Atomenergie ist unter anderem demokratieunverträglich

Wie viel zivilen Ungehorsam kann die Demokratie aushalten? Diese Frage stellt sich sowohl bei den (weltweiten) Climate Criminals als auch bei den Aktivitäten als Protest gegen die Castor-Tranporte in Deutschland, allerdings mit unterschiedlichen Vorzeichen.

Der Einsatz fossiler Energien und von atomaren „Brennstoffen“ hat eine Gemeinsamkeit: es werden begrenzt zur Verfügung stehende, also endliche Ressourcen aufgebraucht, mit extrem langfristigen Folgen für das Leben auf dem Planeten Erde.

Das Verbrennen von Heizöl, Erdgas, Benzin, Diesel, Kerosin, Kohle, … verändert das Klima; es wird befürchtet, dass der Mensch gemachte Klimawandel weit schneller erfolgt, als sich die Gesellschaft an diese Veränderungen anpassen kann. Vom übermässigen Raubbau an diesen endlichen Rohstoffen profitieren finanziell sehr wenig Menschen auf diesem Planeten. An den direkten Folgen dieses irreversiblen Eingriffe – von den persistenten Hinterlassenschaften in den Fördergebieten bis zu den Oelpesten wie etwa im Golf von Mexico – leiden bereits grosse Teile der Menschheit, es ist zu befürchten, dass weitere hinzukommen. Zivilen Ungehorsam begehen hier vor allem jene, die ökonomisch vom übermässigen Verbrauch der fossilen Brenn- und Treibstoffe profitieren: es wird versucht, ParlamentarierInnen zu kaufen (ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Republikaner und der Tea Party in den USA-Zwischenwahlen November 2010), es werden pseudo-wissenschaftliche Institutionen unterstützt, die Bevölkerung wird in Marketing-Aktionen für dumm verkauft. Ziviler Ungehorsam aus Eigen- und Gewinnsucht also – in keiner Form akzeptabel!

Als Episode: in Kalifornien wollte die Oelindustrie die Klimaschutzgesetze mittels einer Abstimmung über die sogenannte Prop 23 faktisch abschaffen – und setzte dafür mehr als 10 Mio US-Dollar ein, ein erheblicher Teil davon als Direktspenden der Oelindustrie von ausserhalb des Bundesstaates. Die Unterstützer der kalifornischen Klimaschutzgesetze waren die besseren Geschäftsleute sie brachten rund drei mal mehr Geld zusammen. Ein Teil davon ist sogenannt „grünes Geld“, also von Personen und Firmen, die davon profitieren, wenn die Gesellschaft vermehrt auf erneuerbare Energien setzt.

Erneuerbare Energien sind nachhaltiger als fossile Brenn- und Treibstoffe, als Atomenergie. Aber: auch Technologien zur „Gewinnung“ von erneuerbaren Energien sind nicht ohne ökologische Belastung zu haben. Oder anders: die Sonne scheint zwar gratis. Bis daraus nutzbare Wärme für die Wassererwärmung oder Strom für den Betrieb von Haushaltgeräten oder Computern wird, entstehen sowohl erhebliche Kosten wie nicht vernachlässigbare ökologische Belastungen. Als ein Beispiel, Zitat aus einer Studie der SATW: Insbesondere mit dem Aufkommen der Informations- und Kommunikationstechnologien, aber auch der Photovoltaik, ist der Bedarf an Indium, Platingruppenmetallen oder Seltenen Erden stark angestiegen. Das heisst: erneuerbare Energien sind nachhaltig zu nutzen, dazu gehört etwa, dass die Energien effizient genutzt werden, und dass der Energiekonsum bewusst eingeschränkt wird. Darum: es braucht Energiepolitiken, die gleichzeitig den (Primär-)Energieverbrauch deutlich vermindern UND den Ausstoss von Treibhausgasen noch deutlicher reduzieren, Stichwort 2000-Watt-Gesellschaft, im Gegensatz zur Eine-Tonne-CO2-Gesellschaft, wie sie etwa von der ETH oder dem Kanton Zürich, insbesondere von SVP-Regierungsrat Markus Kägi, propagiert wird.


Nachdem die deutsche CDU/CSU-FDP-Regierungskoalition, welche bekanntlich ohne Mehrheit der Stimmberechtigten die Amtsgeschäfte ausübt, mit undurchsichtiger Vorgehensweise und nicht nachvollziehbaren Gründen die Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke erheblich verlängert hat, war zu erwarten, dass der Atommüll-Transport von der Wiederaufbereitungsanlage La Hague zum Zwischenlager Gorleben einmal mehr zum Brennpunkt der Diskussionen über die demokratieunverträgliche Atomenergie werden würde. Wenn die Regierung offenbar mauschelt, und dabei den Interessen einiger weniger Unternehmen mehr Gewicht zukommen lässt als den gesamtgesellschaftlichen Ansprüchen auf eine nachhaltige Entwicklung. Denn: diverse Studien haben gezeigt, dass eine nachhaltige Energieversorgung, also sowohl ohne fossile wie ohne nukleare Energien, machbar ist.

Wenn die deutsche Bundesregierung die Zukunftschancen der erneuerbaren Energien vergeigt, weil sie den Stromgrosskonzernen zu mehr Atomumsatz verhelfen will, wird ziviler Ungehorsam zur Pflicht. Auch wenn der Atommüll bereits entstanden ist, muss sich nicht nur die deutsche Regierung bewusst sein, dass sich ein derart gefährlicher Transport, welcher zudem nicht zu einer dauerhaften Lösung führt, nur durch anti-demokratische, polizeistaatliche Massnahmen durchsetzen lässt, besonders dann, wenn diese gleiche Regierung dafür sorgt, dass diese nicht-nachhaltige Energienutzung noch länger betrieben werden muss.

Ob all die mehr oder weniger symbolischen Massnahmen im Wendland – von Schottern bis WiderSitzen – angemessen sind, ist nicht zu diskutieren: die Ohnmacht der Zivilgesellschaft gegen eine wirtschaftshörige Regierung darf sich auch in der Wahl der Mittel äussern (solange es nicht um Gewalt geht).

Klar ist demgegenüber, jede und jeder hat direkte Handlungsmöglichkeiten: Falls dies noch nicht geschehen ist, kann jede und jeder zu Hause, am Arbeitsplatz den Atomstrom abwählen Selbstverständlich ist insbesondere der Strom aus erneuerbaren Quellen effizient zu nutzen, zum Beispiel, indem nur Geräte aus der topten-Liste gekauft werden. Und regelmässig ist auch die Frage fällig, ob denn dieses oder jene neue Gerät tatsächlich nötig ist – als kleine Anleihe an LOVOS (Lifestyle of voluntary simplicity)!


Eine wirtschaftshörige deutsche Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel, die ohne Grund und ohne Zweck die Laufzeit deutscher Atomkraftwerke verlängern lässt, und damit die Anti-AKW-Bewegung geradezu wieder auf den Plan ruft: dies muss Frau Bundesrätin Doris Leuthard, der neuen Vorsteherin des UVEK zu denken geben, verlangt in der Schweiz der rückständige Wirtschaftsverband economiesuisse sogar den Bau NEUER Atomkraftwerke. Aber eben, wie auch schon gesagt: rein vom Prinzip her ist Frau Leuthard als UVEK-Vorsteherin eine Versicherung gegen neue Atomkraftwerke. Zum Thema Versicherung von AKWs: traditionell haben private Versicherungsgesellschaften den rationalsten Zugang zu Risiken und den damit verbundenen Schäden. Solange allerdings die BetreiberInnen von AKWs die potentiellen Schäden durch den Betrieb ihrer Grossanlagen nicht versicherungstechnisch absichern müssen, trägt die Oeffentlichkeit diese nicht unbeträchtlichen Risiken – nochmals eine Legitimation für zivilen Ungehorsam.


Selbstverständlich braucht es „langlebige“ Lösungen für die Lagerung des Atommülls. Die Erfahrungen mit Lagern wie Gorleben oder Asse, aber auch mit Sondermüllanlagen wie Kölliken (obwohl als mustergültig eingerichtet und betrieben, erfordert diese Deponie heute eine extrem aufwändige Sanierung respektive Stilllegung) lässt allerdings befürchten, dass die Menschheit heute nicht über die Möglichkeiten verfügt, eine sichere Lagerung dieses Atommülls über 500’000 bis 1’000’000 Jahre zu gewährleisten! Somit ist die Atomenergie nicht nur heute demokratieunverträglich, sondern auch für hunderte von nachfolgenden Generationen! Hat es wohl je eine Gesellschaft gegeben, die ihren Nachkommen derart gravierende und unbewältigte Problemstellungen übergeben hat? Sollte die Pro-AKW-Lobby je nochmals das Wort „Nachhaltigkeit“ im Zusammenhang mit Kernkraftwerken benutzen, ist dies hochzynisch und verantwortungslos.


Nachtrag 8.11.2010: Der Kommentar dazu aus Titanic

Erste Fassung 7.11.2010