Energiestadt (Schein-)Gold

Städte haben in der Energie- und Klimapolitik eine besondere Bedeutung – sie sollten vorangehen bei der Transformation hin zu einer fossilfreien dezentralen Energieversorgung ausschliesslich auf der Basis erneuerbarer Energien. Das wird allerdings besonders schwierig, wenn in subsidiären Aufbauten mit Gemeinden/Städten, Kantonen und Bund die oberen Stufen nicht tun wollen, was zu tun wäre.

Sowohl das völlig ungenügende CO2-Gesetz, Ausgabe September 2020 als auch die Energiepolitik der Schweiz – gemäss Monitoring des Bundesamtes für Energie – sind nicht so ausgestaltet, dass die verfassungsmässig geforderte nachhaltige Entwicklung ermöglicht wird. Dazu kommt, dass die schwächliche Klimapolitik der Schweiz den Aspekten der globalen Klimagerechtigkeit nicht genügen kann.

In dieser Situation ist es sehr eigenartig, dass diverse Städte als «Energiestadt Gold» bezeichnet werden, mit einem «Erfüllungsgrad» eines umfangreichen Forderungskataloges von über 80 Prozent.

Was gemäss Pariser Klimaschutz-Übereinkommen vom Dezember 2015 und den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gefordert ist: es ist dafür zu sorgen, dass die Erhitzung des globalen Klimas auf höchstens 1.5 Kelvin gegenüber dem vorindustriellen Zustand begrenzt werden kann. Im Pariser Abkommen ist als schwächere Zielvorgabe auch enthalten, dass die Erhitzung auf deutlich unter 2 Kelvin zu begrenzen sei – dies dürfte allerdings zur Erreichung klimatisch heikler Kipppunkte führen; nach neueren Erkenntnissen ist alles dafür zu tun, das Erreichen solcher Kipppunkte zu vermeiden.

Wie viel an Treibhausgasen darf noch ausgestossen werden, um die Klimaerhitzung auf ein gesellschaftliches verträgliches Mass zu begrenzen? Ein Ansatz dazu ist das Klimabudget. Wenn die Erhöhung der globalen Erhitzung auf 1.5 Kelvin mit 66 Prozent wahrscheinlich erreicht werden soll, hat die Schweiz bis 2039 Netto-Null-Emissionen zu erreichen.

So schnell als möglich – ideal bis 2030 – ist die Energieversorgung zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien abzustellen. Ebenso sind bis dann null Treibhausgas-Emissionen zu erreichen. Dabei ist zu beachten: «Erdgas ist keine Brückentechnologie, sondern höchst klimaschädlich und muss bis 2030 beendet werden». (Hans-Josef Fell)

Der Bundesrat hat im August 2019 das Ziel «klimaneutrale Schweiz bis 2050» festgehalten. Mit diesem Ziel ist allerdings die Beschränkung der globalen Erhitzung auf höchstens 1.5 Kelvin nur noch mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit möglich, also eigentlich nicht mehr! Nun, August 2019, das war noch zu Zeiten der Amtsdauer des US-«Präsidenten» Trump, der gar nichts mit Klimaschutz zu tun haben wollte. Der Präsident-Elect Joe Biden dürfte nicht nur der US-Klimapolitik neue Impulse vermittelt – auch in der Schweiz dürfte dies Auswirkungen haben.

Wenn eine Energiestadt Gold im November 2019 eine Energieplanung beschliesst, die im Jahre 2050 noch einen fossilen Anteil an der Wärmeenergieversorgung von etwa 20 Prozent vorsieht, passt dies nicht einmal zur nationalen Klimapolitik, und schon gar nicht zum Pariser Klimaschutz-Übereinkommen vom Dezember 2015. Somit wird offensichtlich, dass die Energiestadt-Kriterien nicht ausreichend sind, um eine enkelInnentaugliche Entwicklung zu ermöglichen.

Auch Städte, die in welcher Form auch immer an Unternehmen beteiligt sind, die das Stadtgebiet mit fossilem Erdgas versorgen, können nach wie vor zu einer Energiestadt Gold werden oder können Energiestadt Gold bleiben. «Divestment», also die Beendigung sämtlicher Investments in fossile Energieträger, müsste zwingend für eine enkelInnentaugliche Energiestadt gelten.

Gerne werden in Energiestädten auch Investitionen in Wärmeversorgungsnetze getätigt, die Abwärme aus der Kehrichtverbrennung nutzen. Nur: Kehrichtverbrennung steht fundamental einer zwingend notwendigen Kreislaufwirtschaft entgegen. Wie weit wir nach wie vor von einer solchen Kreislaufwirtschaft entfernt sind, zeigen die Diskussionen um das Kunststoff-Recycling oder der Umgang mit den Kartonverpackungen des Versandhandels. Bei anderen Abwärmenutzungen ist häufig nicht sichergestellt, dass die zu Abwärme führenden Energieanwendungen effizient sind. Abwärmenutzung hat immer auch einen «Green Washing»-Charakter.

Bei Energieversorgungseinrichtungen geht es häufig um Invesitionen mit einer langen Nutzungsdauer. Eine der Schwierigkeiten mit einer ungenügenden Klimapolitik: da werden allenfalls Investitonen getätigt zum Beispiel in Wärmeversorgungsnetze, die für Spitzendeckung und Redundanz auf fossile Energieträger angewiesen sind. Die übliche Nutzungsdauer von solchen Einrichtungen ist dabei deutlich länger als die Zeitdauer bis zum Aufbrauchen des noch verfügbaren Klimabudgets – derartige Investitionen sind also kaum als nachhaltig zu bezeichnen.

Kriterien und Einstufungen bei der Beurteilung von Energiestädten sind regelmässig anzupassen. Vergleichbar dazu ist etwa die Energieverbrauchskennzeichnung zum Beispiel von Elektro-Geräten, zum Beispiel Kühlschränken. Für derartige Geräte gelten für die Energieetikette im Herbst 2020 sieben Beurteilungsstufen – die besten Geräte werden mit «A+++» bezeichnet, absteigend über «A++», «A+» und «A» bis «D». Ab März 2021 gelten in der Schweiz neue mit der EU abgestimmte Vorgaben für die Energieetikette, mit einer Skala von «A» bis «G» (wie «ganz schlecht»). Das Bundesamt für Energie hat ein Beispiel dokumentiert: Ein Kühlschrank, welcher im Herbst 2020 mit einer Energieetikette «A++» (zweitbeste Kategorie) versehen ist, wird ab März 2021 mit einer Energieetikette «F» (zweitschlechteste Kategorie) ausgeliefert. Aus einem in der Energieeffizienzbeurteilung guten bis sehr guten Gerät wird somit über Nacht ein energieeffizienzmässig eher schlechtes Gerät!

Auf lange Sicht ist davon auszugehen, dass Energiestädte Gold eigentliche Scheingold-Städte sind, wenn sie sich nicht endlich schnell und deutlich Richtung null Treibhausgas-Emissionen und 100 Prozent erneuerbare Energien bewegen.


Der Vollständigkeit halber: auch die Festlegungen zur 2000-Watt-Gesellschaft müssen sich verändern. 1 Tonne (Stadt Zürich) oder gar 2 Tonnen (Stadt Winterthur) CO2-Äquivalente pro Jahr und Person in Jahr 2050 passen nicht zu den Vorgaben des Pariser Klimaschutz-Übereinkommens. Allerdings ist auch die im Herbst 2020 erfolgte Anpassung des «Leitkonzeptes für die 2000-Watt-Gesellschaft» – mit dem Claim «2000 Watt 2050 – Netto Null Treibhausgase mit 100 % erneuerbarer Energie» – noch nicht konform mit dem Pariser Klimaschutz-Übereinkommen. Auch hier braucht es deutliche weitere Veränderungen!


Auch für Energiestadt und damit verbunden für die Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft gilt die Aussage des Weltklimarates IPCC vom Oktober 2018: Klimapolitik erfordert schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft!

Dazu gehört auch: Ein wirtschaftlich und sozial verträglicher Ausstieg aus der Kernenergie und der CO2-intensiven Energiewelt ist schon mit den heute bekannten technischen und finanziellen Mitteln grundsätzlich möglich … wenn wir wollen. (Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), 14. Januar 2020).