Am Sonntag, 28. November 2021 werden in der Stadt Zürich die Stimmzettel von acht Vorlagen ausgezählt. Zu den drei Vorlagen des Bundes, einer Vorlage des Kantons Zürich und vier Vorlagen der Stadt Zürich zu Beginn meine Abstimmungsempfehlung, dann nachfolgend mehr oder weniger ausführliche Überlegungen zu einzelnen Vorlagen.
Bund
- Pflegeinitiative: JA
- Justiz-Initiative: JA
- Änderung vom 19. März 2021 des Covid-19-Gesetzes: JA
Bund: Internet-Angebot zur Abstimmung
Kanton Zürich
- Energiegesetz (EnerG) (Änderung vom 19. April 2021; Umsetzung der MuKEn 2014): JA
Kanton Zürich: Internet-Angebot zur Abstimmung
Stadt Zürich
- Kommunaler Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen: JA
- Kommunaler Richtplan Verkehr: JA
- Rahmenkredit von 330 Millionen Franken für den Ausbau der Fernwärmeversorgung: NEIN
- Ersatzneubau Wohnsiedlung Hardau I: JA
Stadt Zürich: Abstimmungspublikation vom 28. November 2021
Meine Überlegungen zu einzelnen Vorlagen
Bund: JA zur Volksinitiative «Für eine starke Pflege»
Pflegeberufe sind – etwa wegen den Arbeitsbedingungen, den Löhnen, der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und der Personalausstattung in den Spitälern oder Pflegeheimen – derzeit nicht auf eine nachhaltige Berufsausübung angelegt. Die Initiative bringt deutliche Verbesserungen, die weit über den indirekten Gegenvorschlag des Parlaments hinausgehen.
Bund: Die Justiz-Initiative bringt (mehr) Gerechtigkeit – deshalb JA
Bundesrichter*innen werden derzeit vom Parlament gemäss den Partei-Vorschlägen gewählt und wiedergewählt. In der Praxis führt dies regelmässig zu Diskussionen über die tatsächliche parteiliche Unabhängigkeit der Richter*innen. Da es mehr im Grundsatz fähige Kandidat*innen für die Richter*innen-Ämter gibt, ist die Wahl nach einem Losverfahren sachgerechter als das heutige parteiische Auswahlverfahren.
Bund: JA zum COVID-19-Gesetz
Nach diversen Faktenchecks gibt es es keine fachliche und sachliche Rechtfertigung für das Referendum gegen das COVID-19-Gesetz – es geht beim Referendum ausschliesslich um einen (ungerechtfertigten) Denkzettel zur Covid-Politik der Behörden. So nicht – darum JA zum COVID-19-Gesetz!
Zur Unterstützung: Freiheitsimpflerin/Freiheitsimpfler!
Kanton Zürich: JA zur Änderung des Energiegesetzes
Am 14. Januar 2015 hat die Energiedirektor*innen-Konferenz der Kantone die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn 2014) beschlossen – die Energiedirektor*innen rechneten damals damit, dass «der zeitliche Bedarf für die Umsetzung in das kantonale Recht drei bis fünf Jahre in Anspruch nehmen wird». Mit der Abstimmung am 28. November 2021 hat der Kanton Zürich diese zeitliche Planung nicht eingehalten.
Januar 2015? Ende des gleichen Jahres 2015 hat in Paris die Weltklimakonferenz stattgefunden, und sie hat eine klare Klimaschutz-Vorgabe beschlossen, um die Klimaerhitzung auf bestenfalls 1.5 °C gegenüber dem voindustriellen Zeitpunkt zu beschränken. Das neue Zürcher Energiegesetz geht zwar weiter als die Vorgaben der MuKEn 2014, leistet aber nicht den Beitrag, der nötig ist, um die Ziele des Pariser Klimaschutz-Übereinkommens einzuhalten. Trotz offensichtlichem Demokratieversagen ist ein Ja zum geänderten Zürcher Energiegesetz angezeigt.
Die fossile Mafia ist auch im Kanton Zürich nach wie vor mit viel Lügen-Propaganda unterwegs
Der Heizöl- und Erdgas-Verein Zürich (HEV, hiess früher irrümlicherweise Hauseigentümerverband) hat das Referendum gegen die zwingend nötige Änderung des Zürcher Energiegesetzes ergriffen, mit ausschliesslich Lügen-Propaganda, die vor der Abstimmung nochmals ausgewalzt wird.
Einige Beispiele:
- Da behauptet der HEV, es passiere freiwillig/eigeninitiativ genug Klimaschutz. Seit 1990 habe der CO2-Ausstoss des Gebäudeparks um 34.5 Prozent abgenommen. Einfach dies: Wenn es so weitergeht, wäre der Stand 2050 somit bei 69 Prozent Verminderung des CO2-Ausstosses, aber sicher nicht bei ausschliesslich erneuerbaren Energien, was ernsthafter Klimaschutz spätestens um 2035 bis 2040 erreichen müsste. Dazu kommt: diese Verminderung des CO2-Ausstosses ist massgeblich durch Vorschriften erreicht worden, obwohl der HEV dagegen war (siehe zum Beispiel Blog-Beitrag von Regierungsrat Dr. Martin Neukom).
- Da behauptet der HEV, der Einsatz von Wärmepumpen anstelle von Öl- und Gasheizungen erfordere in vielen Fällen eine Leerkündigung, weil eine Bodenheizung eingebaut werden müsse. Die Fakten sind ganz anders: diverse Studien aus dem In- und Ausland zeigen, dass auch eine Luft/Wasser-Wärmepumpe in bestehenden Bauten energieeffizient Wärme für Heizung und Wassererwärmung bereitstellen kann. Allenfalls braucht es (meist so oder so geplante) einzelne Erneuerungsmassnahmen an der Gebäudehülle mit energetischer Relevanz und die Vergrösserung einzelner Heizkörper. Der HEV berät auch Bauherrschaften – mit dem Nicht-Wissen über fundamentale energetische Zusammenhänge wird da (absichtlich?) falsch beraten.
Nach der Erdölpreiskrise 1973 war eigentlich klar, dass so rasch aus möglich aus den fossilen Energieträgern auszusteigen ist. Die in immer grösserem Umfang in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Fakten über die Klimakrise verstärken die Notwendigkeit zum raschmöglichsten Ausstieg aus den fossilen Energien. Die entsetzten Reaktionen auf die im Herbst 2021 bekannt gewordenen Preissteigerungen für Öl und Gas dokumentieren einmal mehr das Versagen mehrerer Generationen beim schon längst als dringlich erkannten Ausstieg aus den fossilen Energien.
Die Unfähigkeit im Umgang mit Investitions- und Betriebskosten von Heizungsanlagen
Die Installation einer Wärmeerzeugungsanlage mit erneuerbaren Energien kostet mehr als der Einbau einer Öl- oder Gasheizung – dafür sind die Betriebskosten von Anlagen mit erneuerbaren Energien tiefer (auch ohne Berücksichtigung, dass fossile Energien direkt und indirekt erheblich subventioniert werden). Auf der Internet-Seite Ja zum Klimaschutz – Ja zum Zürcher Energiegesetz am 28.11.21 ist eine Grafik mit den Jahreskosten verschiedener Heizsysteme zu finden. Das relevante Stichwort ist hier «Jahreskosten». Bei den Investitionskosten in die neue Heizung heisst es dazu: «Investitionskosten über 20 Jahre (berechnet pro Jahr)». Die Ölheizung als billigste Lösung verursacht pro Jahr berechnet Investitionskosten, die bloss 40 Prozent der Investitionen in eine Wärmepumpe mit Erdsonden betragen. Werden zusätzlich die (jährlichen) Energie-, Betriebs- und Unterhaltskosten berücksichtigt, ist die Wärmeversorgung mit der Erdsonden-Wärmepumpe allerdings rund 30 Prozent billiger als die Wärmeversorgung mit der Ölheizung.
Irgendjemand, in der Regel die Eigentümerschaft, muss die gesamten Investitionskosten in die Heizungsanlage nach Installation bezahlen, die Mieter*innen profitieren jährlich von den verminderten Energie-, Betriebs- und Unterhaltskosten. Da müsste eigentlich eine Mietzinserhöhung, die in der Regel deutlich geringer ist als die jährlich eingesparten Energie-, Betriebs- und Unterhaltskosten, sehr gut möglich sein.
Seit langen Jahren erlebe ich insbesondere den Zürcher Mieter*innen-Verband als Institution, die jede Investition in das Gebäude als «spekulativ» bezeichnet; zudem werden systematisch die Prinzipien der Zuordnung von Wertvermehrungs- und Werterhaltungskosten missachtet. Verstärkt wird dies dadurch, dass eine Art Recht auf Verbleib in der bisherigen Wohnung postuliert wird, auch wenn etwa in einer Familienwohnung die Kinder längst erwachsen und in der Regel aus der Wohnung ausgezogen sind.
Der dauernde vor allem auf Kommunikations-Medien ausgetragene echte oder scheinbare Konflikt zwischen Mieter*innen- und Hauseigentümer*innen-Verbänden ist mit ein Grund, warum der Gebäudepark eine deutlich zu tiefe Erneuerungsrate aufweist. Die völlig verunglückte Kommunikation des Zürcher Mieter*innen-Verbandes zur 2021-Änderung des kantonalen Energiegesetzes zeigt klar auf, dass sowohl beim Mieter*innen-Verband wie auch beim Heizöl- und Erdgas-Verein (HEV) endlich eine enkel*innen-taugliche Politik erforderlich ist! Es ist zudem fraglich, ob es zweckmässig ist, zur Verhinderung des Klimaschutzes die Erfüllung von teilweise absurden Instrumenten (zum Beispiel absolutes und zwingendes Leerkündigungsverbot) zu fordern.
Auch die von der Alternativen Liste lancierte Initiative «Mehr Alterswohnungen für Zürich» dokumentiert das stark durch den Mieter*innen-Verband geprägte Versagen der Zukunftsoptik beim Gebäude- und insbesondere Wohnungspark.
Einige Aspekte dazu:
- «Vintagestyle» im Gebäudepark hat nichts mit Enkel*innen-Tauglichkeit zu tun.
- Statt der funktionalen Entmischung im Gebäudepark braucht es auch im Wohnungsbau funktionale Mischungen, zum Beispiel Mehrgenerationen-Bauten, räumliche Nähe von Wohnen und Workspaces, Einkaufs- und Freizeitangebote.
- Es ist dafür zu sorgen, dass im Mittel der Wohnflächenbedarf pro Person deutlich abnimmt.
- Je länger ein Gebäude besteht, desto grösser werden die Differenzen zu den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen der Nutzer*innen, auch unter Berücksichtigung von Suffizienz-Aspekten. Viele Bauten sind beispielsweise nicht für die zukünftig tendenziell heisseren Sommer ausgelegt. Ebenso bestehen teilweise erhebliche Defizite bei der Wohn-Hygiene, etwa baupysikalische Mängel, innergebäudliche Lärmschutz-Thematik, Luftqualität. Zudem bestehen vielerorts Verdichtungspotentziale und Stadtklima-Verbesserungsmöglichkeiten.
- Oder anders: Ersatzneubauten sind auch zukünftig ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung des Gebäudeparks, denn nicht jedes bereits gebaute Gebäude ist prinzipiell enkel*innen-tauglich. Unter Einbezug der Kreislaufwirtschaft sind auch die ökologischen Fussabdrücke von Bauvorhaben verantwortbar.
- Oder nochmals anders: Bei Ersatzneubauten stehen in der Regel nicht spekulative Aspekte zur Debatte, sondern die Zukunftsfähigkeit von Bauten. Leerkündigungsverbote sind nicht zielführend – es braucht eher Regeln für einen verantwortungsvollen Umgang von Hauseigentümerschaften und Mieter*innen.
- Die nahe und weitere Energie-Zukunft des Gebäudeparks erfordert Null- oder sogar besser Plus-Energie-Bauten.
- Neben den Klimaschutzkosten sind immer auch die Kosten für Klimakrisen-Folgen und die Kliamkrisen-Anpassung in die finanziellen und politischen Debatten einzubeziehen.
Weil dieser Absatz ziemlich umfangreich ist, hier zum Abschluss nochmals:
JA zur Änderung des kantonalen Zürcher Energiegesetzes
Stadt Zürich: JA zum kommunalen Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen
In der Schweiz gilt das Subsidiaritäts-Prinzip. Darum ist ein Richtplan, welcher Siedlung(en), Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen betrifft, eine gute Sache. Es gibt keine wirklich nachvollziehbaren Argumente gegen diesen Richtplan, darum JA zum kommunalen Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen!
JA zum kommunalen Richtplan Verkehr: JA
Ich bin in der Stadt sehr häufig mit dem Velo unterwegs. Für mich ist eine vorausschauende und rücksichtsvolle Fahrweise selbstverständlich, insbesondere gegenüber Menschen, die zu Fuss unterwegs sind. Allerdings: in Zürich werde ich – auch im Vergleich mit anderen Städten und Ländern – bildlich und wörtlich regelmässig an den Rand gedrängt. Der Stellenwert der Velofahrenden ist ein Aspekt dieses kommunalen Richtplans. Nicht einverstanden damit sind vor allem jene, die das Auto nach wie vor als «heilige Kuh» wahrnehmen, durchaus mit mehr oder weniger starken Bezügen zur Auto-Poser-Szene. Für einen Verkehr, der die Lebensqualität weniger einschränkt, braucht es ein JA zum kommunalen Richtplan Verkehr.
NEIN zum Rahmenkredit von 330 Millionen Franken für den Ausbau der Fernwärmeversorgung
Fernwärme aus (Wegwerf-)Kehricht und aus (noch nicht nachweislich nachhaltig genutztem) Holz ist eine Sackgasse auf dem Weg in eine fossilfreie Energiezukunft. Es braucht zwingend Null- oder sogar Plus-Energie-Bauten mit nachhaltig genutzten erneuerbaren Energien aus dezentralen Quellen. Wenn wir alle wollen, geht das auch in einer Stadt wie Zürich – selbstverständlich mit Kreislaufwirtschaft!
JA zum Ersatzneubau Wohnsiedlung Hardau I
Breiterer Wohnungsmix mit kostengünstigen Mietzinsen, grössere Anzahl BewohnerInnen, Dach-Fotovoltaik, viel weniger Autoabstellplätze – erfreuliche (und eigentlich selbstverständliche) Aspekte eines Ersatzneubaus. Darum JA zum Ersatzneubau Wohnsiedlung Hardau I.