Demokratie und Rechtsstaat auch beim Einkaufszentrum mit Stadion

Eine Rechtsschutzversicherung wirbt derzeit mit dem Spruch

„Ist Ihr Gegner übermächtig? – Wir verhelfen Ihnen zu Ihrem Recht.“

zwei Dinge lassen sich daraus ableiten:

  • Grösse, Macht sind keine Kriterien dafür, ob die Position, die vom Mächtigen vertreten wird, auch tatsächlich aus rechtlicher Sicht zutrifft.
  • Es ist richtig und legitim, sich für die eigenen Rechte einzusetzen, gerade in einem Rechtsstaat.

Beim Neubau für das Einkaufszentrum mit Stadion Hardturm in Zürich scheinen diese Grundsätze ausser Kraft gesetzt.

  • Stadträtin Kathrin Martelli etwa erwartet, dass die Höhe des Ja-Anteils bei der bevorstehenden Abstimmung „ein Signal an die Gerichte sei, nicht Jahre zu brauchen, um Entscheide zu fällen“.
    Diese Aussage ignoriert das Wesen des Rechtsstaates – Legislative, Exekutive und Judikative sind drei unabhängige „Gewalten“ eines Rechtsstaates. Es geht nicht an, dass die Deutlickeit eines Abstimmungsergebnisses der Legislative eine Vorgabe an ein Gericht bedeuten kann, wie schnell, d.h. wie unbefasst, korrekt, grundsätzlich, ein Sachgeschäft zu prüfen ist. Es ist ebenfalls nicht zulässig, dass die Vertreterin der Exekutive in die Arbeitsweise der Gerichte eingreifen will. Gerade die Unabhängigkeit der drei Gewalten des Rechtsstaates ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren genau dieses Rechtsstaates: es muss sichergestellt werden, dass sämtliche Entscheide des Souveräns auf ihre Verträglichkeit mit den übergeordneten Bestimmungen durch eine von Legislative und Exekutive unabhängige Instanz überprüft werden können. Die erforderliche Zeit für die Behandlung allfälliger Rekurse ist der Preis des Rechtsstaates – genau jener Preis, der es auch einem/einer Einzelnen erlaubt, selbst gegen einen „übermächtigen Gegner“ zu seinem/ihrem Recht zu kommen.
  • Bei der Diskussion im Zürcher Gemeinderat wurden die in Aussicht stehenden Rekurse bereits als „Zwängerei“ dargestellt. Demokratie ist allerdings keine „Diktatur der Mehrheit“; abgesehen davon, dass sich auch Mehrheiten irren können (in der Geschichte gibt es viele Beispiele dafür). Die Stärke des Rechtsstaates besteht eben darin, dass auch ein Mehrheitsentscheid im Rahmen der durch den Rechtsstaat vorgegebenen Verfahren durch eine unabhängige und unbefasste Instanz beurteilt werden können/müssen, selbst um den Preis, dass ambitiöse Terminvorgaben, die die rechtsstaatlichen Grundsätzlichkeiten nicht berücksichtigen, nicht eingehalten werden können.
  • Ebenso wurde verlangt, die aufschiebende Wirkung bei Rekursen nicht zu gewähren. Nur: angenommen, die Bauherrschaft beginnt auf eigenes Risiko mit dem Neubau, zuerst also den Abbruch des bestehenden Stadions. Wie frei und unabhängig könnte ein Gericht angesichts der neuen Sachzwänge wohl noch entscheiden?

Während Jahrzehnten war es möglich, Fussballstadien ohne sogenannte Mantelnutzungen zu betreiben. Auch wenn in dieser Zeit die Gehälter der Fussballspieler weit stärker gewachsen sind als das Einkommen des Durchschnittshaushaltes, ist dies sicher keine Begründung dafür, dass Stadien nur noch als Public-Private-Partnership-Projekte (PPP) realisiert werden können. Warum müssen zwingend sämtliche Stadionprojekte in der Schweiz mit riesigen Einkaufszentren kombiniert werden? Freizeit (dazu gehört auch passiver Zuschauersport) und Einkaufen machen bereits heute erhebliche Anteile des gesamten Verkehrsvolumens aus, besonders beim Autoverkehr. Und die aktuellen Entwicklungen weisen darauf hin, dass weiterhin mit erheblichen Zunahmen zu rechnen ist – entgegen allen umwelt- und klimaschutzpolitischen Vorgaben.

Die Vogänge um das Stadion Hardturm weisen darauf hin, dass die Politik von PPP erheblich überfordert ist, sich die Öffentlichkeit von den privaten „Partnern“ die Bedingungen für die Zusammenarbeit muss diktieren lassen (vielleicht auch diktieren lassen will, nach dem Motto „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“). Eines ist klar: Private machen keine Geschenke, ein solches Projekt muss sich für sie rentieren. Die Politik hat es nicht geschafft, grundsätzlich über PPP zu diskutieren und sich Gedanken darüber zu machen, in welchen Bereichen PPP zulässig ist und wo nicht. So ist etwa sicherzustellen, dass Private keinen Einfluss auf Politikbereiche nehmen, die zwingend der demokratischen Kontrolle zu unterstehen haben, also etwa Umwelt-, Verkehrs- und Raumordnungspolitik. – Umso wichtiger, dass ordnungsgemäss durchgeführte rechtsstaatliche Verfahren dafür sorgen, dass unabhängig von Mehrheitsentscheidungen ein rechtmässiges Stadion realisiert wird.

Rekurse gegen derartige Vorhaben sind also nichts anderes als Rechtsschutzversicherungen!