«I want you to panic!» – Schöne Climate Fiction zum Umgang mit der Klimakrise: gleichzeitig auch ein Wahlkommentar

Greta Thunberg, eine bald Siebzehnjährige aus Schweden, hat die Diskussion und Handlungsabsichten zur Klimapolitik auf die städtischen Plätze und damit in die Öffentlichkeit gebracht. Weil die offensichtliche Klimakrise Handlungen erfordert, die die Gesellschaft aus dem Trott der Gewohnheiten aufrüttelt, ist «PANIC!» angebracht, damit für die Zukunft schöne Geschichten entstehen können. Eine der Empfehlungen von Greta Thunberg: macht das, was die Wissenschaft sagt!

Die Botschaften sind eigentlich schon lange bekannt: Wenn wir zum Beispiel mit dem Verbrauch von Erdöl und Erdgas so weiter machen wie bisher, hat dies erhebliche Auswirkungen auf den Planeten und damit auch auf die Menschen, die auf diesem Planeten leben. Bekanntlich sind Prognosen schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Die Wissenschaft arbeitet mit «Wenn-Dann»-Szenarien – und viele dieser Szenarien haben apokalyptischen Charakter insbesondere für das Leben, damit auch der Menschen, auf diesem Planeten. 

Es gibt mindestens zwei Möglichkeiten zur Reaktion: Menschen erachten diese Szenarien als Panikmache, und sehen keinen Handlungsbedarf. Oder Menschen nehmen diese Szenarien als Warnhinweis, als Druck auf den «Panik»-Knopf, und sind bereit, das zu tun, was zum Beispiel die Wissenschaft empfiehlt: «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft» (Weltklimarat IPCC, 2018). Offensichtlich ist, dass diese Veränderungen ohne System Change nicht zu haben sind – was die Menschen, die die erste Reaktionsmöglichkeit bevorzugen, in ihrer wenig zukunftsgerichteten Haltung bestärkt.

Greta Thunberg hat die Klimakrise nicht erfunden – seit mindestens 30 Jahren ist einer immer grösseren Gruppe von Menschen klar, dass es so nicht weitergehen kann. Greta Thunberg hat die Stimmen dieser Menschen lauter, hörbarer gemacht. Nochmals, aus eigener dreissigjähriger Erfahrung: die Stimmen dieser Menschen waren da, die Umstände haben allerdings nur zugelassen, dass diese Stimmen sich leise flüsternd äussern konnten. Selbst wenn die Klimastreiks von Greta Thunberg kampagnenartig verstärkt sein sollten: es gibt den von Menschen gemachten Klimawandel, dieser führt zu einer Klimakrise, zu einem Klimanotstand – und wenn wir dies wollen, können wir die Klimakrise abwenden oder zumindest abschwächen.

Was zu tun ist, ist bekannt: so rasch als möglich ist der Verbrauch fossiler Brenn- und Treibstoffe auf Null zu reduzieren. Dies ist sowohl technisch möglich wie volkswirtschaftlich sinnvoll. Und ganz simpel: wer dies anders sieht, steht in einer mehr oder weniger direkten Abhängigkeit von der fossilen Misswirtschaft! Diese Abhängigkeit hat auch Stimmen geweckt, die jetzt mit lauter gewordenen Stimmen dafür sorgen wollen, dass die Abhängigkeit von den fossilen Brenn- und Treibstoffen erhalten bleibt.

Suffizienz/Verzicht, Effizienz und Konsistenz sind gefordert – nach dreissig Jahren liberaler, wenig zielgerichteter Energie- und Klimapolitik ist deutlich mehr erforderlich, im Sinne der Wiederholung braucht es «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft» (Weltklimarat IPCC, 2018). Freiwilligkeit, Anreize, gesetzliche Bestimmungen, neue Technologien, Forschung – es muss in allen Bereichen der Gesellschaft alles dafür getan werden, von den fossilen Energien wegzukommen und auf eine umfassend und nachhaltig ausgerichtete Versorgung mit ausschliesslich erneuerbaren Energien zu setzen, mit Synergien für viele andere gesellschaftliche, soziale, ökologische und ökonomische Herausforderungen auf dem Weg in die Zukunft.

Viele Climate Fiction orientiert sich an den möglichen Apokalypsen – wir brauchen mehr schöne Climate Fiction, die das Gelingen vieler offensiven Klimaschutz-Wege darstellen.



Das Wahlergebnis der Nationalratswahlen mit der deutlichen Sitzzunahme insbesondere für die grünen Kräfte ist mit Sicherheit eine schöne Climate Fiction.

Klimakrise und Klimanotstand erfordern eine andere Welt als heute. Zitat aus einem meiner Blogbeiträge: Im Werk «Die Grosse Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels» – herausgegeben von Uwe Schneidewind, begleitet von der Internetsite zukunftskunst – werden die erforderlichen Veränderungen als «moralische Revolution» (nach Appiah, 2011) bezeichnet.

Weiter mit dem Zitat:

Eine solche «moralische Revolution» läuft üblicherweise in fünf Phasen ab:

  1. Ignoranz – Problem wird nicht gesehen
  2. Anerkennung, aber kein persönlicher Bezug
  3. Anerkennung des persönlichen Bezugs, aber Nennung von Gründen, warum kein Handeln möglich ist
  4. Handeln
  5. Im Rückblick: Unverständnis, dass die alte Praxis je bestehen konnte

Ende Zitat

Die SVP steckt voraussichtlich grossmehrheitlich in Phase 1, FDP und CVP stehen möglicherweise im Übergang von Phase 2 zu Phase 3, die SP und sicher die Grünen und die Grünliberalen stehen mehr oder weniger ausgeprägt in Phase 4. Ob sich wohl die Parteistärken vom 20. Oktober 2019 in Phasenanteile der Bevölkerung umdeuten lassen?

Die Reaktionen der SVP lassen keinen Lerneffekt – weder aus den Klimastreiks/Klimademos noch aus dem Wahlergebnis – erkennen. Im Gegenteil: bei der SVP versammeln sich offenbar die Kräfte, die unbedingt alle Veränderungen Richtung fossilfreie Gesellschaft verhindern wollen. Da ist zu befürchten, dass hier die rechtsnationale Szene versuchen könnte, eine Gelbwesten-Sache zu inszenieren. Zu beachten dabei ist, dass nicht nur die SVP ignoriert, dass die Anpassung an den Klimawandel erhebliche Kosten zur  Folge haben werden, die nicht nur von den Betroffenen zu bezahlen sein werden. PS: Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sind die Kosten für die Klimaanpassung deutlich höher als die Kosten für den Klimaschutz. 

FDP und CVP suchen in ihren Klimapolitiken nach wie vor den Kompromiss. Was allerdings meint dies genau? Geht es um politische akzeptierte Kompromisse zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen zur Klimakrise. Oder geht es um Kompromisse, die den Umfang von Klimaschutz und Klimaanpassung betreffen? Oder sollen vor allem Dinge unternommen werden, die einen Beitrag zum inländischen BIP und damit vor allem für die Wirtschaft erbringen? Stichworte wären dann «Business as usual» mit neuen derzeit noch nicht vorhandenen Technologien oder Schwerpunkte bei der Erforschung von Technologien für die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre (wie typischerweise in vielen Bereichen der bisherigen Klima- und Umweltpolitik bei der Symptom- statt der Ursachenbekämpfung). Zentral wird sein, ob es gelingt, die Warmluftfloskel «Liberalismus» zu klären, um darzulegen, wie die Interessen der Allgemeinheit Vorrang vor dem Egoismus von Einzelpersonen und Gruppen erhalten.

Es wird also in nächster Zeit darum gehen, auch in der Schweiz zu verankern, dass «Weg von den Fossilen» eine moralische Revolution erfordert – mit Aussicht auf viele Erfolgsgeschichten der «Zukunftskunst» auf persönlicher und unternehmerischer Ebene!

Das Wahlergebnis vom 20. Oktober ist somit ein wichtiger Schritt – es braucht noch viele viele solcher Schritte mit viel schöner Climate Fiction!