Stadt Zürich: Stadträtliches Klimaziel 2040 «nicht enkelInnen-tauglich» – Gemeinderat muss nachbessern

«Netto Null 2030» ist eine der Forderungen der Klimabewegung für eine zukunftsfähige Klimapolitik. Der Stadtrat von Zürich will offenbar keine solche Klimapolitik, wie die sehr langen Ausflüchte in der am 21. April 2021 veröffentlichten Weisung dokumentieren. Es braucht auch in Zürich schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft.

2008 hat die Stadt Zürich mit der 2000-Watt-Gesellschaft eine aus damaliger Sicht visionäre Klimaschutz-Vorgabe beschlossen: bis 2050 maximal 1 Tonne CO2-Äquivalente pro Person und Jahr, bezogen auf den Endenergieverbrauch auf Stadtgebiet und den bevölkerungsproportionalen Anteil am Flugverkehr. Um 2012 wurde klar, dass diese Vorgabe nicht zu ausreichendem Klimaschutz führt. Dies wurde explizit auch durch das Pariser Klimaschutz-Übereinkommen vom Dezember 2015 festgehalten. Seither hat es die Stadt Zürich verpasst, ihre Klimapolitik an zwingende Vorgaben anzupassen.

Dazu kommt: Wie die im Sommer 2019 veröffentlichte Treibhausgas-Bilanz zeigt, hat die Stadt Zürich zwar einiges erreicht, ist aber nicht auf dem Klimaschutzpfad für die 2000-Watt-Gesellschaft, Zitat: «Bei den Treibhausgasemissionen nähert sich Zürich dem Zwischenziel, allerdings noch zu langsam.» Damit ist auch der Beitrag der Stadt Zürich zur Erreichung der Ziele gemäss Pariser Klimaschutz-Übereinkommen ungenügend.

Die Netto-Null-Strategie des Zürcher Stadtrats ist weder mutig noch enkelInnen-tauglich

Die Stadt Zürich ist also noch nicht angekommen bei den «schnellen, weitreichenden und beispiellosen Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft» (Weltklimarat IPCC, Oktober 2018)! Und leider leider will der Stadtrat von Zürich dies offenbar auch nicht, obwohl dazu eine internationale Verpflichtung besteht. Dies meint auch der Verein Klimastadt Zürich: «Die Netto-Null-Strategie des Zürcher Stadtrats ist weder mutig noch enkeltauglich. Der Stadtrat scheint die Dringlichkeit der Lage nicht zu erkennen».

Absurd dabei: aufgrund einer auf die Jetzt-Sicht fixierten schwergewichtig ökonomischen Optik wird dargelegt, dass ein ambitioniertes Klimaschutz-Ziel nicht möglich sei. Allerdings: Politische Mittel- und Langfrist-Ziele müssen sich zwingend an den wissenschaftlich begründeten Notwendigkeiten und nicht an einer eingebildeten (Nicht-)Machbarkeit orientieren. Nicht nur beim Klimaschutz ist die Abfolge «Wollen – Können – Tun» für zukunftsorientierte Vorhaben zwingend.
Anmerkung dazu: SMART (spezifisch, messbar, aktivierend, realistisch, terminiert) als Anforderung an Ziele ist hauptsächlich beim Projektmanagement zu beachten. In der Politik hat das Wollen an erster Stelle zu stehen. Können und Tun sind entsprechend zu gestalten.

Eine gewichtige Ausrede für die schnellen, weitreichenden und beispiellosen Veränderungen sind die in den letzten Jahren umgesetzten oder auch nicht umgesetzten Massnahmen. Offensichtliche Fehlentscheide der letzten Jahre wirken sich somit auf die zukunftsfähige Entwicklung aus.

In der Klimakrise ist sofortiges und schnelles Handeln zwingend

Wir stehen derzeit in einer Klimakrise. Zur Behebung der Klimakrise braucht es – absichtlich wiederholt – «schnelle, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft». Das «Geschwafel» in der stadträtlichen Weisung führt dazu, dass der dringliche Charakter der Klimapolitik nicht erkennbar wird.

Deshalb: ernsthaften Klimaschutz braucht es ab sofort, nicht erst 2030 oder 2040! Diese Aufforderung zum sofortigen und schnellen Handeln muss der Stadtrat noch nachholen, und zwar möglichst schnell! Dazu passt: Am 12. April 2021 hat das Bundesamt für Umwelt eine Medienmitteilung mit dem Titel  «Schweizer Treibhausgas-Ausstoss 2019 kaum gesunken» veröffentlicht. Ein Zitat daraus: «Um die Emissionen deutlich zu senken, ist eine Verstärkung der Massnahmen … unumgänglich». 

Gemeinderat: bitte nachbessern!

Da noch eine Abstimmung über die neuen und/oder geänderten Gemeindeordnungs-Bestimmungen ansteht, wird sich in den nächsten Monaten der Gemeinderat der Stadt Zürich mit dieser Vorlage beschäftigen. Dies bietet die Möglichkeit, die städtische Klimapolitik im Sinne der Zukunftsfähigkeit und EnkelInnen-Tauglichkeit nachzubessern. Einige Überlegungen dazu:

  • «Netto Null 2030» gehört zwingend als Vorgabe der Klimapolitik in die Gemeindeordnung. Dazu gehört auch der Verzicht auf CO2-Entnahmen und -Lagerungen.
  • Wir wollen Klimaschutz, und zwar sofort und in allen Bereichen der Gesellschaft! Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen diese Botschaft vermitteln und positiv besetzt wahrnehmen (können).
  • Die Stadt Zürich hat im Sinne des Divestments baldmöglichst aus dem Klimaschmutz-Unternehmen Energie 360° AG auszusteigen. Damit verbunden ist der Verzicht auf den Einsitz des Verwaltungsratspräsidenten dieser Firma in den Stadtrat.
  • Für alle Bauten auf Stadtgebiet soll so rasch als möglich ein enkelInnen-tauglicher Vorgehensplan vorliegen, wie so rasch als möglich unter Einbezug der Nachhaltigkeitsfelder Suffizienz, Effizienz und Konsistenz der Zustand «Plusenergie-Gebäude» erreicht wird. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich ewz hat die Schritte hin zum Prosumer-Status der GebäudenutzerInnen aktiv zu unterstützen.   
  • Es ist eine Selbstverpflichtungs-Erklärung der Heizungsfirmen – im Sinne der «Eigenverantwortung» – anzustreben, ab sofort auf Stadtgebiet keine Feuerungsanlagen mit den Energieträgern Heizöl oder Erdgas einzubauen und stattdessen Lösungen zu realisieren, die einen Beitrag leisten, damit schneller «Plusenergie-Gebäude» möglich sind.
  • Es ist zu überprüfen, ob es wirklich zukunftsfähig ist, mehr als die Hälfte der Wärmeversorgung auf Stadtgebiet durch Fernwärme und Energieverbunde abzudecken. «Plusenergie-Gebäude» sind auf lange Sicht der nachhaltigere Ansatz.
  • Statt der Wegwerfgesellschaft ist die zukünftige Entwicklung auf Kreislaufwirtschaft auszurichten. Dies wirkt sich im Energiebereich zum Beispiel auf das «Angebot» aus Abfallverbrennungs-Abwärme, Abwärme aus Rechenzentren und der Klärschlamm-Verbrennung aus.
  • Die «Stadt der kurzen Wege» verlangt für die Stadt Zürich so rasch als möglich den Wechsel zur autofreien Stadt.
  • Die auf Stadtgebiet tätigen Unternehmen sind einzuladen – ebenfalls mit Bezug zur «Eigenverantwortung» – ihre Tätigkeiten raschmöglichst auf fossilfrei umzustellen.
  • Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind einzuladen, regelmässig Ideen zu entwickeln, wie in sämtlichen relevanten Handlungsfeldern – zum Beispiel Energie, Gebäude, Industrie, Mobilität, Logistik, Ernährung und Konsum – die Klimazukunft verbessert werden kann. Idealerweise erfolgt eine Abstimmung mit anderen Städten, dem Kanton und dem Bund.
    PS: Es geht schon lange um ein «Und», nicht mehr um ein «Oder». Die Herausforderungen der Klimakrise sind so riesig, dass derzeit jeder noch so kleine Beitrag zur Reduktion der Emission von Treibhausgasen erforderlich ist.

Diese Auflistung ist jederzeit erweiterbar.

Beispiele wirken

Klimaschutz betrifft jede und jeden auf diesem Planeten – wenn Städte wie Zürich ambitiös vorangehen. hat dies erhebliche Auswirkungen auf das Gesamtsystem.

Zwei Hinweise:

  • Nach dem Klimakiller-POTUS Trump setzt der aktuelle POTUS Joe Biden auf verstärkten Klimaschutz, bis hin zu einem Klimapolitik-Führungsanspruch. Eine Analyse: Klimaschutz entwickelt einen Sog, dem sich keiner entziehen kann US-Präsident Biden konnte selbst China zu neuen Versprechen drängen. Klimaschutz steht jetzt international ganz oben auf der politischen Agenda. Ein Kommentar. (www.tagesspiegel.de, 23.4.21)
  • Jede Solaranlage hat eine motivierende und «ansteckende» Wirkung: Solarzellen sind ansteckend – auf gute Weise: Studie Wieviele Solarpanele wie weit weg vom eignen Haus sind — das bestimmt die Wahrscheinlichkeit, ob man ebenfalls eine solche Anlage auf dem Dach hat. Dieser Ansteckungs-Effekt ist wohl wesentlich wichtiger als andere sozioökonomische und demografische Variablen, wie eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zur US-Stadt Fresno zeigt. Obwohl bekannt ist, dass Vorbilder für Entscheidungen über die eigene Energieversorgung relevant sind, waren sehr hochauflösende Daten in Kombination mit Techniken der künstlichen Intelligenz notwendig, um die Bedeutung schlichter Nähe dingfest zu machen. Das Ergebnis ist relevant für politische Maßnahmen, die auf einen breiten Einsatz von Solarzellen abzielen, um die Energieerzeugung aus klimaschädlichen fossilen Brennstoffen zu ersetzen. (www.pik-potsdam.de, 22.4.21)

 


Zur Vertiefung
«Eine unzureichende Klimapolitik ist illegal»

Gerade etwa ein Jahr nach dem Abschluss des Pariser Klimaschutz-Übereinkommens hat der Stadtrat im Dezember 2016 eine städtische Energie(versorgungs)planung beschlossen, die noch immer an den städtischen Beschlüssen von 2008 orientiert war. Diverse Literaturquellen halten fest, dass derartige Beschlüsse als illegal zu bezeichnen sind.

Erhebliche Auswirkungen haben die Beschlüsse aus dem Jahr 2016 für die Gasversorgung – bekanntlich hauptsächlich mit fossilem Erdgas und etwas Greenwashing-Biogas aus dem nordöstlichen Europa. Damit signalisierte die Stadt Zürich, dass fossiles Erdgas auf absehbare Zeit weiterhin verfügbar sein würde – statt schon damals den längst fälligen Ausstieg aus dem Erdgas einzuleiten. Mit einiger Verzögerung soll dies nun doch umgesetzt werden. In der Weisung an den Gemeinderat steht dazu: «… im gesamten Stadtgebiet [wird] das Gasverteilnetz grösstenteils stillgelegt. Ausnahmen bilden insbesondere die wenigen Gebiete, in denen keine alternative Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energieträgern möglich ist. Die verbleibende Gasversorgung soll spätestens 2040 vollständig mit erneuerbarem Gas erfolgen.» Da wurde also in den letzten fünf bis zehn Jahren einiges verlauert. Dadurch verstärkten sich die Sachzwänge.

Auch haben Stadtrat und Gemeinderat den Stimmberechtigten mindestens zwei Vorlagen zur Abstimmung vorgelegt, die auf einer illegalen Klimapolitik beruhen:

  • Am 23. September 2018 haben die Stimmberechtigten über die Vorlage «Erweiterung der Fernwärmeversorgung in der Stadt Zürich, Objektkredit von 235 Millionen Franken und Errichtung einer Vorfinanzierung von 50 Millionen Franken» abgestimmt, mit einem Ja-Anteil von 83.3 Prozent. Ein Zitat aus der Abstimmungszeitung: «… für die Spitzenlast zusätzlich fossile Energie aus Gas». Solche Lösungen werden mit einer auch aus ökonomischen Sicht langen Nutzungsdauer vorgesehen. Es ist zu hoffen, dass die Spitzenlast nicht als Ausnahme (siehe oben) für die weitere Nutzung von Erdgas herangezogen wird.
  • Am 10. Februar 2019 haben die Stimmberechtigten über die Vorlage «Energieverbund Altstetten und Höngg-West, Objektkredit von 128,7 Millionen Franken» abgestimmt, mit einem Ja-Anteil von 87.7 Prozent. Auch hier ein Zitat aus der Abstimmungszeitung: «Mindestens drei Viertel der Versorgung sollen dabei mit erneuerbaren Energien erfolgen, der Rest mit fossiler Energie zur Abdeckung von Spitzenlasten».

Am 2. Dezember 2020 hat der Stadtrat eine weitere Aktualisierung der offensichtlich illegalen Energieplanung beschlossen, also immer noch auf den Vorgaben aus dem Jahr 2008. Hin und wieder wird angedeutet, dass sich dies nach den Beschlüssen zu Netto Null 20XY ändern könnte.

Divestment aus Klimaschmutz-Unternehmen dringend

Vor nicht einmal einem Monat stand in einer Medienmitteilung der Energie 360° AG: 100 % erneuerbare Energie bis 2050.

Fast gleichzeitig zu lesen war aus Deutschland: Erdgasausstieg bis spätestens 2038 – Nord-Stream 2 wird nicht gebraucht, sagt Professorin Claudia Kemfert, die auch die Bundesregierung berät. Für das Pariser Klimaziel brauche es einen „Erdgasausstieg bis spätestens 2038“, so Kemfert im DW-Interview vom 25. März 2021.

Dies lässt den Schluss zu, dass die Klimapolitik der Stadt Zürich zu stark Rücksicht nimmt auf das Klimaschmutz-Unternehmen Energie 360° AG. Da hilft nur ein möglichst rasches Divestment! Da könnte auch ein Werbeverbot für Erdöl- und Erdgasprodukte realisiert werden.

Weitere Ergänzungen in meinem Beitrag Kanton Zürich: vom Klima-Deal zum Klimaschmutz-Deal.

Anderer Bilanzierungsrahmen

Der 2000-Watt-Gesellschaft liegt eine vorgegebene Methodik zu Grunde. Der Bilanzierungsrahmen ist ein Aspekt dieser Methodik.

Der Stadtrat schlägt im Zusammenhang mit Netto Null 20XY einen anderen Bilanzierungsrahmen vor. Da ich 2008 intensiv an den damaligen Bilanzierungsansätzen mitgearbeitet habe, verzichte ich auf eine Kommentierung dieser Veränderung.