Steuerabkommen: Staatspolitik-Groteske

Dass Einkommen, Vermögenserträge und Vermögen zu besteuern sind, ist in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zu diskutieren. Es besteht keine Legitimation, aus individuellen, letztlich willkürlichen Gründen wegen etwa vermeintlich überhöhter Steuerforderungen oder schlechter Ausgabenpolitik nach Möglichkeiten zu suchen, Steuern zu vermeiden. Allerdings ist dies Grenze zu rechtlich zulässigen Steueroptimierung durchaus auch Interpretationssache, vor allem, wenn Landesgrenzen einbezogen sind. Die Diskussionen und Handlungen rund um die Steuerabkommen der Schweiz mit Deutschland und den USA sind grotesk und verlassen regelmässig den Handlungsspielraum demokratischer Rechtsstaaten.

Ich wiederhole die Einleitung: es ist legitim, dass Staaten Steuern erheben – wenn es sich dabei um demokratische Rechtsstaaten handelt, ist zwar das Ausloten der steuerrechtlichen Einschätzung sinnvoll und notwendig, nicht aber das Entziehen von steuerrelevanten Einkommens- und Vermögensveränderungen. Das Prinzip der Beteiligung an der Finanzierung der staatlichen Aufgaben nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Steuerpflichtigen ist nicht in Frage gestellt.

Insbesondere in Deutschland und den USA ist allerdings festzustellen, dass die Steuerbehörden systematisch vom Grundsatz der Unschuldsvermutung abweichen. In Deutschland wird zumindest nach den Aussagen von Exekutivmitgliedern jede Finanztransaktion ins Ausland mit „Schwarzgeld“ gleichgesetzt. In Deutschland haben nicht die Steuerbehörden nachzuweisen, dass Geld bewusst an der Steuerdeklaration vorbeigeschleust wurde, sondern die Steuerpflichtigen haben nachzuweisen, dass jede kleinste Finanztransaktion korrekt ist. Die Forderung nach einem automatischen Datenaustausch zwischen Banken und Behörden über solche Transaktionen belegt die absichtliche und vorsätzliche Ablehnung der Unschuldsvermutung. Eine solche Haltung ist mit einem Rechtsstaatsverständnis nicht vereinbar: ein Rechtsstaat hat aus Prinzip davon auszugehen, dass ich die BewohnerInnen korrekt verhalten, bis ihnen das Gegenteil nachgewiesen werden kann.

Vorerst ist festzuhalten, dass gerade Staaten wie die USA und Deutschland an einem kapitalistischen Wirtschaftssystem festhalten. Da heisst: diese Staaten gehen davon aus, dass es zu erheblichen Geldflüssen sowohl bei Unternehmen wie bei Einzelpersonen kommt.

Nicht nur in der EU gelten der Kapital- und Zahlungsverkehr als frei. Die Staaten haben es – teilweise fahrlässig, teilweise absichtlich – versäumt, ihre steuerrechtlichen Gesetzgebungen an diese Freiheiten anzupassen. Allerdings sind die sich daraus ergebenden Fragestellungen für die Steuerpflichtigen dermassen komplex und lassen dermassen viel Interpretationsspielraum, dass es im Ermessen respektive der Willkür der Steuerbehörden liegt, wie Finanztransaktionen der Steuerpflichtigen eingeschätzt werden. Die spärliche Berichterstattung über reale Fälle lässt den Schluss zu, dass die generelle Klassierung von Auslandbankgeschäften als „Umgang mit Schwarzgeld“ und die offensichtliche Abschaffung der der Unschuldsvermutung immer wieder zu Zufallstreffern führt.

Andererseits ist davon auszugehen, dass nur in Ausnahmefällen systematisch Steuerbetrug begangen wird – in den meisten Fälle ist wahrscheinlich, dass die bestraften Steuerpflichtigen im Spannungsfeld zwischen legitimer Steueroptimierung und dem generellen und systematischen, nicht rechtsstaatlich akzeptablen Vorwurf des „Schwarzgeldes“ von Steuerbehörden hängen geblieben sind. Da die überwiegende Zahl von Steuerpflichtigen grundsätzlich steuerehrlich ist, diese aber möglichst wenig mit der regelmässig willkürlichen, durch die Gerichte in der Regel gestützten Interpretation der offenbar unzulänglichen gesetzlichen Bestimmungen zu tun haben wollen, werden die wenigsten Entscheide weitergezogen, letztlich auch darum, weil es meist um eher kleine Beträge geht (relativ zu den finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen) – lieber Ruhe haben als ein langwieriges Verfahren mit unsicherem Ausgang und unabsehbaren Kostenfolgen.

Beleg für die unzulängliche, nicht an den freien Kapital- und Zahlungsverkehr angepasste Gesetzgebung ist auch die Aufforderung an Drittstaaten und private Unternehmen (=Banken),sicherzustellen, dass nur „steuerehrliches“ Geld bewirtschaftet wird. Eine derartige Aufforderung ist eine Bankrotterklärung eines demokratischen Rechtsstaates. Festzuhalten ist, dass auch unterschiedliche, nicht harmonisierte Vorgehensweisen bei der Besteuerung von Kapital und Kapitalerträgen (Stichwort Schweizerische Verrechnungssteuer) auf die offensichtlichen Gesetzgebungslücken in den Staaten hinweisen.

Zu diesen Bankrotterklärungen des Rechtsstaates gehört auch, dass diverse Staaten so genannte Steuerdaten-CDs gekauft haben, und diese damit zu Hehlern von Datendieben, die die arbeitsrechtlich zwingend erforderliche Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber verletzen, werden. Die empfindlichen und beleidigten Reaktionen deutscher PolitikerInnen vor allem von SPD und Grünen auf die Ankündigung von Schweizerischen Haftbefehlen gegen deutsche Steuerdaten-Hehlern belegen die Fragwürdigkeit bestens (nach dem Motto „nur gebissene Hunde bellen“).


In dieser Groteske braucht es konstruktive Vorschläge:

Es braucht zuerst ein mit einem demokratischen Rechtsstaat verträgliches Grundverständnis: Staaten haben davon ausgehen, dass Steuerpflichtige im Grundsatz steuerehrlich sind – und Steuerunehrlichkeit die Ausnahme (analog zu „SchwarzfahrerInnen-Quote“ im öffentlichen Verkehr). Dazu gehört etwa, dass Steuerbehörden auf den systematischen automatischen Datenaustausch im Finanzwesen verzichten. Dazu gehört aber auch die Deklaration, dass auch bei einer absoluten Steuerehrlichkeit die Nachhaltigkeit der staatlichen Finanzen nicht gesichert ist.

Es braucht in den Staaten eine klare Steuer-Gesetzgebung, die abgestimmt ist auf den Kapital- und Zahlungsverkehr. Dazu gehören Instrumente wie die Verrechnungssteuer und Finanztransaktionssteuern (bis hin zur Tobin-Tax). Insbesondere ist eine auf demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen aufbauende Harmonisierung der Staaten-Gesetzgebung anzustreben. Dazu gehört auch, dass die Steuerbehörden ausreichend personell ausgestattet sind, um erstens eine seriöse Prüfung der Steuererklärungen vornehmen zu können und zweitens diese Prüfung möglichst zeitnah zu den steuerrechtlich relevanten Abläufen vornehmen zu können.

Erforderlich ist der Verzicht auf kriminelle Instrumente wie CD-Steuerdaten-Transfers.

Wenn vom Grundsatz der Steuerehrlichkeit ausgegangen wird, muss es eine angemessene Lösung für so genannte Altlasten geben. Da hier rückwirkend legiferiert wird, in Bereichen, die bis anhin fahrlässig oder vorsätzlich von steuerrechtlichen Vorgaben nicht betroffen waren, ist sicherzustellen, dass die rückwirkenden Lösungen nicht als Strafe verstanden werden, sondern ebenfalls dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen entsprechen, allenfalls mit einem (bescheidenen) Faktor zur Berücksichtigung des Zusatzaufwandes.

Drittstaaten und Privatfirmen haben nicht die Aufgaben der Steuerbehörden zu erledigen. Auch eine Weissgeldstrategie muss vom Grundsatz der Steuerehrlichkeit ausgehen können: wenn die wirtschaftlich Berechtigten unterschriftlich bestätigen, dass die steuerlichen Aspekte der Mittel korrekt abgewickelt wurden, ist – bis zum Beweis des Gegenteils – dies als ausreichend zu betrachten.

Ich bin mir selbstverständlich bewusst, dass die Grundannahme der Steuerehrlichkeit für viele einen sehr grossen Sprung (auch!) über den eigenen Schatten erfordert. Ein nachhaltiges Staats- und Gemeinschaftsverhältnis kann nur entstehen, wenn auch der Staat davon ausgeht, dass die BürgerInnen aus Einsicht und Weitsicht – also als Willensbeitrag und nicht unter Zwang – handeln!


Ergänzung 7.4.2012

Festzuhalten ist, z.T. in Wiederholung:

  • Die Steuersysteme wurden – teilweise politisch gewollt, in Deutschland sogar ausgeprägter als in der Schweiz- nicht an den freien Kapital- und Zahlungsverkehr angepasst.
  • Die Schweiz hat auch darum weniger Handlungsbedarf, weil sie mit dem System der Verrechnungssteuer ein grundsätzlich taugliches Instrument zur Besteuerung von Vermögenserträgen kennt.
  • Die Schweiz als direktdemokratischer Rechtsstaat setzt in hohem Mass auf die Rechte der Einwohnenden – Deutschland als repräsentativdemokratischer Rechtsstaat pflegt eher das Prinzip des Nachtwächterstaats. Die Schweiz kann aus dieser Sicht deutlich besser umgehen mit der Unschuldsvermutung in finanz- und steuerrechtlichen Belangen – in Deutschland ist die Unschuldsvermutung in steuerlichen Fragen faktisch abgeschafft.
  • Die direkte Demokratie der Schweiz sorgt dafür, dass der Interessenausgleich mehrheitsfähig sein muss, während in einer repräsentativen Demokratie der Interessenausgleich von der aktuellen Mehrheit parteiisch wahrgenommen wird. Insbesondere gilt dies auch für die Beurteilung des qualitativen Aspekts „Steuergerechtigkeit“ – SPD und Grüne gehen in Deutschland davon aus, dass dies nur möglich ist, wenn die Steuerbehörden umfassend Einblick in sämtliche Finanztransaktionen erhält (dabei geht allerdings vergessen, dass auch solche Transaktionen interpretierbar sind).
  • Insbesondere SPD und Grüne erwarten, dass ausländische Privatunternehmen (das sind die Banken nämlich) zukünftig hoheitliche Aufgaben für Deutschland ausführen, nämlich die Sicherstellung der steuerrechtlich korrekten Handhabung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs. Spannend die Frage, wie Deutschland diese Aufgaben entschädigt. Und ob sich Deutschland zur Vereinfachung dieser Aufgabe mit Vehemenz für ein verrechnungssteuerähnliches System einsetzen wirrd?
  • Auch wenn dies rechtsstaatlich fragwürdig ist, betrachtet man in Deutschland den Umgang mit gestohlenen Bank-Daten als legitim (das hat wieder mit der Nachtwächter-Haltung zu tun). Das heisst: das Prinzip der Steuergerechtigkeit gilt als höchstes Staatsziel, dem andere zentrale Prinzipien, etwa die Loyalität z.B. gegenüber dem Arbeitgeber, untergeordnet sind – dies ist eine sehr sehr eigenartige Interpretation von Staatszielen.
  • Wie es zu erwarten war, haben die bisherigen Aktivitäten der Steuerbehörden die nicht-nachhaltigen Staatsfinanzen Deutschlands nicht sanieren können; vor allem darum, weil die Steuerpflichtigen wesentlich steuerehrlicher sind, als dies SPD und Grüne meinen, aber auch darum, weil in der Diskussion regelmässig die Zahlen von Vermögen und Vermögensertrag vermischt werden. Die verlangten Ansätze zur steuerrechtlichen Regulierung weit zurückliegender Finanztransaktionen sind bloss noch absurd und grotesk.
  • Die AkteurInnen und WortführerInnen beider Länder sind geprägt von ihrer politischen Kultur, die mehr oder weniger ausgeprägt auf Rechthaberei und Sturheit setzt (wegen der Konkordanzdemokratie dürften die SchweizerInnen tendenziell leicht lösungsorientierter an Fragestellungen herangehen).
  • Festzustellen ist, dass ein ausbleibendes Abkommen jenen zu Gute kommt, die ihr Vermögen aus der Schweiz abziehen und in die bekannten Steueroasen – interessanterweise mehrheitlich in der hoheitlichen Verantwortung der USA und Grossbritannien – transferieren. Interessant, dass hier SPD und Grüne hier die Interessen der tatsächlich kriminellen SteuerhinterzieherInnen vertreten.

1. Fassung 1.4.2012