Vom Umgang mit dem Risiko

An „fernen“ Ereignissen wie etwa der Griechenland- und Euro-Finanz-Krise oder der Oelpest im Golf von Mexico zeigt sich, dass die Menschheit sehr sehr weit von einem nachhaltigen Risikoverhalten entfernt ist. Doch auch bei „näheren“ Risiken zeigt sich der lockere Umgang mit Risiken, etwa beim Umgang mit der Strahlung der Mobilkommunikation.

Es ist genau das herausgekommen, was zu erwarten war: eine der grössten Studien zu speziellen Risiken der Mobilkommunikation (bezüglich zweier Erscheinungsformen von Hirntumoren (Gliome und Meningeome)) kommt nicht zu schlüssigen Ergebnissen, was den Zusammenhang der Nutzung von Handyies und der Entstehung dieser Tumore betrifft – weder Warnung noch Entwarnung konnten schlüssig begründet werden. Die NZZ etwa schafft den Spagat nicht: Teil-Entwarnung für Handynutzer heisst der Titel des Hauptartikels – So schlau als wie zuvor lautet die Überschrift des Kommentars.

Ähnlich unklar sind auch die Empfehlungen zum Umgang mit der Mobilkommunikation: im gleichen Merkblatt ist etwa zu lesen: Achten Sie beim Kauf des Mobiltelefons darauf, dass der „Strahlungswert“ SAR klein ist oder kaufen Sie sich ein UMTS-Gerät. Im gleichen Merkblatt ist der Satz zu finden: Immissionsarme Geräte haben Werte unterhalb 0.5 W/kg.

Bedeutet „SAR-Wert klein“ und „immissionsarm“ das gleiche? Warum wird ein Wert von 0.5 W/kg als Grenze von „immissionsarm“ angegeben? Beim Blauen Engel liegt die Schwelle unter 0.6 W/kg, bei TCO bei 0.8 W/kg, bei www.handywerte.de wird auch ein Wert „sehr gering“ von unter 0.4 W/kg aufgeführt. P.S. das sehr modische Teil iPhone liegt deutlich über all diesen Empfehlungswerten – Smartphones mit deutlich tieferen SAR-Werten zeigen klar, dass es dafür keine technische Notwendigkeit gibt.

Bekanntlich ist der Mensch der Informationsgesellschaft nicht nur dem Risiko von Hirntumoren ausgesetzt – Hirntumore sind gemäss Informationen der Krebsliga Ursache von etwas mehr als zwei Prozent der Krebstodesfälle in der Schweiz (dieser geringe Anteil ist mit ein Grund für schlüssige Aussagen zum Zusammenhang von Mobilkommunikation-Nutzung und Hirntumoren). Auch weitere Krankheiten (und deren Verläufe) können möglicherweise einen Zusammenhang haben mit den Strahlungseinwirkungen der Mobilkommunikation; ebenso gilt dies für weitere Umweltaspekte (Luft, Lärm, …). Kaum erforscht sind zudem die physischen und psychischen Auswirkungen der durch die Mobilkommunikation geprägten Instant- und Spontan-Gesellschaft (ist zu verstehen als ein Aspekt der Qualitäten und Schwächen dieser Lebensweise). Und nicht zuletzt ergeben sich auch Auswirkungen auf die Umwelt, die Flora und Fauna, welche all diese Mobilkommunikationsstrahlungen auch mitkonsumiert.

Die Absicherung von Risiken ist das zentrale Geschäft von Versicherungen. Ob und in welchem Umfang Risiken aus der Mobilkommunikation zu versichern wären, ist nach wie vor unklar. Schon im Jahr 2003 habe ich vorgeschlagen, die potentiellen Risiken der Mobilkommunikation zu versichern. Wie allerdings das Beispiel der Bohrarbeiten der BP-„Beyond Petroleum“ im Golf von Mexiko zeigen, ist dies nicht einmal angenähert für Hochrisiko-Technologien wie Oelbohrungen in der Tiefsee oder auch den Betrieb von Atomkraftwerken realisiert. Es ist wie immer: Risiken werden sozialisiert, Gewinne privatisiert! Oder anders: die Gesellschaft baut auf auf dem Prinzip Hoffnung – immer und immer wieder, trotz mehr oder weniger regelmässigen Enttäuschungen wie etwa Tschernobyl, diversen Oelpesten oder massivsten kriegerischen Ereignissen. Denn die Welt ist etwas für zynische OptimistInnen, als Zitat aus einer Schrift von Jürgen Dahl: Würde sich die Welt über Nacht zur Gänze in heisse Schwefelsäure verwandeln, so würde die Ökologie am nächsten Morgen auch diese Schwefelsäurewelt ganz ungerührt beschreiben, denn es gibt eine einzellige Alge namens Cyanidium caldarium, die gerade eine solche Art von Umwelt schätzt, und sie könnte sich darin nach allen Regeln der Ökologie umso wohler fühlen, als sie wahrscheinlich als einzige Art die grosse Verwandlung überstünde.
Die Schwefelsäurewelt wäre von grosser ökologischer Einfalt, aber dass sie – ausser für Cyanidium caldarium – ziemlich unwirtlich wäre und nichts mehr von dem enthielte, was sie jetzt noch einigermassen wirtlich macht, das könnte von der Ökologie nicht einmal verbucht, geschweige denn als unerwünscht oder nachteilig bewertet werden.

Da Versicherungen die Absicht haben, im Mittel aller Risioabsicherungen profitabel zu wirtschaften, könnte durch die Festsetzung eines Preises für das Risiko eine deutliche Verbesserung des Risikoverhaltens der Gesellschaft erreicht werden. Wie viel wurde wohl die Mobilkommunikation kosten, wenn Versicherer die gesamten – derzeit unbekannten – Risiken der Mobilkommunikation für Mensch und Umwelt absichern müsste?