Demokratie ist Initiative ist Geld

Die „Wahlen“ in Russland mit dem Slalom von Vladimir Putin zwischen repräsentativen und exekutiven Ämtern sind nicht als demokratisch zu bezeichnen. Bei allen Fragwürdigkeiten von Ratingverfahren: der Demokratieindex von The Economist zeigt innerhalb von 5 Jahren einen kräftigen „Rückgang“ der Demokratie – von einem Wert von 5.02 (=Hybrid-Regime) im Jahr 2006 auf noch 3.92 (=autoritäres Regime) im Jahr 2011 (das Maximum wird bei einem Wert von 10 erreicht, die Schweiz lag 2011 auf dem 7. Rang mit einem Wert von 9.09). Auch der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) zeigt auf, dass „politische Beteiligungsrechte und Rechtsstaatlichkeit weltweit zunehmend eingeschränkt werden„. Auch für die Demokratie in der Schweiz ist intensiv zu diskutieren, wie die Demokratie weiterentwickelt werden kann.

Koffer voll Bargeld (nach $VP einziges offizielles Zahlungsmittel), Fragen zu bezahlten UnterschriftensammlerInnen oder die Anregung, die Tätigkeit der Legislative eines der grössten öffentlichen Gemeinwesens der Schweiz zu üblichen Arbeitszeiten stattfinden zu lassen, weisen darauf hin, dass auch die Demokratie und deren reale Ausgestaltung von vielen Legenden/Mythen, Vorurteilen und Idealisierungen geprägt ist. Wie ich auch in anderen Beiträgen festgehalten habe, ist die Demokratie derzeit kein Export- und Erfolgsprodukt. Objektiverweise ist zu befürchten, dass dies damit zu tun hat, dass auch die PraktikerInnen der Demokratie nicht überzeugend genug für ihr „Produkt“ einstehen.

Mein nun zwar auch schon wieder einige Jahre zurückliegendes, dafür langjähriges Engagement für die Grünen und für Verbände, meine zwar bloss dreijährige Mitgliedschaft des Zürcher Kantonsrates als Vertreter der Grünen und seit 2007 mein Einsitz in der Synode, dem Parlament der staatskirchenrechtlichen römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich, die von mir gesammelten mehreren hundert Unterschriften, unzählige Leserbriefe und Bloeginträge zu politischen Themen lassen es durchaus zu, einige Ausführungen zur Weiterentwicklung der politischen Arbeit im Rahmen eines demokratischen Rechtsstaates anzubringen.

PolitikerInnen überschätzen die Bedeutung der Politik massiv. Politik soll und kann nur Regeln festsetzen für Themenbereiche, in denen mehrheitsfähige Positionen bestehen – die Politik kann letztlich weder Mehrheiten noch Positionen schaffen, dies ist eine zivilgesellschaftliche Aufgabe. Als Beispiel: dass Al Gore Position bezogen hat zur „unbequemen Wahrheit“ des Mensch gemachten Klimawandels, ist gesellschaftlich bedeutsamer als das, was er als mit illegalen Machenschaften verhinderter US-Präsident hätte erreichen können.

BerufspolitikerIn ist in diesem Land ein Schimpfwort. Andererseits lautet meine Empfehlung an PolitikerInnen, sich in ihrer Arbeit in einem Parlament vor allem mit jenen Fragen zu beschäftigen, von denen sie keine oder kaum Ahnung haben. Trotzdem plädiere ich für eine Professionalisierung der Politik. Ganz einfach: politische Arbeit soll einen ordentlichen Beitrag an die Existenzssicherung leisten – politische Arbeit soll nicht nur für Menschen möglich sein, die sich diese Arbeit leisten können oder wollen. Die Bargeldtransfers der $VP weisen darauf hin: finanzielle Unterstützung für Parteien (und wahrscheinlich auf für PolitikerInnen) erfolgt im Geheimen, wird nicht offengelegt. Demokratie lebt aber entscheidend von Transparenz. Aus meiner Sicht sind Parteien durch die öffentliche Hand zu finanzieren, mit offenen Buchhaltungen selbstverständlich, und die politische Arbeit ist existenzsichernd zu entschädigen. Wobei: gerade auch die Ermöglichung politischer Arbeit ist eine gute Motivation für das bedingungslose Grundeinkommen für alle!

Demokratie bedeutet, dass auch „Nicht-Informierte“ zur Mehrheitsbildung beitragen. Politik ist als Prozess zu verstehen, wie aus „Randgruppenthemen“ oder Partikulärinteressen Mehrheitspositionen entstehen. Heute wird die Politik von narzisstischen und machtgeilen Menschen geprägt, die Positionen nach dem Opportunitätsprinzip beziehen – die sachlichen und fachlichen Erfordernisse fallen dabei meist unter den Tisch. Heute erfolgt der Interessenausgleich zwischen den Partikulärinteressen sehr zufällig. Die hat unter anderem damit zu tun, dass weder gesellschaftlich noch politisch so etwas wie „Global Goals“ – gemeinsame Zielsetzungen – gibt (die Legislaturplanungen der Exekutiven entsprechen nicht solchen Global Goals“). Eine solche Diskussion findet nicht einmal statt in der Schweiz. Was erkennbar wird: „tiefer Steuerfuss“ ist eine Art Ersatz für inhaltliche Fragestellungen, mit einem gewissen Mehrheitspotential. Obwohl: wirklich relevant ist dies nur für Milliardäre – so etwas wie ein politisches Minimalprogramm zugunsten des alternden Autokraten Christoph Blocher also. P.S. „Minimaler Steuerfuss“ ist absoluter Unsinn. Die Politik hat sich einerseits darum zu kümmern, welche Aufgaben die öffentliche Hand zu erfüllen hat. Als logische Konsequenz sind die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen finanziellen Mittel zu bestimmen, daraus ergibt sich als simple mathematische Aufgabe der Steuerfuss. Alles andere führt zu Sozial- und/oder Ökodumping. Oder anders: nicht ohne Grund nimmt der ökologische Fussabdruck der SchweizerInnen nach wie vor zu – die Politik hat ganz simpel versagt!

Demokratie, da geht es auch um Geld. Initiativen sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Es gibt keine Initiative, die ausschliesslich auf der Strasse gesammelt wurde. Der grösste Teil der Unterschriften stammt aus eigentlichen Marketing-Aktionen, etwa das gezielte Anschreiben der Mitglieder von Parteien und Verbänden. Auch diese Unterschriften sind nicht gratis: es ist mit Kosten von mindestens zwei, eher drei bis fünf Franken pro Unterschrift zu rechnen. Bei „durchschnittlichen“ Initiativthemen lassen sich auf der Strasse etwa 15 bis 20 Unterschriften pro Stunde sammeln – oder anders mit den Zahlen der Marketing-Unterschriften: die Arbeit der UnterschriftensammlerInnen ist bis zu 100 Franken pro Stunde wert – es gibt keinen realen Grund, UnterschriftensammlerInnen nicht für ihre Präsenzzeit zu entschädigen, solange nicht auch Marketingaktionen gratis möglich sind. P.S. störend ist, dass zwar die Teilnahme an Abstimmungen mit digitalen Möglichkeiten vorgesehen ist, nicht aber die Unterzeichnung von Initativen und Referenden.

Bei Initiativen kommt dazu: wer eine Initiative startet, hat auch dafür zu sorgen, dass eine Abstimmungs-Mehrheit für das Begehren im Bereich des Möglichen liegt. Und das kostet Geld, sehr viel Geld. Auch bei der Meinungsbildung ist Marketing erforderlich. Sehr direkt: wer nicht in der Lage ist, fünf Millionen Franken für die Phasen von der Lancierung bis zur Umsetzung einer Initiative auf nationaler Ebene zu beschaffen, verzichtet besser auf ein solches Vorhaben!