Schnee: Grenzen erfahren

Weiträumig hat das Wetter für länger anhaltenden Schneefall in mehreren Etappen gesorgt rund um die Weihnachtsfesttage 2010. Dass das (Menschen-)Recht auf Mobilität nicht gleichbedeutend ist mit einem Recht auf Verkehr, ist zwar längst bekannt, wird aber erst in einer solchen Situation einer grossen Zahl von Menschen bewusst. Da eine grosse Zahl von Ländern mit unterschiedlichen politischen Systemen betroffen sind, wird ebenso klar, dass es hier nicht um das Versagen von Regierungen oder Verwaltungen geht, sondern um tatsächliche Grenzen der menschlichen Gesellschaft. Da vor allem der Personen- und der Güterverkehr, andere Lebensbereiche aber deutlich weniger betroffen sind, wird sichtbar, dass unsere Verkehrssysteme alles andere als nachhaltig sind.

Viele Menschen gerade in Mitteleuropa erwarten als Beweis für den Menschen gemachten Klimawandel, dass die Winter milder werden, dass sich der Schneefall und die vereisten Fahrbahnen bitte auf die alpinen Skigebiete beschränken sollen. In ihrem Wohn- und Arbeitsumfeld erwarten die Menschen, dass das Leben in ganz geordneten Bahnen abläuft, mit oder ohne Wetterkapriolen. Klar ist: auch bei einer kräftigen klimatischen Veränderung gehören auch längere Schneefallepisoden zu den möglichen Wetterereignissen zumindest in Mitteleuropa.

Der Vulkanausbruch in Island mit flugverkehrsbehindernden Aschewolken, eine sommerliche Hitzeperiode insbesondere in Deutschland mit massiv überhitzen Eisenbahnzügen, und jetzt dieser Weihnachtsschnee: das Selbstverständnis der mobilen Gesellschaft ist ziemlich angeknackst! Wenn nicht einmal die übers Internet bestellten Amazon-Buch- und Medien-Bestellungen rechtzeitig ankommen, scheint Konsum-Notstand zu herrschen. Das Verkehrssystem und der damit verbundene Lebenswandel ist nicht nachhaltig: Das Lob des kleinen Alltagsradius! Ökologische Verkehrsmittel sind zwar eine gute Wahl – aber nicht zu übertreffen durch das Velo und die Füsse.

Es stimmt, derzeit sind die Strassenverhältnisse auch für Velofahrende und zu Fuss Gehende eher schwierig. Einerseits die schwierigen meteorologischen Verhältnisse – grössere Temperaturwechsel, grosse Niederschlagsmengen, häufig als Schnee, andererseits die Festtage mit einer sehr starken Belastung der Pikett-Mitarbeitenden der Verkehrswege-Unterhaltsdienste sind für Verkehrsteilnehmende eine grosse Herausforderung. Nicht unterwegs sein zu müssen ist unter solchen Verhältnissen ein echter Beitrag zur Lebensqualität. Wer unter derartigen Umständen jederzeit automässig befahrbare Strassen oder auch von am Stock gehenden Menschen begehbare Trottoirs erwartet, verlangt letztlich nichts anderes als ein grosses Dach über den Städten und Dörfern.

Ob es genügend Salz hat oder nicht, spielt rational gar keine Rolle in dieser emotionalen Debatte. Auch mit unbegrenzt verfügbaren Salzreserven könnte man die von einem mehr oder weniger grossen Teil der Stammtisch-DiskutiererInnen gewünschte Schwarzräumung nicht erreichen, lächerlich sind dabei eigentlich nur jene, die sich einen Steuerstreik überlegen (als Wiederholung: der Schnee schlägt „gnadenlos“ zu, unabhängig vom politischen System, den gerade geltenden Mehrheitsverhältnissen oder den ökonomischen Zuständen). Spannend auch die Unzahl von Alternativen von Schwarz- oder Nichtschwarz-Schneeräumungstricks, auch wenn längst klar ist, dass die vorgeschlagenen Alternativen sich bereits als unbrauchbar herausgestellt haben (Holzschnitzel, zum Teil Splitt), auch auf Salzbasis aufbauen (Stichwort Sole, braucht einfach etwas weniger Salz) oder zu erheblicher zusätzlicher Arbeitsbelastung führen.

Salz vermag tatsächlich unter bestimmten meteorologischen Bedingungen einen Beitrag zur besseren winterlichen Benutzbarkeit von Verkehrsflächen leisten – dieser „Schutz“ ist aber nicht absolut, denn das zweibeinige Wesen Mensch mit dem hoch gelegenen Schwerpunkt ist nun mal sturzgefährdet, auch ohne winterliche Glätten. Salz ist zudem nicht wirklich erneuerbar und nur mit grossem Aufwand (Energie, Logistik) in streu- oder ausgiessbare Form zu bringen. Zu beachten ist zudem: völlig harmlos ist Salz nicht! Der Niedergang der historischen Kultur der Sumerer in Mesopotamien ist zu einem erheblichen Teil auf die Versalzung der Böden zurückzuführen – in diversen intensiv genutzten Anbaugebieten der Erde führen ungeeignete Bewässerungstechniken zu ähnlichen Folgen. Auch wenn derzeit viele Böden in der Schweiz nicht mehr als Fruchtfolgeflächen Verwendung finden: versalzte Böden sind nur noch eingeschränkt für die Stadtbegrünung tauglich – und Stadtgrün trägt in erheblichem Umgang zu einem menschenfreundlichen Stadtklima während sommerlicher Hitzeperioden bei!