Energiepolitik: weg vom Stammtisch

Bald jede Online-Meldung bietet den Online-StammtischlerInnen mit Atomlobby-Hintergrund Anlass, über den Verzicht auf die Atomenergie zu lästern – allerdings wird dabei häufig ohne jeden Faktenbezug geschwafelt. Beispiel vom Pfingstsamstag 2011: eine Meldung über die Autostaus wird im Online-TA-Stammtisch wie folgt kommentiert: Man stelle sich mal vor, die fahren dann später alle mit Elektroautos … Dann brauchen wir 10 neue AKWs …. Neben meinem Ceterum censeo, dass solche Online-Stammtische abzuschaffen sind, braucht die Energiepolitik endlich etwas mehr Faktenbezug. Dies lässt sich an diesem Beispiel bestens illustrieren.

 
Gemäss Energiestatistik des Bundes wurden 2009 139’530 Terajoules (TJ) Benzin und 95’060 TJ Diesel verbraucht, insgesamt also 234’590 TJ oder 65’164 GWh fossile Treibstoffe für den Strassenverkehr. Benzin- und Dieselautos nutzen nur rund 1/6 der eingesetzten Endenergie für den Betrieb – 5/6 sind verlorene Abwärme. Ein Auto mit Elektroantrieb nutzt etwa 3/4 des eingesetzten Stroms für den Betrieb. Wenn die heutigen Autos 1:1 mit Elektrofahrzeugen ersetzt würden, braucht dies rund 14’000 GWh Strom.

„Ein AKW“ ist eine ziemlich ungenaue Energie-Angabe – das AKW Mühleberg lieferte 2010 3’009 GWh Strom, die im Jahr 2008 von Axpo und anderen Stromfirmen vorgeschlagenen „neuen AKWs“ mit 1’600 MW elektrischer Leistung würden jährlich etwa 11’250 GWh Strom ins Netz einspeisen. Die 14’000 GWh Auto-Strom entsprechen etwa 1 1/4 der hypothetischen Neu-AKWs oder etwas mehr als 4 1/2 Mühleberg-AKWs – wieder mal mindestens Faktor 2 bis zu 8 daneben im Online-Stammtisch. Solches Geschwafel hat nichts mit der Meinungsäusserungsfreiheit zu tun.

Dieses Beispiel eignet sich zudem bestens die Vorurteile über den vermeintlichen Klimakiller Gaskraftwerk zu entkräften. Und dies geht so: Würden 35 % der im Jahr 2009 verbrauchten 65’164 TJ fossilen Treibstoffe als Erdgas in GUD-Kraftwerken eingesetzt, könnten damit mit einem Wirkungsgrad von 60 % die 14’000 GWh Auto-Strom bereitgestellt werden. Es braucht also keine neuen Atomkraftwerke und es ist gleichzeitig möglich, den Ausstoss von Treibhausgasen – aus dem Strassenverkehr – zu vermindern. Einmal mehr der Beleg dafür, dass eine nicht-nukleare und nicht-fossile Energieversorgung zwingend zusammengehören!

Im übrigen ist festzuhalten, dass das Klimaschutzpotential des Verkehrs noch viel grösser ist: zuerst Verkehrssparen, als nächsten Schritt den noch deutlich energieeffizienteren öffentlichen Verkehr auch für den Pfingstausflug benutzen – und den Strom für den ÖV aus erneuerbaren Quellen bereitstellen!

P.S. Neben den Jahreszahlen hat es im diesem Beitrag rund 19 Zahlen – eine solche Argumentation lässt sich im 400-Zeichen-Online-Stammtisch gar nicht ausbreiten!