).

Zur Betonung der Demokratie könnte allenfalls helfen, vollständige Transparenz über den Einsatz finanzieller Mittel in der Vorabstimmungszeit zu schaffen. Dann wäre es beispielsweise möglich, die Abstimmungsergebnisse mit den Verhältnissen der eingesetzten Mittel zu gewichten: hat zum Beispiel die Nein-Seite doppelt so viele Mittel investiert wie die Ja-Seite, wird jede Ja-Stimme doppelt gewichtet.


Das Ergebnis der Konzernverantwortungsinitiative in der am 29. November 2020 ausgezählten Volksabstimmung ist geradezu historisch: Ja-Mehrheit der Stimmen von 50.73 Prozent – 14 1/2 Stände sagen nein, 8 1/2 Stände sagen Ja, also ein Nein-Ständemehr. Wegen des Nein-Ständemehrs wurde die Initiative trotz der Ja-Mehrheit der Stimmberechtigten abgelehnt.

Etwa 6’000 Stimmberechtigte – etwa 0.23 Prozent der Abstimmenden – hätten in den 3 1/2 Ständen mit den kleinsten Differenzen zwischen Nein- und Ja-Stimmen anders stimmen müssen, dann wäre es auch zu einem Ja-Ständemehr gekommen!

Auch wenn das Nein-Ständemehr nur selten den Ausschlag gibt bei Abstimmungen über Volksinitiativen, wären sicher andere Möglichkeiten des Minderheitenschutzes angezeigt. Oder anders: 0.23 Prozent der Stimmenden können nicht wirklich als Minderheit gelten!


Volksabstimmungen sind eine Seite der Demokratie oder besser der real existierenden Monekratie. Unterschriftensammlungen zu Referenden und Volksinitiativen, entstanden als Instrument der direkten Demokratie, sind ebenfalls zu beachten. Es gelten sehr strikte Zeit- und Formvorgaben.

Eine der Möglichkeiten: Unterschriftensammlungen am einem von zu Fuss gehenden Menschen belebten städtisch geprägten Ort. Erprobte UnterschriftensammlerInnen schaffen es, etwa 20 Unterschriften pro Stunde zu sammeln. Werden zur sicheren Erreichung der Mindestzahl von Unterschriften 10 Prozent mehr Unterschriften als nötig gesammelt, braucht es für 50’000 (resp. 55’000) Unterschriften für ein Referendum innerhalb von höchstens 3 Monaten 2’750 Arbeitsstunden. Eine Person kann an einem Tag während etwa drei Stunden Unterschriften sammeln. Somit sind gegen 1’000 Personeneinsätze erforderlich. Übernimmt jede Person pro Monat einen Unterschriften-Sammeleinsatz, sind also etwa 330 Menschen zu finden. Oder anders: Sollen UnterschriftensammlerInnen entlöhnt werden, zum Beispiel mit bescheidenen 25 Franken pro Stunde, kostet allein der Zeitaufwand für das Sammeln gegen 70’000 Franken. PS: Unterschriftensammel-Organisationen übernehmen regelmässig das Porto für die postalische Rücksendung ausgefüllter Unterschriftenbogen. Die dabei entstehenden Kosten liegen in einem ähnlichen Bereich wie bei einer allfälligen Entschädigung von UnterschriftensammlerInnen. Bei Volksinitiativen ist eine doppelt so hohe Unterschriftenzahl erforderlich; somit ist auch der Aufwand etwa doppelt so hoch.

Damit die Stimmberechtigten überhaupt von einer laufenden Unterschriftensammlung für ein Referendum oder eine Volksinitiative erfahren, braucht es ebenfalls einen gewissen PR-, Marketing- und Werbe-Aufwand, meist ebenfalls mit Kosten verbunden.

Die Wahrnehmung der Volksrechte ist also auch in einer Demokratie nicht ausschliesslich idealistisch. Es sind auch hier bereits Ansätze der real existierenden Monekratie erkennbar.

Als Hinweis: Vor langen Jahren erfolgte die Stimmabgabe ausschliesslich an der Urne. Ich erinnere mich noch gut an die versammelten UnterschriftensammlerInnen, die die Stimmenden nach dem Verlassen des Abstimmungslokals um Unterschriften für neue Referenden und neue Initiativen baten!

Da unterdessen die meisten Stimmberechtigten die briefliche Abstimmung nutzen, ist die Unterschriftensammlung bein Wahllokalen bedeutungslos.

Als eine Möglichkeit: «Digitalisierung» ist ein aktuelles Stichwort – immer mehr Dinge des Alltages können am und mit Computer erledigt werden. Erste Ansätze dazu finden sich bei der Stiftung für direkte Demokratie.