Amüsante Sprachen-Differenz

Zwei Sprach- und Sprechakteure haben in den letzten Tagen beste Unterhaltung geboten, und zwar im Auto-Anzeiger, früher Tagesanzeiger. Den Beginn machte Peter von Matt mit dem von ihm verfassten Text „Der Dialekt als Sprache des Herzens? Pardon, das ist Kitsch!“ – Pedro Lenz reagierte darauf in einem Interview mit dem Titel „Schweizer haben in Deutschland eine Sprachbehinderung„. Es handelt sich dabei sicher um deutlich unterschiedliche Positionen, beide Positionen enthalten bedenkenswerte Aspekte – aber so individuell wie die eigene Sprache, so unterschiedlich dürfte auch die Reaktion der LeserInnen ausfallen.

Ein deutlich unterschiedlicher Aspekt: Peter von Matt schreibt, dass die Muttersprache [in der Deutschschweiz] Deutsch in zwei Gestalten ist: Dialekt und Hochdeutsch. Pedro Lenz demgegenüber hält fest, dass die gesprochene Muttersprache die die Mundart ist. Hochdeutsch sei angelernt, sei also eine Fremdsprache. Der Feinheit halber: Lenz zitiert von Moos somit nur bedingt richtig, wenn er anführt, von Moos spreche von zwei Muttersprachen.

Wenn Pedro Lenz SchweizerInnen eine Sprachbehinderung zubilligt, so gilt vorerst der schon fast zynische Spruch, behindert sei man nur, wenn man sich behindern lasse: zumindest in der Sprache geht es auch um ein gesundes Mass an Selbstvertrauen. Pedro Lenz führt als Beispiel für diese Sprachbehinderung Ueli Maurer an, wenn er mit deutschen Kollegen (also Exekutivmitgliedern auf Bundesebene) debattieren müsse. Nun, da Herr Maurer ja bekanntlich Museumsdirektor einer mittelalterlichen Sicherheitsauffassung ist, scheint dieser Vergleich eher untauglich – bei Doris Leuthard oder auch bei Neu-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, um nur zwei andere Mitglieder des Bundesrates zu nennen, käme niemand auf die Idee, diesbezüglich Vorbehalte anzubringen. Sprachliche Eloquenz ist nicht eine Frage der Anzahl Muttersprachen oder ihrer Erscheinungsformen!

Zwei- oder gar dreisprachig aufwachsende Kinder seien im Vorteil für den Erwerb zusätzlicher Sprachkenntnisse – aus dieser Sicht wäre eher die Position von Pedro Lenz zu bevorzugen. Andererseits ist die Ernsthaftigkeit des Spracherwerbs von grosser Bedeutung – da wäre Peter von Matt zuzustimmen, dass die Muttersprache in zwei Erscheinungen Platz lässt etwa für Früh-Englisch, -Französisch oder -Italienisch. Allerdings steht der Spracherwerb in Konkurrenz mit anderen schulischen Fähigkeiten – der frühere Zürcher Bildungsdirektor Ernst Buschor etwa meint, die Mathematik-Fähigkeiten der SchülerInnen hingen direkt mit der Anzahl Mathematik-Stunden zusammen (was dann wiederum zu einer guten Pisa-Plazierung führe – respektive zu besseren Zahlenakrobatikfähigkeiten der Banker, VersicherungsspezialistInnen, Ingenieurinnen – siehe dazu die Fussnoten).

Aus eigener Erinnerung: „Fremd“ waren die Sprache der Mittagsnachrichten, die Texte in den Zeitungen, in den Büchern nicht, aber sie waren auch nicht Muttersprache – ganz genau gleich wie (aus der Sicht des Zugerlandes) die Sprache der Grosseltern, Onkel, Tanten, Cousinen aus dem Bernbiet. Weder Muttersprache noch Fremdsprache also – mit der Erfahrung, dass auch das Verstehen wollen wichtig ist, dass dazu die Rückfrage gehört, wenn etwas nicht verstanden worden ist, dass auch ein „Fehler“ drin liegt, weil die wohlwollende Verbesserung einen grossen Lerneffekt hat. Und dass – wie zu den Menschen – auch zur Sprache die Ecken und Kanten gehören. Helvetismen gehören zur Sprache, es gilt ähnliches für die verschiedenen Regionen in Deutschland und in Österreich (heissen tun diese Austriazismen und Teutonismen, was für Wörter 🙂 )- oder, wie dies Peter von Matt an einigen Beispielen der Dialekte illustriert, auch innerhalb des deutschschweizer Sprachraums. Zentral bleibt, auch dies unabhängig von der Frage Mutter- oder Fremdsprache: es braucht den Willen zur Verständigung, zum gegenseitigen Austausch. Esperanto – für alle Menschen Fremdsprache – hat es bis jetzt nicht geschafft, zur internationalen Verständigungssprache zu werden – trotzdem darf Sprache keine Barriere sein, wenn es darum geht, Hoffnung, Verständigung, Frieden und Freiheit in diese Welt zu tragen, so wie es eine Inschrift auf dem Esperanto-Platz in Graz illustriert:

Darum: die sprachlichen Differenzen von Peter von Matt und Pedro Lenz sind amüsante Unterhaltung – sie sollen aber nicht davon ablenken, dass die Sprache – gesprochen und geschrieben – das Medium für Verständigung und Austausch zwischen Menschen ist – hoffentlich auch in Situationen, in denen sie sich (noch) nicht verstehen. Denn: Fäuste (statt Worte) führen zu Verletzungen!


Fussnote 1: Dazu wird folgende Story erzählt: Lehrer M. gibt die Mathematikprüfung zurück und sagt dazu: 70 % der SchülerInnen und Schüler dieser Klasse haben das Prozentrechnen immer noch nicht begriffen. Da meldet sich Schüler X: Ja, Herr Lehrer, sind wir dann überhaupt so viele in unserer Klasse?

Fussnote 2: Und da hat sich auch noch Künstler und Philosoph Felix Stoffel zu Wort gemeldet, welcher ein ganz einfaches Rechenschema zur Ermittlung von Primzahlen erster und zweiter Ordnung veröffentlichte. Denn: die Arbeit mit Primzahlen sei ein geeignetes Mittel zum Zweck der Installation eines neuen Weltbildes, dass seiner Meinung nach längst überfällig ist, um den technologischen Sprung in die Zukunft zu ermöglichen. Das heisst: neben Sprachen und Mathematik braucht der/die SchülerIn auch noch mehr Kunst und Philosophie – kein Problem, der Tag hat bekanntlich 24 Stunden, und wenn dies nicht reicht, kann man ja auch noch die Nacht dazu nehmen.