«System Change» — in der Klimakrise endlich weg von Neoliberalismus, Monekratie und Meritokratie

Nicht erst seit dem Erstarken der Klima(gerechtigkeits-)bewegung wird «System Change» verlangt. Insbesondere Menschen in reichen Ländern sind mit einem massiv übergrossen Fussabdruck unterwegs. Unter Nachhaltigkeitsüberlegungen, also zur Sicherstellung der EnkelInnen- und UrenkelInnen-Zukunft, sind erhebliche Veränderungen erforderlich. Neoliberalismus/Eigenverantwortung, Monekratie und Meritokratie haben definitiv ausgedient.

Eine knappe Mehrheit des Nationalrates hat Anfang März unverbindlich verlangt, dass sämtliche staatlich vorgegebenen Massnahmen im Zusammenhang mit der Corona-/Covid-19-Epidemie aufgehoben werden. Durch diesen Beschluss entstand der Eindruck, die knappe Mehrheit des Nationalrates wolle mehrheitlich die seit Mitte März 2020 prägende Pandemie/Epidemie beenden. Der gleichzeitig diskutierte «Maulkorb» für gewisse WissenschafterInnen verstärkt diese Wahrnehmung.

«Eigenverantwortung» – im aktuellen Verständnis der Fokus auf die eigenen (egoistischen) Interessen – gilt bereits als mögliches Unwort der Jahre 2020 und 2021; dadurch wird der Neoliberalismus konkretisiert.

Spätestens bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative am 29. November 2020 wurde erkennbar, dass die «Eigenverantwortungs»-Parteien und -Verbände den Anspruch haben, sich die Stimmen der Stimmberechtigten mehr oder weniger direkt mittels PR, Marketing und Werbung zu kaufen, also mit einer monekratischen Vorgehensweise. Nicht akzeptiert wird allerdings in diesen Kreisen, dass Nicht-Regierungsorganisationen und Kirchen ebenfalls erhebliche Mittel in PR, Marketing und Werbung investieren. Eine Mehrheit der Stimmberechtigten hat der Initiative zugestimmt; weil allerdings das Ständemehr knapp nicht erreicht wurde, gilt die Initiative trotzdem als abgelehnt.

Offensichtlich ist, dass Firmen bei sozialen und ökologischen Herausforderungen nicht mehr bloss «eigenverantwortlich» agieren sollten. Gefordert ist – und dies wird sicher mittel- bis längerfristig zur Regel –, dass an erster Stelle das Allgemeinwohl zu berücksichtigen ist (auch als Commons oder gemeinsame Güter bezeichnet).

Unter anderem Reformator Johannes Calvin hat die Prädestinations-Sicht (Vorherbestimmung) geprägt. Vereinfacht ausgedrückt meint dieses in diversen Stufen weiterentwickelte ethisch-moralische Konzept, menschliches Handeln sei dank der göttlichen Gnade erfolgreich. Wer erfolgreich ist, stehe unter besonderer göttlicher Gnade. Eine säkularisierte Form zeigt sich in der Meritokratie (von lateinisch «meritum», das Verdienst, nach Duden Anerkennung verdienende Tat, Leistung), eine Form der Aristokratie. Diese Sichtweise steht in erheblichem Widerspruch zu demokratischen Grundprinzipien, etwa der «égalité» gemäss französischer Revolution (als Teil von Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit) oder gemäss Schweizerischer Bundesverfassung («gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen», «[Die Schweizerische Eidgenossenschaft] sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern.», «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich»).

Ein Aspekt dieser neoliberal geprägten meritokratischen Monekratie ist die seit langem bekannte fehlende Kostenwahrheit – etwa im Verkehr. Im privaten Motorfahrzeug-Personenverkehr entstehen diese Kosten durch zum Beispiel Luftverschmutzung, Lärm, CO2-Ausstoss und Unfälle. Diese durch die Allgemeinheit, also nicht durch die VerursacherInnen, bezahlten Kosten betrugen im Jahr 2017 rund 1000 Franken jährlich pro Person.

Die auf «Eigenverantwortung» bezüglich der egoistischen Interessen aufbauende Klimapolitik nennt meist nur die Kosten der für echten Klimaschutz erforderlichen Energiewende, vergisst aber die Nennung der Kosten für das Nichtstun, wenn also kein Klimaschutz erfolgt, und blendet auch die Veränderungen bei den externen Kosten aus.

Die Fortsetzung der bisherigen Politik funktioniert also nur mit Fakes und Lügen!

Ein Beispiel ist das völlig ungenügende CO2-Gesetz der Schweiz in der Fassung von National- und Ständerat vom September 2020. Weil die Fossillobby das Referendum ergriffen hat, wird jetzt dieses völlig ungenügende Gesetz von vielen AkteurInnen gehypt, um vom Demokratieversagen abzulenken. Klar ist: Das völlig ungenügende CO2-Gesetz reicht bei weitem nicht aus, um die minimalistische Klimapolitik des Bundesrates zu erfüllen. Somit ist dieses Gesetz erst recht nicht geeignet, dafür zu sorgen, dass die Schweiz die Verpflichtungen des Pariser Klimaschutz-Übereinkommens vom Dezember 2015 einhält.

Im Interesse der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen braucht es einen deutlichen System Change – unsere Gesellschaft muss von vielen Gewohnheiten und Verhaltensweisen Abschied nehmen, um eine nachhaltige(re) Entwicklung zu ermöglichen.


Die Allmende «Weltklima» – als eine der Grundlagen für ein lebenswertes Leben – verlangt, dass so rasch als möglich auf fossile und nukleare Energien verzichtet wird und zukünftig ausschliesslich erneuerbare Energien nachhaltig genutzt werden. Bekannt ist, dass dies technisch und ökonomisch möglich ist, wenn wir alle wollen (siehe auch «Plan W. 2039. Wir alle wollen.»)! «So rasch als möglich» bedeutet, dass ab sofort bei jedem Entscheid die fossilfreien Varianten zu bevorzugen sind, unabhängig davon, was irgendwo sonst auf dem Planeten passiert.

Wir wissen alle, dass unser ökologische Fussabdruck auch durch Dinge beeinflusst wird, die nicht in unserem individuellen oder nationalen Verantwortungsbereich liegen. Allerdings: diese Realität darf nicht dazu missbraucht werden, im eigenen Verantwortungsbereich auf den Klimaschutz zu verzichten – gerade in der Schweiz besteht eine recht lange Geschichte etwa beim übermässigen Verbrauch fossiler Energieträger.

Kürzlich wurde eine Untersuchung  vorgestellt, die eine neue Aufteilung des ökologischen Fussabdruckes vorschlägt. Demnach sollen die handelsbedingten Emissionen relativ zum ökonomischen Vorteil auf ExporteurInnen und ImporteurInnen aufgeteilt werden. Ein Zitat aus dem SRF-Bericht: «Das einseitig auf den Export fossiler Brennstoffe ausgerichtete Russland ist viel stärker von dessen Export abhängig, als der Käufer in Europa, der zunehmend auf Alternativen ausweichen kann. Die CO2-Emissionen würden also zu einem grösseren Teil auf das Konto Russlands gehen.» Diese ökonomische Argumentation ändert allerdings nichts daran, dass auch in der Schweiz möglichst rasch auch aus den fossilen Energieträgern insbesondere Erdöl und Erdgas auszusteigen ist.

Als Zitat aus meinen Blog-Beitrag FDP: Unwissenheit beim Klimaschutz: Was bei Gasinfrastrukturen in den letzten mehr als zehn Jahren erfolgt ist, kann – mit den Worten von Prof. Dr. Claudia Kemfert – nur als «schlechtes Unternehmertum» bezeichnet werden, da «seit mehreren Jahrzehnten allgemein bekannt ist, dass die fossile Energiegewinnung wegen des Klimawandels ein Auslaufmodell sein muss».