Nach allgemeiner Ueberzeugung herrscht Wohnungsnot in der Stadt Zürich. Diese äussert sich etwa dadurch, dass Menschen eine Wohnung gemäss ihren Preis- und Grössenvorstellungen nicht oder nur mit sehr viel Aufwand finden. Während insbesondere die Medien und ein Teil der Politik monokausale Konstrukte erfinden, handelt es sich letztlich um einen klaren Fall von Polykausalitäten, die letztlich zeigen, dass der Markt durchaus auf Grenzen – im Sinne von Grenzen des Wachstums – reagiert.
Wohnen ist einerseits ein Grundbedürfnis, andererseits stellen Konsumansprüche und Wohlstandsspielräume eine wichtige Triebkraft im Wohnungsmarkt. Der Wohnungspreis ist somit eine Art integrativer Indikator für den Umgang mit der Begrenztheit de Erde. In einer Welt mit einem viel zu grossen ökologischen Fussabdruck – am 21. August 2010 war global betrachtet das aufgebraucht, was die Erde im Jahr 2010 nachhaltig, also ohne Folgen für zukünftige Generationen, hergeben kann, obwohl erst knapp 2/3 des Jahres verflossen waren an diesem Datum – signalisiert letztlich „Wohnungsnot“, dass es der Gesellschaft nicht gelingt, individuelle Ansprüche mit den Möglichkeiten des Planeten Erde und den Bedürfnissen der Gemeinschaft in Übereinklang zu bringen. Solange ein solches Gleichgewicht nicht erreicht ist, haben Massnahmen Pflästerli-Charakter, bekämpfen also Symptome statt an der Beseitigung der Ursachen zu wirken.
Das Symptom „Wohnungsnot“ hat viele Ursachen, ich behaupte nicht, sämtliche zu kennen, ich behaupte ebenfalls nicht, die letztgültigen Lösungen bezeichnen zu können. Ich stelle fest, dass die Lobbyies der verschiedenen Interessensgruppen – von den Mietenden über die Bauwirtschaft bis zu den Hauseigentümerschaften usw – zwar stark sind, aber aus wahrscheinlich vor allem politischen Gründen nicht in der Lage sind, im Interesse der Gesamtgesellschaft einen tatsächlichen Interessensausgleich zu ermöglichen. Es scheint, als hätten die diversen Gruppen die Ernsthaftigkeit, die Dramtatik und die erhebliche Verästelung der Situation noch nicht verstanden – möglicherweise warten sie auch einfach darauf, dass andere den ersten Schritt tun.
Eine Schlüsselgrösse ist der Anspruch auf Wohnfläche – es lässt sich zeigen, dass während langer Zeit die Mietzinsentwicklung direkt korreliert ist mit der durchschnittlich pro Person zur Verfügung stehenden Wohnfläche!
Zudem erfolgt die Bewirtschaftung dieses Wohnraumes derzeit nicht nach Nachhaltigkeitsprinzipien. Die übliche Nutzungsdauer einer Gebäudestruktur liegt bei etwa 80 bis 100 Jahren, wobei diverse Bauteile und Komponenten während dieser Zeit mindestens einmal erneuert werden müssen. In der Schweiz sind Sanierungsraten und Abbruch- respektive Erneuerungsraten vil zu gering – es wird von einem Sanierungsstau gesprochen. Dies heisst: Wohnraum ist zu günstig auf dem Markt, die aktuellen Nutzenden konsumieren Vermögenswerte ihrer Vorfahren, welche nicht mehr an nachfolgende Generationen weitergegeben werden können. Weil der Wohnraum nicht nachhaltig bewirtschaftet wird, stehen erhebliche Geldmittel für andere Konsumbedürfnisse (von noch mehr Wohnraum pro Person über Konsumgüter bis zum Ferien- und Freizeitbereich) zur Verfügung. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit lässt sich zeigen, dass etwa die Zweitwohnungsquote oder die Pro-Person-Flugkilometer eine Abhängigkeit von den zu tiefen Mietzinsen zeigen.
Es ist nicht zufällig, dass die politische Diskussion über „Wohnungsnot“ einige Jahre nach Start einer beschränkten Erneuerungsinitiative der Stadt Zürich (10’000 neue Wohnungen in Zürich innerhalb von 10 Jahren, gestartet im Jahr 2000) verstärkt stattfindet. Diese Initiative hat insbesondere auch die nachhaltige Bewirtschaftung der Liegenschaften thematisiert, insbesondere neben den ökologischen auch die ökonomischen Anliegen, ohne die sozialen Aspekte zu vernachlässigen. Dies hat zur Folge, dass grössere Bestände an Wohnungen erneuert oder gar durch Neubauten ersetzt wurden, wobei die Mietzinse selbst im gemeinnützigen, also nicht gewinnorientierten Wohnungsbau den tatsächlichen Kosten erhöht wurden. Die Zahl der billigen Wohnungen, meist eher mit Bruchbudencharakter, ist mit Sicherheit kleiner geworden. Die MieterInnen sind derzeit daran zu entdecken, dass die Phase der Billig-Wohnungen vorbei ist, dass also zukünftig auch für günstige (was nicht das gleiche ist wie billige) Wohnungen auch bei reduzierten Ansprüchen mehr Geld ausgegeben werden muss, also für anderen Konsum weniger Geld zur Verfügung steht. Oder anders: echte Nachhaltigkeit hat einen Preis, durchaus mit der schmerzhaften Erkenntnis verbunden, dass auch lieb gewordene Gewohnheiten in Frage gestellt werden müssen! Dass nicht erst als Folge der Finanzwirtschaftskrise im Herbst 2008 vermehrt Anlagevermögen mit hohen Renditeansprüchen in den Liegenschaftenbereich investiert werden, wird zusätzlich preistreibend, ebenso wie die weltweit bekannt hohe Lebensqualität in der Stadt Zürich (nicht zuletzt eine Folge der deutlich auf den Umweltverbund ausgerichteten und von den Stimmberechtigten getragenen Verkehrspolitik der Stadt Zürich.
Zu erwähnen ist, dass die Anforderungen aus dem Klimaschutz die Notwendigkeit sowohl einer ausreichenden Erneuerung der Bauten zur gleichzeitigen Umsetzung energetischer Massnahmen (Energieeffizienzsteigerung, Einsatz erneuerbarer Energien) als auch einer Reduzierung des Flächenanspruchs pro Person verstärkt. Die (Energie-)Effizienz wird sinnvollerweise mit der (Flächen-)Suffizienz verbunden – LOVOS als Zukunftslebensstil!
Neue Bescheidenheit, bewusste freiwillige Einfachheit als Teil von LOVOS weist auch gerade auf einen ersten Lösungsbeitrag hin: weniger Fläche pro Person ist eine zwingende Vorgabe an den Wohnungsmarkt. Auch wenn es übergrosse Familienwohnungen durchaus auch gibt: Single-Wohnungen und die Rumpffamilie (die alternden Eltern nach Auszug der erwachsen gewordenen Kinder (vielleicht in eine Single-Wohnung)) gehören auch zum Flächenreduktionsprogramm – bis hin zu gemeinsamen Wohnformen im Alter, wie sie etwa als Key Points nachhaltigen Konsums benannt wurden.
Einen wichtigen Beitrag sowohl für die Verminderung (oder Tiefhaltung) der Flächen pro Person leisten bereits heute Genossenschaften und andere Träger des nicht gewinnorientierten Wohnungsbaus. Auch wenn bereits heute rund 1/4 des Wohnungsangebotes in der Stadt Zürich von diesen Trägerschaften angeboten wird, besteht hier sicher erhebliches Ausbaupotential.
Der grösste Teil der Wohnungen auf Stadtgebiet wird – juristisch gesprochen – von „natürlichen Personen“ angeboten. Diverse Untersuchungen zeigen, dass viele Menschen in erster Linie durch Erbvorgänge, daher meist selber schon in höherem Alter, in den Besitz von eher schlecht unterhaltenem Wohnraum kommen, und kaum in erster Linie langfristig orientierte Projekte, und dazu zählt die nachhaltige Bewirtschaftung von Liegenschaften, anpacken wollen. Hier braucht es modifizierte Eigentumsformen: individuelles Eigentum an Gebäuden ist abzulösen durch Liegenschaftenfonds-Anteile mit damit verbundenem Wohnrecht, quasi eine kommerzialisierte Form von Genossenschaften, welche eine professionelle Liegenschaftenbewirtschaftung sicherstellt, aber auch im Sinne einer Börse sicherstellen kann, dass die einzelnen FondseigentümerInnen eine ihrer Lebensabschnittssituation entsprechende Wohnungsgrösse finden, ohne die schon fast zwanghafte Fixierung auf die „eigenen vier Wände“. Illustratives Beispiel, berichtet im Tages-Anzeiger: der Schriftsteller Jürg Acklin hat zwei Mehrfamilienhäuser geerbt, hat billigen Wohnraum anbieten wollen – als die Gebäude immer mehr zerfielen, erkannte Jürg Acklin, dass es so nicht weitergehen könne, und hat die Häuser verkauft und damit zum Abbruch freigegeben, nach 94 Jahren mit im wesentlichen sanften Renovationen: lange Zeit davon waren die Mieten günstig, gar billig – dauerhaft, also nachhaltig, war dies nicht!
Was bleibt: das Grundbedürfnis Wohnen braucht ein hohes Mass an Professionalität zur Gewährleistung einer nachhaltigen Bewirtschaftung. Es bleibt kein Raum für politische Spielereien und Proilierungen, es bleibt kein Raum für Gruppenegoismen, weder auf Seiten der MieterInnen noch auf Seiten der EigentümerInnen. Zu beachten ist, dass Raum, sowohl als Boden als auch als Wohnfläche, endlich ist. Die Respektierung dieser Grenzen ist die Grundvoraussetzung für eine tatsächlich nachhaltige Bewirtschaftung!