Investitions- und Impulsprogramme für den Kopf

Dieser Beitrag stammt ursprünglich aus dem Jahr 2003. Ich habe ihn angesichts der immer lauteren Rufe nach z.B. Konjunkturstimulierung, weltweiten staatlichen Konjunkturprogrammen oder Konjunkturhilfe, Wachstumsprogrammen nur leicht überarbeitet.

Frei nach Hoimar von Ditfurth: Es gibt eine Ökologie von sehr heisser Schwefelsäure. Nur: der Mensch, seine Ökonomie, seine Gesellschaft ist in diesem Schwefelsäure-Ökosystem nicht vorhanden.

Angesichts einer massiven Überbeanspruchung des Oekosystems Erde – www.footprint.ch geht für die Schweiz von einer im Mittel 2.6 mal höher als global verträglichen Beanspruchung aus, vergleichbar mit den Aussagen der ETH, dass gegenüber heute 6000 Watt eigentlich bloss 2000 Watt zulässig wären (Berechungsprogramm dazu ECO2) – liegt im Durchschnitt eine weitere Zunahme des Ressourcenverbrauches nicht drin, was die Zweckmässigkeit von Investitions- und Impulsprogrammen in Frage stellt. Statt Investitionen mit Ressourcenverschleiss sind Programme für den Kopf gefordert.

Effizienz allein kann die erforderlichen Reduktionsfaktoren nicht erbringen. Es braucht neben der Effizienz die Suffizienz (Masshalten, von nichts zuviel wollen, damit für anderes, das man ebenfalls braucht, noch Platz bleibt, siehe Wuppertal-Paper 125, Dez. 02).

Konjunkturprogramme suggerieren, dass die Ankurbelung der Konjunktur, der damit verbundene übermässige Ressourcenverschleiss Normalfall ist (bezeichnend, dass dafür üblicherweise das Wort „Wachstum“ verwendet wird, obwohl eine derartige Entwicklung weder organisch noch auf Dauer angelegt ist). Es ist schlicht und einfach nicht möglich, „business as usual“ einfach ein bisschen zu optimieren, immer alles zu haben, und dabei gleichzeitig die Umwelt zu schützen, die Interessen zukünftiger Generationen im Auge zu behalten und global mehr Gerechtigkeit erreichen zu wollen – dieses gesellschaftliche Dilemma ist zwingend vor jeder konjunkturellen Massnahme zu diskutieren, damit sich die Gesellschaft wenigstens bewusst ist, dass sie sich Sand in die Augen streuen lässt.

Suffizienz ist nicht einfach, weil dafür echter Wertewandel, Einstelllungs- und Haltungsveränderungen gefordert sind.

Damit ist sehr viel Arbeit verbunden – zur Illustration einige Aussagen aus der Prognos-Studie „Standortbestimmung CO2-Gesetz – CO2-Perspektiven und Sensitivitäten“ an das BAFU (früher Buwal) für die Zeit zwischen 2000 und 2010:

  • BIP-Anstieg von 18 %
  • Anstieg der Industrieproduktion um 21 %
  • 10 % Zunahme der Energiebezugsflächen
  • und dies alles bei einer Zunahme der Bevölkerung um etwa 2 %

Welche Anforderungen müssten Investitions- und Impulsprogramme erfüllen?

  • Ein nationales Forschungs- und Befähigungsprogramm „SUFFIZIENZ“, unter anderem mit einem Strategieteil, wie Suffizienz in allen Lebensbereichen gesellschafts- und sozialgerecht eingebracht werden kann, von der Politik bis zur Wirtschaft.
  • Es sind Massnahmen zu suchen, die zu einer Verminderung des Pro-Kopf-Ressourcenverbrauches führen (Energiebezugsfläche, Fahrleistungen (die Summe aller mit motorisierten Verkehrsmitteln zurückgelegten Personenkilometer (nicht nur z.B. von Autos), Boden, Materialien).
  • Es sind Massnahmen zu suchen, die Auswirkungen auf Werte, Einstellungen und Haltungen im Bezug auf das haben, was als Wohlstand bezeichnet wird.
  • Bedingungsloses Grundeinkommen für alle: Voraussetzungen schaffen, dass die Existenzsicherung unabhängig vom Erwerb erfolgt (mehrere Finanzierungsquellen, u.a. Tobin-Steuer).
  • Massnahmen zur Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs (sowohl für Personen wie für Güter) bei gleichzeitiger Reduktion der Attraktivität des Strassenverkehrs (Absicht: Personenkilometerzahl reduzieren).
  • Energieverbrauch für Wohn- und Bürobauten in erster Priorität deutlich reduzieren, in zweiter Priorität so weit als möglich mit erneuerbaren Energien abdecken. (Vorgaben: Flächenzuwachs pro Person möglichst gering und nur soweit, als der Energieverbrauch für die zusätzlichen Flächen bei den bestehenden zusätzlich kompensiert wird, Autofreiheit (real (weniger Autos), fiktiv (durch Schaffung von sichtbaren Quartierparkhäusern))
  • Verdichtung vor Neuüberbauung
  • überbaute Fläche konstant halten, allenfalls reduzieren
  • Investitionen in Arbeitsplatzgebäude nur, wenn hohe Durchmischung gewährleistet ist (bei 7 Mio Einw. gibt es ca 4 Mio „Arbeitsfähige“)
  • Politik der Nähe: Wohnen, Einkaufen, Erholung, Freizeit, Arbeiten, alles alltägliche soll möglichst in der Nähe stattfinden können.
  • ökologische Finanzreform

Und wie immer: helfen tut vor allem „Global denken, lokal handeln“ – zum Beispiel wie die Stadt Zürich: „Nachhaltige Stadt Zürich – auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft“: mit der Verankerung dieses Anliegens in der Gemeindeordnung – der „Verfassung der Stadt Zürich“ – Volksabstimmung vom 30. November 2008!


In der WOZ vom 12.3.2009 schreibt Hanspeter Guggenbühl in einem Kommentar unter dem Titel „Wenn Subventionen grünen“, dass Konjunkturprogramme wie Medikamente gegen den Kater sind – statt gegen die Sucht; Subventionen fördern bereits den nächsten Rausch, weil sie beispielsweise das Verursacherprinzip verletzen.


Erste Fassung: 3. März 2003