Am 28. November 2010: Nein zur «Ausschaffungsinitiative» und zum Gegenentwurf der Bundesversammlung

Der 1. Adventssonntag 2010 hats in sich: wenn man den Umfragen glauben möchte, werden die SchweizerInnen einmal mehr einer völkerrechtlich unzulässigen Verschärfung der Gesetzgebung im Migrationsbereich zustimmen – die nationalkonservative SVP geht möglicherweise einem weiteren Abstimmungserfolg entgegen (selbst dann, wenn der ebenfalls sehr problematische Gegenentwurf des Parlaments angenommen wird).  

Nun, die Diskussion über die Ausschaffungsinitiative passt zu dem, was derzeit in Deutschland abläuft: da wird Thilo Sarrazin mit völlig abstrusen Thesen zum Bestellsellerautor, die Mehrheit der Volksmeinung ist ihm gewiss. Da kann die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit sehr viel Applaus behaupten: Multikulti ist «absolut gescheitert».

Was ist da passiert, dass sich die Volksseele an eigentlich unbedeutenden politischen Themen dermassen verausgabt?

Ich gehe davon aus, dass es sich dabei um einen Kulturschock handelt. Die Menschen, die bis jetzt in der sogenannt 1. Welt wohnten, gingen davon aus, dass ihr Kulturmodell, christlich-aufklärerischer geprägter demokratischer Rechtsstaat, das absolut überlegene Modell für das allgemeine Wohlergehen darstelle. Menschen aus anderen Kulturräumen würden dieses Kulturmodell als derart überzeugend erachten, dass sie von selbst sich in dieses System integrieren würden – zwar mit amüsanten, folkloristischen Eigenheiten, aber letztlich als Teil der Gesellschaft. Nun, dieses Kulturmodell umfasst viele Facetten, die es schwierig machen, die Kernpunkte darzulegen, aber letztlich wird es sehr gut durch die Schlagworte der französischen Revolution Gleichheit, Freiheit, Geschwisterlichkeit umschrieben. Ein System letztlich, welches sich zwar auf die ethischen Werte des Christentums in der Sichtweise der Aufklärung beruft, aber eine zum Teil informelle, zum Teil faktische Trennung von Kirche und Staat praktiziert: letztlich ein laizistisches Gesellschaftsmodell, welche Eigenverantwortung und Eigennutz, also das individuelle Wohlergehen, in den Vordergrund allen Handelns stellt.

Dieses System hat mit grosser Wahrscheinlichkeit einige gröbere Mängel. Einer davon: es ist nicht ohne grössere Veränderungen globalisierbar! Dieses System führt zu einer massiven Ueberbeanspruchung der natürlichen Ressourcen, es fördert die Ungleichgewichte – es gibt denen, die besitzen, es nimmt denen, die fast nichts haben. Selbst, oder vielleicht auch gerade mit dem ethisch-moralischen Gerüst von Christentum und Aufklärung ist dieses System nicht nachhaltig: der aktuelle Wohlstand geht zu Lasten anderer Weltgegenden, geht zu Lasten zukünftiger Generationen: Peak Oil, Krieg um Oel, Krieg um Ressourcen, Peak everything, World Overshoot Day … Die Verletzung der selbstgesetzten Regeln gehört zu diesem System (in der Schweiz etwa die Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug), auch das Ausblenden der grossen Mängel …

Ohne Zweifel: auch andere Gesellschaftsmodelle sind nicht globalisierbar. Angesichts der Mängel des christlich-aufklärerischen Systems heisst dies aber für die Machthabenden in anderen Systemen, dass es keine Begründung gibt, das eigene eingestandenermassen mangelhafte System durch ein anderes, ebenfalls mangelhaftes System zu ersetzen. Die chinesischen Machthabenden können es sich deshalb etwa erlauben, den Politaktivisten und Menschenrechtler Liu Xia, welcher nur an Rechten beansprucht, was etwa in Europa selbstverständlich ist, als Kriminellen zu bezeichnen (im vollen Wissen darum, dass sie damit letztlich die EuropäerInnen zu Kriminellen stempeln). Oder jene Staaten, die selbst entgegen den klaren Aussagen islamischer Religionswissenschafter, einen politischen Islamismus propagieren, die den betroffenen Menschen erhebliche Zwänge auferlegen (bis hin zum „Detailanliegen“ von Sura al-Shawk, die zwischen zwei starren Systemen – hier die Regeln ihrer „Staatsreligion“, hier die Regeln eines Sportverbandes – gefangen ist und deshalb nicht mehr Basketball spielen kann).

Ich propagiere einmal mehr gemeinsame Regeln für das Zusammenleben der Menschen (ausdrücklich nicht der Kulturen). Ich verweise dazu einmal mehr auf den Weltethos, auf die unverrückbaren Weisungen:

  1. Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben
  2. Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung
  3. Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit
  4. Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau

Selbstverständlich stehen diese Weisungen auf dem Fundament der christlich-aufklärerischen Weltanschauung, enthalten aber Elemente, die es ermöglichen, eine Globalsierung dieser Weisungen – eben als Weltethos – zu wünschen.

Zurück zur Abstimmung vom 28. November 2010: Wer Ja sagt zur Ausschaffungsinitiative, ignoriert, dass das heutige Gesellschafts- und Kulturmodell etwa in der Schweiz ein ein Auslaufmodell ist. Es braucht erhebliche Anpassungen, damit es zukunftsfähig wird – nicht verwunderlich, dass gerade die nationalkonservative SVP mit ihrem autokratischen und steinreichen Strategie-Vizepräsidenten an den alten Zöpfen festhalten will und nicht realisiert hat, dass sich sowohl die Schweiz wie die Welt wandeln (hat darum die SVP nur einen Museumsdirektor statt einem Bundesrat)?

Der WWF hat Mitte Oktober 2010 den Living Planet Report 2010 vorgestellt. Ein Zitat daraus: Verteilt man die natürlichen Schätze gerecht, stünden bei der aktuellen Weltbevölkerung jedem Erdenbürger maximal 1,8 Hektar zu. Doch die Realität sieht anders aus: In den reichen Staaten ist der ökologische Fußabdruck der Menschen rund fünf Mal so groß wie in den ärmeren Ländern. Deutschland steht mit rund fünf Hektar pro Kopf im Mittelfeld. Besonders verschwenderisch leben die Menschen u.a. in den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA mit einem Pro-Kopf Verbrauch von nahezu zehn Hektar.

Mit ihrer Initiative lenkt also die SVP von den realen Problemen ab – Scheinpolitik also! Genau das gleiche gilt für den Gegenentwurf. Darum 2 mal Nein (dann stellt sich auch die Frage nach der Bevorzugung eines dieser zwei Übel nicht).

Und dieses Doppelnein schafft den Raum, dass die Ökogrossfüsser endlich ihre Verantwortung wahrnehmen und an einer Welt mitgestalten, die allen Menschen Wohlergehen sichert.


Nachtrag 18.10.2010

Nach einem Medien-Artikel über die überharte Ausschaffungs-Praxis des Migrationsamtes des Kantons Zürich, geschützt durch den eigentlich bereits der SVP angehörenden Regierungsrat Hans Hallenstein (früher CVP), zeigt die SVP ihre verfassungsfeindliche Haltung einmal mehr überdeutlich: die Politik (aber sicher nicht eine einzelne Partei, wie dies derzeit im Kanton Zürich passiert) kann in ihrer Mehrheit die Praxis der Verwaltung bestimmen. Diese Wirkung der Politik auf die Gerichte ist in einem rechtsstaatlichen System höchst gefährlich. Selbst wenn RichterInnen von den Parteien vorgeschlagen und gewählt werden, sind sie ausschliesslich dem Gesetz verpflichtet. Wenn also die SVP des Kantons Zürich zwar dem Migrationsamt traut (offenbar ist dieses durchgehend mit treuen Parteisoldaten besetzt), nicht aber den RichterInnen, ist dies offener Aufruf zum Verfassungsbruch. Eine solche Partei muss dringend verboten werden.

Erste Fassung: 17.10.2010

Ein Gedanke zu „Am 28. November 2010: Nein zur «Ausschaffungsinitiative» und zum Gegenentwurf der Bundesversammlung“

  1. [dieser Kommentar wurde von Toni W. Püntener am 21.10.2010 13:34 gelöscht, weil er als rassistisch und fremdenfeindlich gemäss aktueller Praxis des Bundesgerichts bezeichnet werden musste]

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