Olympiade: Sport ist auch Politik!

Im Zürcher Kult-Comic von Jaermann/Schaad (Tages-Anzeiger) vom 11. März 2008 ging Eva der Frage nach, warum denn die Abkürzung EM für „Europameisterschaft“ durch EURO ersetzt worden sei. Die Antwort von Eva: „Es geht nur noch um Geld„.

Bei den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking geht es nicht nur um Sport – es geht auch dort um Geld, um sehr viel Geld. Und es geht eben doch auch um Politik!

Beim Sport geht es um viel Geld. Zuerst einmal beim Spitzensport – die modernen GladiatorInnen sind gewichtige Treibkräfte einer gewaltigen Freizeitindustrie. Sportliche Höchstleistungen bieten Projektionsflächen für das Marketing von Produkten aller Art. Da selbst „Alltags“-Sportarten wie Wandern/Laufen unterdessen technisch aufgerüstet werden (von der Funktionsunterbekleidung über Spezialsocken bis zu den Gehstöcken), setzt der Sport Milliarden um. Davon profitieren viele – neben diversesten Unternehmen auch die nationalen und internationalen Sportverbände, zum Beispiel auch das Internationale Olympische Komitee IOC.

China als Gastgeber der olympischen Sommerspiele 2008 gilt als diktatorisch und undemokratisch. Minderheiten haben einen schweren Stand, die Menschenrechte sind in keiner Art und Weise gewährleistet. Die Auseinandersetzungen in Tibet sind letztlich eine direkte Folge der Macht- und Unterdrückungspolitik der chinesischen Führung (darum auch die sture Haltung der Chinesen und anderer ähnlich strukturierter Staaten im Bezug z.B. auf den Kosovo, mehr dazu).

China als Volkswirtschaft mit einem aktuell deutlich zunehmenden Bruttoinlandprodukt gilt in vielen anderen Volkswirtschaften, aber auch bei vielen Unternehmen als Zukunftsmarkt. Aufgrund der Grössenverhältnisse ist davon auszugehen, dass China zumindest versucht, die Bedingungen für den Handel vorzugeben. Die in den letzten Jahren gehäuften Fälle von schadstoffbelasteten Gütern (z.B. Spielzeuge) aus chinesischer Produktion zeigen, dass es einen erheblichen Aufwand braucht, um die Unternehmen in China dazu zu bringen, in den USA und in Europa hart erkämpfte Standards – Stichwort KonsumentInnen-Schutz – zu respektieren (dahinter steckt die schwierige Frage, ob China als entwickelnde Volkswirtschaft nicht auch das Recht hat, die selben Fehler zu wiederholen, wie sie in den letzten Jahrzehnten wenn nicht gar Jahrhunderten in den USA und in Europa gemacht wurden). Angesichts der Grösse von China ist es durchaus verständlich, dass auch von ökologischer Seite Ansprüche formuliert werden. Denn: auch wenn in China der Pro-Kopf-Energieverbrauch deutlich kleiner ist als in den USA oder in Europa, absolut betrachtet ist China einer der grössten Emittenten von Treibhausgasen. Auch dies ein Abbild der globalisierten Wirtschaft: viele FachexpertInnen orientieren sich schon lange nicht mehr an Landesgrenzen, sondern an den grossen Herausforderungen und den Aufgaben der Gegenwart, unabhängig davon, wo auf dem Globus die Arbeit zu leisten ist (zum Beispiel Energie/Nachhaltigkeit oder Architektur).

China ist Gastgeber der olympischen Bewegung, die teilnehmenden AthletInnen (und damit die hinter ihnen stehenden nationalen Sportverbände) sind somit Gäste Chinas. Hier kommt es auch zu einer Kultur-Kollision: China und Europa/USA haben unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche „Pflichten und Rechte“ Gastgeber und Gäste zu respektieren haben – gerade im Hinblick auf die Menschenrechtsfrage lässt China nicht mit sich reden.

Wie diverse Beispiele der Weltgeschichte – seien es Israel, Irak, Iran, Kosovo, China – zeigen, gibt es noch keine globale Strategie zur Entwicklung gemeinsamer Werte (z.B. in Anwendung/Weiterentwicklung des Weltethos) und der dazu erforderlichen Umsetzungsarbeiten. Nur so ist zu erklären, wie hilfslos die Weltöffentlichkeit im allgemeinen, aber auch die Sportöffentlichkeit im speziellen auf die schlimmen Gewaltexzesse der chinesischen Machthaber in Tibet reagiert.

Es handelt sich dabei um ein klassisches Dilemma:

  • Gewalt im allgemeinen ist generell abzulehnen – Gewaltanwendende müssen gerügt und aufgefordert werden, solches Tun zu unterlassen.
  • auch wenn es um Sport, um den olympischen Gedanken geht: wie sollen SportlerInnen damit zu recht kommen, dass jene, die verantwortlich sind für die Gewaltanwendungen, die gleichen sind, die letztlich die Gastgeber-Verantwortung für die olyampischen Sommerspiele tragen?
  • Wie kann an einem solchen Anlass im Wissen um das Blutvergiessen im Umfeld Freude aufkommen?
  • Was ist wichtiger: das Festhalten an den eigenen Vorstellungen (auch ethischen Ueberlegungen wie beispielsweise den kantschen Imperativ) wie Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte – oder das Intakthalten der ökonomischen Hoffnungen der eigenen Volkswirtschaft?
  • Wie kann bei allem Respekt vor der Souveränität eines anderen Staates Einfluss genommen werden, damit in diesem Staat Missstände abgebaut werden (dies schafft wiederum Bezüge zum Konflikt über die Bedeutung von Steuerhinterziehung in Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz)?
  • Oder ist es das Schicksal der Menschheit, dass „zuerst das Fressen, dann die Moral“ (Brecht) kommt.

Es ist davon auszugehen, dass es keine Lösung gibt (darum Polylemma), die wirklich gut ist, bei denen es nur Gewinnerinnen gibt. Auf jeden Fall ist – unabhängig von den olympischen Spielen – lauter Protest nötig (siehe zum Beispiel die Medienmitteilung des eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten vom 15.3.08), von Staaten, von Unternehmen, die in China aktiv sind, von Verbänden wie dem Internationalen Olympischen Komitee. Aber auch KonsumentInnen sollten Firmen mit China-Engagement daran erinnern, dass sich diese bei ihren Geschäftspartnern für Menschenrechte und Demokratie engagieren. Denn: wer schweigt, macht sich an den Verstössen gegen die Menschenrechte zumindest moralisch mitschuldig. Dass beispielsweise am Sonntag, 16. März 2008 kein Protest auf der IOC-Internet-Seite zu finden ist, ist unverständlich und nicht akzeptabel. immerhin hat der Chef von Swiss Olympic, Jörg Schild, das IOC öffentlich zu einer Intervention aufgefordert! Was seit dem 23. März 2008 zu den Menschenrechten auf der Internet-Seite des IOC steht, ist geradezu verantwortungslos – Geld und gedankenlose Verherrlichung des Sports steht für Jacques Rogge, den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, nach wie vor an erster und eigentlich einziger Position.


Petition der Reporter ohne Grenzen – Quelle des Bildes der Olympiaringe aus Handschellen.