Die stark vom Menschen geprägte Klimaerhitzung ist uneingeschränkt als Krise zu bezeichnen. Die Corona/COVID19-Pandemie wird als Krise wahrgenommen. Was lernen wir aus dem Umgang mit Krisen?
«Wenn wir in ein paar Jahren zurückblicken, werden wir feststellen: die von Menschen gemachte Klimaerhitzung, die zumindest eine interessierte Welt seit langer Zeit beschäftigt, wurde sträflich unterschätzt. In China, den USA und in Europa, auch in der Schweiz. Nur so ist es zu erklären, dass trotz eindeutigen Warnungen von Wissenschafter*innen, Expert*innen und der Jugend viel zu langsam der Verbrauch an fossilen Energien und damit die Zunahme der Klimaerhitzung eingeschränkt wurde. Stattdessen feierten die Leute weiter, in ihren Wohnungen, auf den Strassen und Pärken, in den Ferien, bei Kultur- und Sportanlässen». Fast so stand es zu Beginn eines Meinungs-Artikels von Arthur Rutishauser in der Sonntagszeitung vom 29. März 2020. Das Original trägt den Titel «Eine Belastungsprobe für unsere mündige Demokratie», und es geht um den Umgang der Schweiz mit dem Coronavirus.
Nicht jede Krise sieht gleich aus. Auch wenn Pandemien mit mehr oder weniger langen Abständen vorkommen, beträgt die Zeit von der Wahrnehmung bis zu Reaktionen einige wenige Tage bis Wochen.
Der von Menschen gemachte Klimawandel wurde auch darum zur Klimakrise, weil unter dem Einfluss der fossilen Misswirtschaft viel zu wenig für den Klimaschutz getan wurde – siehe dazu etwa das Buch Losing Earth („Der Verlust der Erde“) von Nathaniel Rich.
In Krisensituationen sind «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft» – ein Zitat aus einem Bericht des Weltklimarats IPCC aus dem Jahr 2018 – erforderlich. In der Schweiz haben der Bundesrat, die Kantonsregierungen und zum Teil die Gemeinde- und Stadtregierungen in Notverordnungen ohne die üblichen demokratischen Abläufe reagiert. Interessanterweise haben viele, die auch beim Klimaschutz nicht wirklich handeln wollen, vor allem über den Verlust von «Freiheiten» lamentiert.
Gehört beispielsweise «Rauchen» zu diesen Freiheiten? Menschen schädigen dabei nachweislich ihre Gesundheit (und zum Teil auch jene von Passivraucher*Innen) – und sie reagieren mit hoher Wahrscheinlichkeit empfindlicher auf den Corona-Virus. Bei Missachtung des «Physical Distancing» geben angesteckte Personen Corona/Covid19 an andere weiter.
Ist der Verbrauch von fossilen Brenn- und Treibstoffen ebenfalls als Freiheit zu verstehen? Dies im Wissen darum, dass das bei sachgemässer Verwendung fossiler Energien ausgestossene Treibhausgas CO2 ein Gift für das Weltklima ist – falls es nicht gelingt, die Mensch gemachte Klimaerhitzung deutlich und schnell zu begrenzen, wird dies zu erheblichen Auswirkungen auf Mensch, Gesellschaft und Umwelt führen. Zu erwarten sind auch massive gesundheitliche Auswirkungen, zusätzlich zu den Gesundheitsschäden, die eine Folge von Luftschadstoffen sind, die bei der Verbrennung von fossilen Energien ebenfalls entstehen. Angesichts dieser bekannten Auswirkungen ist es geradezu ein Hohn, dass die Verbrennung dieses schädlichen Energieträgers mit Freiheit in Verbindung gebracht wird.
Die Klimakrise aufgrund der Klimaerhitzung erfordert wie oben festgehalten «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft». Angesichts der Krisensituation ist zu erwarten, dass die Politik in ordentlichen Abläufen endlich das beschliesst, was zur Abwendung der Klimakrise nötig ist.
Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen, Lehrstuhl für Management erneuerbarer Energien am Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen, hält dazu in einem Interview mit Raiffeisen Casa fest: «Die Demokratie hat aber offenkundig Mühe, mit dem Tempo des Klimawandels Schritt zu halten. Sie muss an Geschwindigkeit zulegen.»
Auch Dr. Christian Zeyer, Geschäftsführer von swisscleantech, hat dies am 14. März 2020 bei der Einschätzung des Entwurfs der nationalen CO2-Gesetzgebung sehr ähnlich gesehen: «Um die wissenschaftlich breit abgestützten Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, reicht die Vorlage in der jetzigen Version nicht aus. Dafür bräuchte es ambitioniertere Klimaziele und entsprechend wirksame Massnahmen.»
Da ist bloss zu hoffen, dass etwa die FDP die aktuellen Corona-Unterbrüche als Aktivierungsschub versteht, um demokratisch verankert das zu tun, was für echten Klimaschutz schnell nötig ist – und nicht aus Prinzip an einem schäbigen Kompromist (hier handelt es sich um einen vorsätzlichen Verschreiber) festzuhalten, der überhaupt nicht zielführend ist.
Die Klimastreiks der Klimajugend haben immer wieder auch den «System Change» gefordert. Wir müssen weg von der Wachstumsgesellschaft, wir müssen weg von der Konsum- und Wegwerfgesellschaft – dazu passt der Spruch «all you need is less». Der Wachstumszwang steht ganz offensichtlich gegen menschliche Freiheiten, auch Konsum und Wegwerfen führen zu weiteren Zwängen, sowohl für die Gesellschaft als auch für Menschen. Objektverweise ist es Zeit für eine neue Epoche: es braucht den Aufbruch zur Postwachstums-Gesellschaft, dies auch zur Förderung einer globalen Wohlstandsgerechtigkeit.
Vermehrtes Arbeiten im Home Office ist eine der Reaktionen auf die diversen Vorgaben in Corona-Zeiten. Bekanntlich ist Verkehr eine Behinderung der Mobilität – es wird spannend sein, ob nach den Corona-Massnahmen ein Meinungsumschwung stattfindet. Pendeln, egal ob mit dem ÖV oder dem MIEV (auch wieder ein vorsätzlicher Verschreiber), muss generell weniger werden. In Ergänzung zum Home Office bietet sich das geteilte Büro in Wohnungsnähe an – ideal ist, wenn alle Alltags-Mobilitätsbedürfnisse mit 7’000 täglichen Schritten abgedeckt werden können, allenfalls ergänzt mit Velo-Etappen. Dazu passt: «Wenn wir gehen, werden wir kreativer!» Die Corona-Phase wird auch Hinweise darauf geben, wie Arbeit, Familie und Kinderbetreuung vereinbar miteinander gemacht werden können.
In Corona-Zeiten wurden wenige Berufe als systemrelevant bezeichnet – vor allem im Gesundheitswesen und bei der Lebensmittel- und Güterversorgung. Auffällig dabei ist, dass viele Berufstätige in systemrelevanten Funktionen am unteren Ende der Einkommensskala eingeordnet sind (und kaum politischer Wille besteht, dies zu ändern).
Dies ruft geradezu auch hier nach einem System Change: wir brauchen endlich den Wechsel zum bedingungslosen Grundeinkommen für alle, wir brauchen verbunden mit der Postwachstumsgesellschaft eine Steigerung der Bedeutung der freiwilligen oder ehrenamtlichen Arbeit. PS: Diverse Studien zum bedingungslosen Grundeinkommen für alle zeigen, dass Menschen gerne tätig sind und gerne Wirkung erreichen wollen – und Arbeiten bevorzugen, die der Allgemeinheit und nicht den individuellen Egoismen nutzen! Auch hier: wenn wir wollen, ist es möglich, für jeden Menschen auf dieser Erde ein bedingungsloses Grundeinkommen zu garantieren – verbunden in der Schweiz mit dem Ausstieg aus den Endlosdiskussionen über die generationengerechte finanzielle Altersvorsorge.
Eine positive Nebenwirkung wäre zudem, dass bei zukünftigen vergleichbaren Krisen keine Milliardenbeiträge mehr an Unternehmen erforderlich sind. PS: Gerade in der aktuellen Krisensituation ist es von grosser Bedeutung, öffentliche Gelder an Unternehmen so einzusetzen, dass sie einen Beitrag leisten zur Reduktion der Klimakrise. Denn: selbst in Corona/Covid19-Zeiten darf das Klima nicht egal sein! Klar ist: NettoNull2030 bleibt eine zwingende Notwendigkeit.
Es braucht auch eine gesellschaftliche Debatte über das Freiheitsverständnis, im Wissen um die grosse Bedeutung der ethischen Komponente, etwa von Kant formuliert im kategorischen Imperativ: «Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.» Vieles von dem, was Menschen gerade in reichen Ländern tun können, trägt zum übergrossen ökologischen Fussabdruck bei – wir können nicht wollen, dass dies zum allgemeinen Gesetz, zur Maxime für jeden Menschen auf dieser Erde wird.
Wenn wir wollen, ist die Klimakrise zumindest deutlich abschwächbar – etwa dann, wenn möglichst rasch nach 2030 auf den Einsatz fossiler Energien verzichtet wird. Bei einer akuten Krise wie der Corona-Krise sind Menschen mehr oder weniger ausgeprägt bereit, für eine gewisse Zeit auf lieb gewordene Gewohnheiten zu verzichten, wahrscheinlich im Wissen um die zeitliche Begrenztheit der Krisensituation. Für echten Klimaschutz sind – neben eher technischen Aspekten der Effizienz und der Konsistenz – Suffizienz-Massnahmen, zum Teil mit der Verabschiedung lieb gewordener Gewohnheiten und Traditionen verbunden, erforderlich. Und dies in allen Bereichen der Gesellschaft: Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Kultur, Sport, Verkehr, Konsum, Ernährung, Ferien, …
Dazu braucht es einiges an Erfolgsgeschichten aus der Zukunft, positive Climate Fiction!