Ist Demokratie käuflich? Selbstverständlich! Denn gerade die Volksrechte sind ein klassischer Jahrmarkt der Eitelkeiten. Auch wenn es auf den ersten Blick erschreckt, dass der Einsatz von Werbemillionen über Volksentscheide oder Wahlausgänge bestimmt, so ist die Sache ganz einfach: auch individuelle Meinungen lassen sich über Marketing beeinflussen! Ist das gut oder schlecht? Falsche Frage, würde ich mal sagen.
Als die SVP im Sommer 2010 eine völlig absurde Umfrage mit lauter Scherzfragen startete, war dies in erster Linie ein Macht-Signal und nicht eine politische Botschaft: die SVP gab zu erkennen, dass sie selbst für ein Nichts über die Mittel verfügt, jeden Haushalt in der Schweiz mit einem Marketing-Flyer zu beliefern, unbesehen von Robinson-Listen, unabhängig von der politischen Einstellung der Beworbenen: invasives Marketing also. Dass die anderen Parteien auf dieses Thema angesprochen haben, dass etwa die Grünen „enthüllt“ haben, dass diese Umfrage hochgradig manipulierbar war, war zusätzlicher Marketing-Erfolg dieser Geldverschleuderung. Auffällig im übrigen, dass nicht einmal die Grünen die Ressourcenverschleuderung dieses Druckvolumens thematisiert haben …
Das SVP-Marketing zielt nicht auf die links-grüne Wählerschaft (die sogenannten WechselwählerInnen, die mal rinks, mal lechts wählen, sind nämlich ein Phantom), es geht darum, den eigenen WählerInnen und einem Dunstkreis von potenziellen WählerInnen die Anwesenheit und die Verkaufsbereitschaft zu belegen.
Es ist definitiv erwiesen: die SVP hat keine politischen Inhalte (respektive sie sind absolut unbrauchbar, weil sie neben der Zeit und den Fakten stehen). Die SVP versteht es marketingmässig hervorragend, aus absoluten Nichtthemen (Stichworte Minarett-, Ausschaffungsinitiative) politische Hits zu generieren. Dazu kommt eine gesellschaftspolitische Grundhaltung: die SVP verstärkt das bei einem Teil der Bevölkerung vorhandene Stammtisch-Gefühl, benachteiligt zu sein, und gleichzeitig dafür Schuldige zu bezeichnen, die schlicht und einfach gar nichts dafür können – etwa den Staat, die Schule, die Linken, Grünen oder Netten. Und dies ausdrücklich in einem Land mit einem massiv übergrossen ökologischen Fussabdruck (was zwar von der SVP bestritten wird), in einem Land allerdings auch, in welchem der Vermögens-Graben zwischen Superreichen (Typus Blocher) und den durchschnittlich wohlhabenden Menschen immer grösser wird. Diesen Graben haben ForscherInnen als Angriff auf die Lebensqualität ermittelt: je gleichmässiger die Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum ausfällt, desto weniger materielle Ressourcen sind notwendig, um ein gleiches Mass an Lebensqualität zu erreichen. Der autokratische strategische SVP-Vizepräsident Christoph Blocher, massgeblicher SVP-Finanzierer, ist also mit ein zentraler Grund für die Unzufriedenheit, welche die SVP mit ihren Marketing-Kampagnen den Wählenden und Abstimmenden einimpfen möchte!
Weiss denn die SVP nicht, dass sich auch die Schweiz ändern muss, dass sich die SchweizerInnen ändern müssen, wenn dieses Land eine Zukunft haben soll? Abgesehen davon, dass sich die Schweiz trotz SVP ändert, weiss dies die SVP. Sie spielt bewusst mit einer „kleinen“ Differenz: die SVP hat zwar den Anspruch, wählerstärkste Partei zu sein, tut aber so, wie wenn sie eine Mehrheitspartei wäre. Das heisst: einzelne relevante Volkswirtschafts- und Gesellschaftsthemen sind in der Schweiz auch ohne Zustimmung der SVP mehrheitsfähig – bei anderen ist der Leidensdruck noch nicht so gross, dass eine Einigung auch ohne SVP offenbar (vielleicht auch nur scheinbar) noch nicht erforderlich ist. Und ungelöste Probleme sind ja wieder Wasser auf die Mühle der SVP, die einmal mehr behaupten kann, die „Classe politique“ – zu der die SVP ohne Wenn und Aber gehört – mache so oder so, was sie wolle.
Gibt es sinnvolle Marketing-Strategie für die anderen Parteien, um neben der Zechpreller-Partei SVP bestehen zu können? Ja! Vorerst: die Abstimmungsparole „das Gegenteil der SVP“ funktioniert nicht! Es braucht glaubwürdige inhaltliche Konzepte für sehr viele Zukunftsthemen – etwa für den Übergang zu LOVOS (Lifestyle of voluntary simplicity). Dazu gehört auch eine Migrationspolitik, die die Ursachen von ökonomisch und ökologisch bedingten Wanderungsbewegungen – einmal mehr den übergrossen ökologischen Fussabdruck der Reichsten dieser Erde (und dazu gehören nicht nur sämtliche SVP-WählerInnen) respektive die nicht-nachhaltigen Zechprellergesellschaften – thematisiert und Abstand nimmt von fremdenfeindlichen und rassistischen Grundhaltungen. Die SVP hätschelt eine latent vorhandene Veränderungsangst, im vollen Wissen darum, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist!
Wenn Marketing ein Instrument der Demokratie ist, muss zwingend bekannt sein, welche politischen Gruppierungen welche finanziellen Mittel aus welchen Quellen einsetzen. Alles andere ist verlogen – und ist schlichte Manipulation respektive lässt den Schluss zu, dass selbst in einer direkten Demokratie Wählende und Abstimmende käuflich sind. Offenbar will insbesondere die SVP diese Transparenz nicht schaffen, um zu verhindern, dass die Öffentlichkeit erfährt, wie käuflich die Wählenden und Abstimmenden tatsächlich sind. Denn gerade in der Politik ersetzen Marketing-Mittel einen Teil der politischen Allgemeinbildung: gemäss Untersuchungen sind „Konservative weniger intelligent …“
Nachtrag 28.12.2010: Auch die NZZ schreibt dazu unter dem Titel Parteien gehen mit Millionen auf Stimmenfang – unter anderem mit dem Hinweis, dass (Zitat) die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) der Schweiz ebenfalls mehr Transparenz empfiehlt (Ende Zitat).