Experten und Laien – Expertinnen und Laiinnen

Der Spruch ist bekannt: Kennst Du den Unterschied zwischen ExpertInnen und Laien? – Nein. – Der ist sehr klein: ExpertInnen wissen von ganz wenig sehr viel, Laien wissen von ganz viel sehr wenig. Letztlich führt dieser „kleine Unterschied“ allerdings zu einer nicht wirklich gewollten Banalisierung der Diskussionen.

Wenn sich Bundespräsident Hans-Rudolf Merz mit dem iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad trifft (am 19.4.2009), gibt es sehr schnell eine Woge von Positionszügen, sei dies auf den Stammtischseiten von Zeitungen, auf den Newslettern von Vereinen, Parteien und Verbänden, und – vielleicht stimmt die Reihenfolge nicht ganz, aber dies ist vielleicht Absicht – in den diversen Medien, von ganz gratis bis nicht wirklich teuer, auf Papier, visuell oder im Internet (ich nehme mich und meine Veröffentlichungen unter www.umweltnetz.ch nicht davon aus).

Da schreibt der Bundespräsident einen internen und vertraulichen Bericht zu diesem Besuch, und am Sonntag darauf kann man diesen zum Beispiel in der NZZ nachlesen. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass die ExpertInnen des Bundes – da sie Profis in ihrem Fachgebiet sind – eine umfassende Sicht der Dinge haben, dass sie eine längerfristige Perspektive zu einem Sachthema entwickeln.

Aus dem Buch zum Film „Eine unbequeme Wahrheit“ von und mit Al Gore:

Anzahl der von Experten begutachteten Artikel zum Thema „Klimawandel“, die im Verlauf der letzten zehn Jahre in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden: 928 Anzahl der Artikel über die Klimaerwärmung, die in den letzten 14 Jahren in der Tagespresse erschienen sind: 636
Prozentualer Anteil von Artikeln, deren Autoren Zweifel an den Gründen für die Erderwärmung haben: 0 % Prozentualer Anteil von Artikeln, deren Autoren Zweifel an den Gründen für die Erderwärmung haben: 53 %

Quelle: Al Gore, Eine unbequeme Wahrheit, Die drohende Klimakatastrophe und was wir dagegen tun können, Riemann Verlag, München, 2006

Es ist nicht so, dass die ForscherInnen unkritisch wären und einfach einEr dem/der anderen alles nacherzählt, schliesslich gibt es auch Skeptiker wie Bjørn Lomborg, mit wesentlich mehr Medienresonanz und Gegen-SkeptikerInnen. Offenbar ist es aber so, dass es für die Tagesmedien wesentlich attraktiver ist, diesen skeptischen (und nicht wirklich begründeten) Stimmen mehr Raum zu geben als dem, was die Mehrheit als die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffendste Theorie wahrnimmt.

Und genau hier liegt die Problematik: weil die Welt so komplex ist, weil die Menschen mit ihren beschränkten geistigen Fähigkeiten in vielen Fällen „nur“ plausible Erklärungen, nicht aber Wahrheiten produzieren können, gilt offenbar selbst eine Erklärung mit geringer Plausibilität als durchaus ernsthaft. Das fliegende Spaghetti-Monster als Religionsparodie hat in der öffentlichen Wahrnehmung ein bestimmtes Mass an Plausibilität, genau wie die Ansichten der KreationistInnen über die Erschaffung der Welt oder die Evolutionstheorie. Diese pluralistische Beliebigkeit passt bestens in eine hedonistische Zeit – und wird spätestens dann problematisch, wenn die KreationistInnen eine metaphysisch geprägte Darstellung über die Erschaffung der Welt als mindestens gleichwertig erachten wie eine mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dargelegte Evolutionstheorie. Möglicherweise ist dies die Konsequenz der pluralistischen Welt: bekanntlich können die wenigstens Menschen die Funktion eines Automotors, eines Computers, eines Telefons, egal ob Festnetz oder Mobilfunk, wirklich verstehen, obwohl sie es benutzen können und wollen – unabhängig davon, welche Geschichte die Erde hat (obwohl diese Geschichte die Realität entscheidend prägt), unabhängig davon, ob es den menschgemachten Klimawandel gibt, obwohl gerade das Verhalten jeder einzelnen Person Auswirkungen auf das globale Klima hat. Schlicht und einfach: die pluralistische Beliebigkeit ist möglich, weil es kaum möglich ist, die Zusammenhänge zwischen irgendwelchen sehr unplausiblen Erklärungen und konkreten Folgen darzulegen. Ob dies wohl damit zu tun hat, dass der Mensch Schwierigkeiten mit der Geschwindigkeit seiner Entwicklung hat? Mit den Emotionen in der Steinzeit, mit dem Herzen in der Romantik, mit dem Kopf in der Zukunft – wo bleiben da die Kapazitäten für die Plausibilitätsbeurteilung im Hier und Jetzt?

Ein sehr konkretes Thema: Hygiene in Restaurants! Die Lebensmittelkontrolle als öffentliche Aufgabe stellt in Restaurants immer wieder Verstösse gegen das Lebensmittelrecht vor. In ganz schlimmen Fällen wird das Restaurant geschlossen; im Sinne der Prävention werden andernorts Verbesserungsmassnahmen angeordnet. Wenn nun verlangt wird, dass die „Grüselbeizen“ an den Pranger gestellt werden, wird aus der öffentlichen Aufgabe (also der Allgemeinheit dienend) plötzlich eine individuelle, aber delegierte Interessensangelegenheit. Als Restaurantbesucher habe ich zuerst eine Eigenverantwortung, schliesslich wurden dem Menschen dafür Sinne mit auf den Weg gegeben. Erst wenn mir das Gesamtbild – von der Speisekarte über dem Auftreten des Personals und die Geruchsprobe bis zu den Gästen und der Aufmachung des Lokals zusagt – werde ich mich niederlassen. Gerade weil auch mit einem Teil meiner Steuergelder die Lebensmittelkontrolle an Fachleute delegiert wurde, erwarte ich (zu Recht im übrigen), dass sich die Lebensmittelfachleute mit öffentlichem Auftrag zusammen mit den Gastronomiefachleuten des Restaurants auf Fachebene darüber verständigen, welche Minimalhygiene für einen Restaurationsbetrieb erforderlich ist. Denn: wenn tatsächlich schlimme gesundheitsrelevante Mängel festgestellt werden, hat das Restaurant sofort geschlossen zu werden, wenn es sich um behebbare Mängel mit geringen oder gar keinen Auswirkungen auf die Gesundheit hat, interessiert mich das nicht wirklich. Als Laie in Lebensmittelhygiene kann ich nämlich nicht beurteilen, wie relevant allfällige Mängel eines ausgehängten Hygieneberichts wären. Und gleichzeitig bietet auch ein super Hygiene-Bericht keine Gewähr dafür, dass nicht gerade im Moment meines Besuchs ein zufälliges Ereignis eintritt, welches unbeabsichtigt momentan und akut gesundheitliche Auswirkungen haben kann. Oder anders: selbst eine allfällige grüne Ampel der Lebensmittelhygiene bietet keine absolute Sicherheit, dass in der komplexen Kette der Gastronomie nicht auch mal etwas schieflaufen kann! Und nochmal das: wenn die vertraulichen Berichte und Anordnungen der Lebensmittelkontrolle öffentlich werden sollten, senkt dies letztlich die Hygiene-Qualität.

Zur Begründung: Als Fachexperte im Energiebereich erfahre ich regelmässig, dass Medienschaffende selbst bei einfachsten und kommunikativ bestens aufbereiteten Inhalten nicht in der Lage sind, eine korrekte Darstellung des Sachverhaltes in ihre Texte und Mitteilungen hineinzubringen. Diese Gefahr besteht auch bei den für Fachleuten verständlichen und beurteilbaren Inspektionsberichten. Eine Anmerkung, die in einem vertraulichen Bericht von allen Beteiligten verstanden wird und zu konkreten Verbesserungsschritten führt, kann in einem öffentlich zugänglichen Bericht zu völlig sinnlosen Reaktionen führen – was zur Folge hat, dass öffentliche Berichte anders formuliert werden müssen. Und so führt die vermeintliche Transparenz auf Laienbasis zu einer Verschlechterung der Hygienesituation.

Da gilt eigentlich nur eines: ExpertInnen, Laien, respektiert die Kompetenzen – und verzichtet auf Beliebigkeitsorgien.