Die Gesetzgebung der Schweiz sieht vor, dass auch Personen mit Schweizer Bürgerrecht, die im Ausland wohnen («AuslandschweizerInnen»), dem nationalen Parlament angehören können. Andererseits setzt das Unmittelbarkeitsprinzip der direkten Demokratie persönliche Anwesenheit an den Parlamentssitzungen voraus. Gewählte ParlamentarierInnen mit Wohnsitz im Ausland müssen somit einiges an Distanzen überwinden, mit entsprechenden ökologischen Auswirkungen. Wer hat diese Belastungen zu tragen, und gelten für Personen aus dem links-grünen Parteienspektrum andere Anforderungen als für VertreterInnen aus rechts-nationalen und -liberalen Parteien?
Es ist vorerst positiv zu vermerken, dass der mögliche Zürcher SP-Nationalratskandidat Tim Guldimann die Frage selber stellt, ob ein Parlamentsmandat für AuslandschweizerInnen angesichts der zahlreichen (Flug-)Reisen überhaupt zulässig ist; selbst bei Reisen mit dem ökologisch vorteilhafteren Nachtzug stellt sich diese Frage.
Bei ökologischen Bilanzierungen stellt sich immer auch die Frage, was Gegenstand der persönlichen Bilanz ist und welche Bilanzanteil von der Gesamtheit der Gesellschaft mitzutragen sind. Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch rechnete im Jahr 2010 ihre Flüge zur Präsentation des Zürcher Beitrags an der Weltausstellung in Shanghai ihrer persönlichen Ökobilanz an, auch wenn dies eine Aufgabe im Rahmen ihrer Amtstätigkeit war. Mag sein, dass bei solchen Reisen immer auch noch eine persönliche Komponente mit hineinspielt, zum Beispiel durch das Anhängen von einigen Ferientagen am Bestimmungsort, mag sein, dass die AmtsträgerInnen von ihren PartnerInnen begleitet werden, was durchaus zu den Repräsentationsaufgaben des Amtes gehören kann – derartige ökologische Folgen sind von der Allgemeinheit zu verantworten, und daher findet sich in allen individuellen Ökobilanzierungstools unter anderem ein Sockelbeitrag als individueller Anteil an den Gesellschaftsaufgaben. Wohlverstanden: dies kann nicht als Freipass für AmtsträgerInnen verstanden werden, die Amtstätigkeit ohne ökologische Sensibilität wahrzunehmen!
Wenn die Gesetzgebung davon ausgeht, dass AuslandschweizerInnen im Parlament Einsitz nehmen können, gehört dazu das Bewusstsein, dass gewählte ParlamentarierInnen an den Sitzungen persönlich teilzunehmen haben. Das gilt für Tim Guldimann mit dem derzeitigen Wohnsitz Berlin genau so wie für eine Parlamentarierin/einen Parlamentarier mit Wohnsitz z.B. im Val Mustair oder im Bergell (unabhängig von kandidierenden und/oder gewählten Personen). Neben den langen Anreisewegen mit entsprechenden ökologischen Aspekten ist zu erwähnen, dass darüber hinaus ein Zweitwohnsitz in Bern oder Umgebung zwingend ist, mag sein, dass dies auch für ParlamentarierInnen mit kürzeren Reisewegen zutrifft. Das heisst: der reale Betrieb des Parlaments führt zu ökologischen Belastungen, die sich aus dem Wesen der Parlamentsarbeiten ergeben, und diese sind nicht durch die gewählten Personen, sondern die Allgemeinheit zu tragen. Der Satz «Topdiplomat Tim Guldimann will von Berlin aus für die SP in den Nationalrat. Doch das ist nicht kompatibel mit der 2000-Watt-Gesellschaft, wie sie die Genossen fordern.» aus dem Tages-Anzeiger stellt (einmal mehr) ökologische Aspekte falsch dar.
Sowohl die exemplarisch verstandene Reise von Stadtpräsidentin Corine Mauch nach Shanghai, die mögliche Politpendlerei Berlin-Bern des möglichen Nationalrats Tim Guldimann als auch die Reisen (und Zweitwohnsitze) von ParlamentarierInnen mit – aus Sicht Bern – Wohnsitz in Randregionen führen trotzdem zu einer Frage, die über die Ökobilanz von PolitikerInnen hinaus von Bedeutung ist: braucht es denn wirklich immer das Unmittelbarkeitsprinzip? Die heutigen technischen Möglichkeiten etwa von Videokonferenzen sollten auch als Denkoptionen für Parlaments- und Kommissionssitzungen geprüft werden. Nicht als Regel, aber als Option zur Verminderung der ökologischen Belastung, aber auch zur Mehrung des Zeitwohlstandes. Dies gilt durchaus nicht nur für die Politik, sondern auch in übrigen Alltagsbereichen von Gesellschaft und Wirtschaft, im Wissen darum, dass physische Präsenz zumindest in gewissen Situationen unverzichtbar ist. Es braucht hier den gesellschaftlichen Konsens, dass die Verminderung der zurückgelegten Distanzen auch zu den Handlungsmöglichkeiten auf dem zur 2000-Watt-Gesellschaft gehört.
Die Uni Kassel hat kürzlich unter dem Titel «Umstrittene CO2-Kompensationen schützen das Klima» mitgeteilt: «Freiwillige Kompensationszahlungen für privaten CO2-Ausstoß tragen zum Klimaschutz bei. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Universitäten Kassel und Hamburg. Damit widerlegen sie die verbreitete These, wonach es sich bei diesem sogenannten CO2-Offsetting um bloßen Ablasshandel für Klimasünden handelt, der sogar negative Effekte für das Klima haben könnte.»
Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich durch Klimaschutz-Kompensationszahlungen allein der massiv übermässige Ausstoss von Treibhausgasen der reichsten Länder nicht ungeschehen machen lässt. Hier ist in aller Deutlichkeit einer Mehrheit der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates zu widersprechen, die am 21. April 2015 zum Schluss gekommen ist, das ehrgeizige Reduktionsziel bei den Treibhausgasen lasse sich nur erreichen, wenn für die Hälfte der erforderlichen Reduktion CO2-Zertifikate im Ausland eingekauft werden dürften.
Es ist zwar zutreffend, dass die bisherige Klimaschutzpolitik der Schweiz langfristig nicht zielführend ist – es braucht so rasch als möglich den gesellschaftlichen und politischen Konsens zum Ausstieg sowohl aus der Atomenergie als auch den fossilen Energien.