Autofahren in Zeiten des Klimawandels und der Finanzkrise

Die empfindlichen Reaktionen der offensichtlich Autofahrenden in den virtuellen Stammtischrunden von Auto-Anzeiger und NZZ wegen der rechtzeitigen Realisierung der flankierenden Massnahmen auf den Strassen der Stadt Zürich im Zusammenhang mit der Eröffnung des Autobahn-Uetlibergtunnels zeigen eines: Autofahrende müssen sich nicht nur auf den Strassen neu orientieren!

Gerade bei mittleren und grösseren Städten, zumindest in der Schweiz, ist völlig klar: das motorisierte individuelle Verkehrsmittel (MIEF) Auto spielt keine tragende Rolle bei der Abdeckung der Verkehrsbedürfnisse der StadtbewohnerInnen und StadtbesucherInnen. Nicht erst seit den Zeiten des menschgemachten Klimawandels und der Finanzkrise, sondern seit langer Zeit: Autos stinken übermässig, sie produzieren trotz Katalysator übermässig Luftschadstoffe, sie lärmen übermässig, sie brauchen übermässig Platz, sowohl beim Stehen (denn Autos sind hauptsächlich Stehzeuge) als auch beim Fahren, sie sind übermässig sicherheitsgefährdend, sie brauchen eine übermässig teure Infrastruktur – und eben: sie sind übermässig teuer, sie belasten das Weltklima übermässig und so weiter und so fort.

Wer schon mal die Grössen von Wanderwegschildern, Velowegweisern und Autobahntafeln verglichen hat, weiss: Autofahrende scheinen sehr unbeholfen zu sein. Auch die Reaktionen in den virtuellen Stammtischen zeigen die Veränderungsangst der Autofahrenden. Wer den Langsamverkehr benutzt, wer mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs ist, bekommt beim Unterwegssein regelmässige Flexibilitätstrainings mitgeliefert – da bleibt man beweglich! Bekanntlich ist jede Gegenwart Veränderungen unterworfen. Autofahrende, packen Sie die Gelegenheit, stossen Sie Ihr Auto so rasch als möglich ab, und beginnen Sie sofort mit dem Flexibilitätstraining respektive sind Sie zu Fuss, mit dem Velo oder dem öffentlichen Verkehr unterwegs – wenn es ausnahmsweise eher schwierige Verbindungen gibt, steht dazu auch eine ausreichende Zahl von Mobility-Fahrzeuge zur Verfügung.

Autos sind definitiv und endgültig zu teuer, um als Alltagsverkehrsmittel betrachtet zu werden. Erwarten Sie also nicht Respekt und Rücksichtsnahme von Nicht-MIEF-Verkehrsteilnehmenden, sondern allenfalls Mitleid für Ihre Fehlinvestition!

Es gibt tatsächlich einige wenige Situationen, die kaum anders als mit einem Auto zu bewältigen sind. Grössere Materialtransporte etwa (die samstägliche Einkaufstasche gehört nicht dazu, aber beispielsweise die Fahrten der offenbar sehr vielen Servicemonteure, gar nicht gewusst, wie lausig die Qualität der von unserer Wirtschaft angefertigten Waren ist) oder die Fahrten des installierenden Gewerbes brauchen endlich den nötigen Raum. Im Interesse der Wirtschaft deshalb: möglichst auf den Gebrauch des Autos verzichten.

Die gröberen Schwierigkeiten der Automobilindustrie, die massiven Stütz- und Förderbeiträge der Staaten in Milliardenhöhe zeigen eines: die Automobilwirtschaft ist nicht etwa eine tragende Säule der Volkswirtschaft, sondern muss von dieser gestützt und getragen werden! Wer also ein Auto besitzt und nutzt, handelt NICHT im Interesse der Volkswirtschaft!

Und dann noch dies: es ist so, das Abbremsen vor dem Fussgängerstreifen und nachfolgende Beschleunigen, die geringfügigen Umwegfahrten, welche sich zum Beispiel aufgrund der Förderung des öffentlichen und Langsam-Verkehrs (Stichwort Limmatquai) oder der Beruhigung von Wohnquartieren ergeben, führen in der Tendenz zu höheren Verbrauchswerten und zu geringfügigen höheren Schadstoffbelastungen. Nur: dies ist nicht eine Folge der Verkehrspolitik, sondern eine Folge der individuellen Fehlentscheide der Autofahrenden. Ausser bei „Nutzfahrten“ (Gewerbe usw, siehe oben) gibt es nämlich kaum Gründe, das Auto als Verkehrsmittel zu nutzen. Wer das Auto benutzt, willigt damit ein in die Verkehrspolitik, welche sich einzuordnen hat in die Gesamtpolitik. Denn: Verkehrspolitik ist eben gerade nicht das Anbieten der kürzestmöglichen Verbindung von A nach B, sondern ein Unterwegssein, welches im Sinne der goldenen Regel der Ethik aus dem individuellen Verhalten möglichst geringe negative Auswirkungen auf die Allgemeinheit ergibt! Das Problem ist also nicht die energiepolitisch gewollte geringfügige Zusatzbelastung, sondern die massive und übermässige Grundbelastung aus der Benutzung des MIEV.

Es ist offensichtlich: die überwiegende Zahl von Autofahrten ist überflüssig, weil es ökonomisch, ökologisch und aus gesellschaftlicher Optik wesentlich bessere Alternativen gibt. Oder anders: auch die grünen Autobahnschilder vermögen die verheerenden Auswirkungen des Autoverkehrs auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu verstecken!


Nachtrag 6.5.2009

In der Auto-Anzeiger vom 6.5.2009 wird der Thalwiler Gemeinderat und Zürcher Gemeinderat Andreas Federer (CVP) zitiert. Er pendelt von Thalwil zu seinem Büroarbeitsplatz direkt beim Bahnhof Wiedikon – mit dem Auto! Und dies, obwohl auf dieser Strecke pro Stunde mindestens 7 S-Bahnverbindungen mit Fahrzeiten von 8 bis 12 Minuten angeboten werden. Als Ingenieur könnte allenfalls Herr Federer geltend machen, er müsse direkt von zu Hause aus Baustellenbesuche machen. Macht er aber nicht, er bezieht sich im Artikel ausschliesslich auf den Weg von zu Hause ins Büro und umgekehrt! Wenn der Tages-Anzeiger, sorry, Auto-Anzeiger im Titel des Artikels schreibt: „Fahrt in die Zürcher City bleibt eine Tortur„, so haben sich dies die Autofahrenden tatsächlich selbst zuzuschreiben. Und falls Herr Federer tatsächlich mal einen Baustellenbesuch machen muss: in der Umgebung des Bahnhofs Wiedikon gibt es einige Mobility-Fahrzeuge. Es ist und bleibt so: Autofahren in Zeiten des Klimawandels braucht gewisse Anpassungen des individuellen Verhaltens. P.S. Zum Bahnhof in Thalwil hat Herr Federer von seinem Wohnort aus zu Fuss höchstens 10 Minuten (weniger als ein Kilometer Distanz).


Nachtrag 18.10.2009

Unter dem Titel Fremdparkierern den Garaus machen berichtet der Auto-Anzeiger in der Online-Version vom 18.10.2009 am Beispiel der Gemeinde Dietlikon über die Bemühungen der Hardwald-Gemeinden (der nordöstliche Teil des Agglo-Gürtels um die Stadt Zürich), die öffentlichen Parkfelder für Park-and-Ride-PendlerInnen zu sperren: blaue Zonen mit Anwohnerbevorzugung – die Stadt Zürich kennt dies seit Jahren!) – sollen einerseits dafür sorgen, dass die Bewohnerinnen von Dietlikon eher einen Parkplatz finden (warum eigentlich????). Gleichzeitig soll erreicht werden, dass Fusswege und Strassenquerungen vor allem für SchülerInnen sicherer werden – nicht nur die Fahrzeuge sind also ein Problem, sondern auch die Stehzeuge! Es ist wie immer: die Fahr- und Stehzeuge der anderen sind im eigenen Quartier, im eigenen Dorf ein Ärgernis. Wenn nun also auch im 1. Agglogürtel die öffentlichen Gratisparkplätze durch blaue Zonen ersetzt werden, müssen sich wieder einige Auto- und ZugpendlerInnen umlernen: vielleicht finden sie noch einen Gratis-Parkplatz im 2. Agglogürtel, oder die Qualitäten des ausschliesslichen ÖV-Pendelns erschliessen sich weiteren Unterwegsseienden (bei übrigens geringen Zusatzkosten – am besten das Auto verkaufen und für die selten nötigen Fahrten ein Mobility-Fahrzeug nutzen), oder es gelingt, Arbeits- und Wohnort näher zusammen zu bringen.

Gerade im Bürobereich scheint eine weitere Option möglich: viele Arbeiten können dank Internet, E-Mail und Mobilkommunikation auch am Home-Arbeitsplatz erledigt werden, mit sehr wenig Organisationstalent sollte sich an den meisten Arbeitsplätzen als erster Schritt das Modell „4 + 1“ – 4 Tage im Büro, 1 Tag im Home-Büro – umsetzen lassen. Das Desk-Sharing-Modell von IBM oder das Flexible Office von Orange sind Ansätze, die in diese Richtung gehen. Wenn beispielsweise die Hälfte der Beschäftigten einer Region das Modell „4 + 1“ nutzt (oder entsprechende andere Kombinationen bei Teilzeitarbeit) – reduziert sich die Verkehrsmenge um etwa 10 Prozent, dies dürfte gerade in den Spitzenzeiten sowohl auf der Strasse wie beim öffentlichen Verkehr eindeutig erkennbar sein!

Erste Fassung: 4.5.09