Vom Umgang von direkten Demokratien mit Diktaturen

Kasachstan gilt gemäss Demokratieindex von The Economist als «autoritäres Regime, also als Diktatur. Wenn nun FDP-Nationalrätin Christa Markwalder in Kontakt steht mit VertreterInnen dieser Diktatur, ergeben sich dadurch zuerst einmal fundamentale Fragen zum Verständnis der Schweiz von Rechtsstaat und Demokratie.

Vorerst ist festzustellen, dass aus globaler Sicht Demokratie kein Erfolgsmodell zu sein scheint. Gemäss Demokratieindex lebt etwas mehr als 12 % der Menschen auf der Erde in einer Demokratie. Selbst die Demokratien der EU-Länder zeigen in der Tendenz eine Abnahme des Demokratieindexes. Auch in der Schweiz liebäugeln diverse PolitikerInnen mit den Realitäten der chinesischen Diktatur.

Offensichtlich gehört die Förderung des demokratischen Rechtsstaats nicht zu den «Exportartikeln» der Schweiz – exportiert soll offenbar nur werden, was zu einer Zunahme des zynischen BIP führt – zum Beispiel dadurch, dass die Schweiz Güter und Dienstleistungen zum Beispiel nach Kasachstan exportieren kann. Von Interesse ist dabei bloss, ob Firmen und BewohnerInnen mit Standort Kasachstan als verlässliche GeschäftspartnerInnen betrachtet werden können – oder ob Schweizer Unternehmen damit rechnen müssen, dass sie wegen der zu diktatur-typischen Willkür-Herrschaft ihre Geschäfte nicht erfolgreich durchführen können. Die Klärung derartiger Fragen bringt als ParlamentarierInnen dazu, gekaufte politische Vorstösse einzureichen oder als geheim deklarierte Unterlagen aus der Kommissionsarbeit weiterzugeben. Dass PR-Firmen und Ex-Botschafter dies tun, illustriert treffend, dass es bei derartigen Arbeiten nicht um Rechtsstaat und Demokratie, sondern um simple (und damit zynische) BIP-Maximierung geht. Dies gilt in diesem Land, wie auch die Ergebnisse diverser Volksabstimmungen gezeigt haben, nach wie vor als legitime Verhaltensweise.


Die empörten Reaktionen insbesondere der Medien – aber auch der Online-Stammtischler und einzelner PolitikerInnen – beleuchten eine Facette des naiven Politik- und Demokratieverständnis der Öffentlichkeit: PolitikerInnen sollten einerseits MilizlerInnen sein, also nicht von der Politikarbeit leben, andererseits sollten sie in allen Fragen ExpertInnen und insbesondere neutral und unabhängig sein. Dieser Anspruch ist eine Illusion, ist Selbstbetrug – und hat noch nie funktioniert und kann auch gar nicht funktionieren.

Es ist vorerst festzuhalten: Demokratie ist keine Expertokratie. Gutes bis sehr gutes Allgemeinwissen muss ausreichend sein, um die grosse Zahl von politischen Geschäften bearbeiten zu können; zu beachten ist dabei, dass dies auf Bundesebene in erster Linie die pro Jahr rund 100 Botschaften des Bundesrates betrifft, aber auch die mehr als 2’000 politischen Vorstösse pro Jahr. Es ist offensichtlich: diese Themenfülle kann von den ParlamentarierInnen nur bearbeitet werden, wenn ExpertInnen beigezogen werden können. Gute ExpertInnen denken zwar in Varianten, aber absolut objektive ExpertInnen sind unvorstellbar, gerade bei komplexen und vernetzten Fragestellungen – die einzig mögliche und gleichzeitig allerbeste Lösung gibt es nicht, nahezu jede Lösung hat Vor- und Nachteile, hat Stärken und Schwächen, verursacht Gewinne und Verluste. Dies gehört zum Wesen des demokratischen Rechtsstaates: es geht um einen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit/der Gesellschaft einerseits und der Individuen andererseits, es geht um Rechts-, Lasten- und Nutzengerechtigkeit. Auch LobbyistInnen sind ExpertInnen, mit (hoffentlich immer) klar deklarierten Absichten über die Nutzenmaximierung und Lastenminimierung zugunsten der vertretenen Interessen. Dabei ist eben die Politik gefordert: sie hat in diesem Geflecht teilweise widersprüchlicher Nutzenmaximierungen und Lastenminimierung mindestens eine Lösung zu entwickeln, die zuerst im Parlament und je nach Zuständigkeit bei den Stimmberechtigten mehrheitsfähig sein könnte. Die gelingt dann am besten, wenn möglichst viele Interessen und Anliegen bei der Entscheidfindung berücksichtigt werden können. Objektiverweise ist in dieser Situation professionelles, transparentes Lobbying von möglichst vielen Interessengruppen die Vorgehensweise mit dem grössten Nutzen für alle Beteiligten. Nicht ohne Grund sitzen LobbyistInnen häufig selber im Parlament!

Nochmals: Gratis-ParlamentarierInnen mit umfassenden, objektiven, neutralen Kenntnissen in allen relevanten Bereichen sind schlicht unmöglich, aber auch gar nicht gewünscht, weil ein demokratischer Rechtsstaat keine Expertokratie ist. Zum real existierenden System gehören somit bezahlte LobbyistInnen – ohne und mit Parlamentsmandat! Von grosser Bedeutung ist und bleibt die Transparenz über die Interessen und die damit verbundenen Geld- und Arbeitszeitströme.

Auch hier könnte die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens für alle zu einer Verwesentlichung des demokratischen Rechtsstaats führen – heraus aus der Diktatur der Propaganda-Abteilungen der LobbyistInnen!


Nachtrag: 15. Mai 2015

Wie es zu erwarten war, entblättert sich beim Kasachstan-Thema die «Diktatur der Propaganda» immer deutlicher. Die Informationen zum Umfeld der politischen Aktivitäten von Christa Markwalder wurden gezielt ebenfalls von PR-Fachleuten an die Medien herangetragen, auf der Basis von gehackten E-Mail-Konten (siehe Berichte in NZZ und Tages-Anzeiger). Diese PR-Fachleute stehen im Dienste von finanzkräftigen Kasachstan-Dissidenten. Da geht es wieder mal ums Geschäft: der oligarchische Diktatoren-Clan streitet mit früheren ebenfalls oligarchischen Geschäftspartnern, die je nach Standpunkt der AkteurInnen sich kriminell bereichert haben sollen oder politisch anderer Ansicht sind als der Diktatoren-Clan. In der Schweiz also ein StellvertreterInnen-Thema – durchaus mit Bezug zur Energiethematik, weil Erdöl 70 Prozent der Exporte von Kasachstan ausmacht, mit einem beachtlichen Anteil an den Schweizer Erdölimporten! Da lässt sich auch das Engagement der FDP gegen die Energiestrategie des Bundes besser einordnen, auch da vertritt offenbar die FDP die Interessen von Kasachstan!

Erste Fassung: 10. Mai 2015