Auch wenn Twitter, Facebook und Medien überquellen vor Euphorie: auch der Nationalrat hat in den letzten Tagen nicht Energiepolitik betrieben, sondern schlichten Unsinn beschlossen. Auch wenn ich bedaure, all die selbstgefälligen Lobesreden auf die ach so innovative Schweizer Politik zu stören, halte ich klar fest: Energiepolitik sieht anders aus, und vor allem eine andere Energiepolitik. Was beschlossen wurde, taugt nicht einmal als Alibi!
Vorerst: der Ausstieg aus der Atomenergie wurde NICHT beschlossen – was beschlossen wurde, ist, die technisch überholten Schweizerischen AKWs ein bisschen weniger lang als bis anhin geplant weiter zu betreiben – dazu wurden sie vom Bundesrat entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten sicherheitstechnisch quasi heiliggesprochen. Wenn alles so wie vom Bundesrat geplant und vom Nationalrat gutgeheissen abläuft, hat die Schweiz noch 71 Reaktorbetriebsjahre vor sich. Alternde Reaktoren sind nicht nur nach Murphy’s Law eher riskanter! Obwohl es sich um eine ausfranselnde Technologie handelt, müssen noch 71 Betriebsjahre sicher absolviert werden. Nach diesen 71 Jahren ist es aber nicht fertig – die Reaktoren müssen ausklingen, müssen anschliessend abgebrochen werden – und es braucht Lösungen, um den Atommüll während hundertausenden von Jahren sicher und dauerhaft lagern zu können, und dies im Wissen darum, dass bis jetzt auch sogenannt vorbildliche Projekte nach spätestens 20 Jahren im Fiasko geendet haben!
Gerühmt wird auch, man verzichte auf neue Atomkraftwerke in der Schweiz. Nur: angesichts der Schwierigkeiten von Projekten wie dem AKW-Neubau im finnischen Olkiluoto – bei dem die Kosten explodieren und ein Start noch nicht absehbar ist, angesichts der Diskussionen über die Unversicherbarkeit von Atomkraftwerken, angesichts der Endlichkeit von Uran haben diese Projekte keinerlei Chancen auf Realisierbarkeit gehabt, selbst dann nicht, wenn die Stimmberechtigten den Rahmenbewilligungsgesuchen zugestimmt hätten. Mit andern Worten: die Beschlüsse des Nationalrats vom 8. Juni 2011 haben bestenfalls einige Illusionen über neue Atomkraftwerke in der Schweiz zurechtgerückt, mehr nicht.
Klipp und klar: der Nationalrat hat KEINE Pflöcke eingeschlagen zu den bisherigen Atomkraftwerken. Wer solche Nicht-Beschlüsse als Ausstieg deklariert, lügt sich selber etwas vor.
Die Vergangenheit sowohl in der Landwirtschaft als auch im Energiebereich zeigt eines deutlich: mit Subventionen macht man keine Politik – Politik gibt es nur mit knallharten Vorgaben. Vorerst ist festzuhalten, dass einmal mehr das Parlament die Stromeffizienz sträflich vernachlässigt: es braucht dringend eine stark lenkende, vollständig an Haushalte und Wirtschaft rückerstattete Energieabgabe (mit Entlastung exportierter und Belastung importierter Güter und Dienstleistungen) auf sämtlichen Energien. Und es braucht strenge Effizienzvorgaben für elektrische Geräte – und nicht die sanften Bestimmungen der eidgenössischen Energieverordnung.
Alle Vorstösse, die sich etwa um die kostendeckende Einspeisevergütung KEV drehen, fussen erstens in der Scheinenergiepolitik der letzten Jahre und ermöglichen zweitens nicht die Veränderungen, die erforderlich sind. Die KEV ist so rasch als möglich ersatzlos zu streichen (genauso wie die Teilzweckbindung der CO2-Abgabe für Das Gebäudeprogramm) – die KEV ist die effizienteste Einrichtung zur Verhinderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien! Es gibt nur eine Lösung, die weiterhilft: wer in der Schweiz Strom verkaufen will, hat nach einem genauen zeitlichen Fahrplan Mindestanteile von naturemade basic und star-Stromqualität anzubieten. Der Endpunkt ist klar: bis 2030 hat jede stromverkaufende Unternehmung 100 % Strom aus erneuerbaren Quellen anzubieten – mindestens 50 % davon als naturemade star. Als weitere Bedingung gehört dazu, dass mindestens 75 % des Stroms aus „eigenen“ Anlagen (also mit Kapitalanteil des anbietenden Unternehemens) und nicht nur als Zertifikate stammen müssen.
Wie hoch der aktuelle Atomstomanteil der Schweiz ist, ist eine schwierig beantwortbare Frage – weil seit der Strommarktliberalisierung der physikalische Stromfluss (auf „Elektronenebene“) vom Stromhandel – dazu gehört auch der Herkunftswert – völlig getrennt ist. Ich gehe davon aus, dass etwa Axpo/NOK und Repower erhebliche Teile der „einheimischen“ Wasserkraftproduktion ins Ausland verscherbelt haben (nicht die Elektronen, sondern den ökologischen Wert). Zur Illustration: die Werke Fällanden deklarieren, welchen Strom sie an Haushalte und Wirtschaft liefern (respektive vom Vorlieferanten Axpo/NOK geliefert bekommen): 16.3 % sind Erneuerbare Energien, die zu 100 % in der Schweiz produziert werden, 83.7 % sind nicht erneuerbare Energien, die zu 49.2 % in der Schweiz produziert werden.
Wenn wir mal von 20 % erneuerbaren Strom im Jahr 2010 ausgehen, mit dem Ziel, bis spätestens 2030 100 % zu haben, dann ist dazu ein Zuwachs um 80 % innerhalb von 20 Jahren erforderlich. Oder anders: +20 % innerhalb von 5 Jahren. Und das schafft keine Einspeisevergütung, dies geht nur mit klaren Oekostrom-Quoten. P.S. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich hat bereits einen Anteil von erneuerbarem Strom von 75 % (2009) – die Industriellen Werke Basel sogar einen solchen von 100 %! Dies ist die direkte Folge der Energiepolitik der Städte – und wurde ohne Einspeisevergütung erreicht.
Der Nationalrat hat sich mit seinen Beschlüssen der Verfassung entgegengesetzt: die Verfassung verlangt zwingend eine nachhaltige Entwicklung. Dies gilt insbesondere auch für die erneuerbare Stromproduktion: Die zukünftige Stromproduktion, egal ob aus zentralen oder dezentralen Anlagen, hat zwingend nachhaltig genutzt zu werden. Die Erfahrung zeigt, dass dies am besten erreicht werden kann, wenn Umweltschutzorganisationen ein Beschwerderecht insbesondere zu Grossprojekten haben. Wenn nun der Nationalrat das Beschwerderecht aushebelt, missachtet er die Verfassung und setzt partiell den Rechtsstaat ausser Kraft. Eine solche Vorgehensweise ist unakzeptabel und dumm. Zudem ein weiterer Beleg dafür, dass die Stromproduktion politisch immer noch mehr Gewicht hat als die Stromeffizienz (oder gar Suffizienz-Überlegungen).
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten: bei der Energiepolitik geht es nicht nur um Strom, Energiepolitik ist eine der zentralen Einflussgrössen auf den Klimaschutz – eine nicht-nukleare und nicht-fossile Energieversorgung gehören zwingend zusammen!