Nein zu katholischen Überrechten!

Gottesrecht über Menschenrecht – Dispensmöglichkeiten für KatholikInnen von gesellschaftlich relevanten Unterrichtsstoffen wie dem Sexualkundeunterricht: solches fordert Bischof Vitus Huonder. Auch wenn andere kirchliche Vertreter – etwa der Basler Amtskollege Bischof Felix Gmür oder Thomas Wipf, Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa und Ex-Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes – sofort und mit deutlichen Worten widersprochen haben, lohnen sich einige Worte dazu.

„Der Unterricht über die menschliche Sexualität gehört zu den Aufgaben der Schule, sie soll darauf nicht verzichten“, sagt Felix Gmür. Thomas Wipf äussert sich zu den Menschenrechten: Für den Einzelnen können die religiösen Werte im Vordergrund stehen, aber für eine Gesellschaft als Ganzes müssen die Menschenrechte gelten, die unantastbar und universell sind.

Religionen sind gestiftet, selbst dann, wenn diese Stiftung auf ein göttliches Etwas zurückgehen sollte. Die Stiftung der katholischen Kirche geht sehr weit zurück, mehr als 2000 Jahre. In dieser Zeit ist sehr viel passiert, die ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich massiv verändert. Auch wenn Allwissenheit (glücklicherweise) nicht erreichbar ist – und im übrigen gar nicht erwünscht ist, ist heute deutlich mehr über das Wesen der Erde bekannt als zu Zeiten der Niederschrift der Bibel. Spätestens seit den selbst angefachten Diskussionen über die ethisch-moralischen Aspekte bei der Militärpflicht ist die Situation klar: durch mehr oder weniger selektive Wahrnehmung der Inhalt des „Buches der Bücher“ ist fast jede Position nicht nur zum Militärdienst religiös begründbar.

Ich plädiere keinesfalls für ethisch-moralische Beliebigkeit, wie dies etwa in der Buskampagne der FreidenkerInnen zum Ausdruck kommt. Gerade die Diskussion über die inter- und intragenerationellen Aspekte der Gerechtigkeit im Kontext der nachhaltigen Entwicklung erfordert komplexe Ueberlegungen, speziell auch unter Berücksichtigung der universellen Menschenrechte. Ich bin durchaus der Ansicht, dass religiös motivierte Argumentationen einen Beitrag zur Weiterentwicklung von Ethik und Moral leisten können – genau wie dies etwa auch die Nobelpreisträgerin und Ökonomin Elinor Ostrom mit ihren Überlegungen zur Allmende „globales Klima“ tut.

Entscheidend für die gesellschaftliche Weiterentwicklung: es braucht „Menschen guten Willens“, die unabhängig von Ansehen und ohne Rücksicht auf den eigenen Vorteil Vorschläge entwickeln, wie das menschliche Wohlergehen – andere sagen dem auch Glück – vorangebracht werden kann ohne schädliche oder lästige Auswirkungen auf Mensch und Umwelt.

Es mutet sehr eigenartig an, wenn ein katholischer Bischof Vorschläge zu einer Ausnahmeregelung für den Sexualkundeunterricht unterbreitet, während die Oeffentlichkeit immer noch erschreckt, ja gar geschockt ist wegen des sexuellen Missbrauchs vieler Menschen durch kirchliche Mitarbeitende.

Die „universellen Menschenrechte“ – im übrigen aufbauend auf der goldenen Regel der Ethik, von den meisten Religionen als Grundprinzip anerkannt – sind durch die Verquickung von Macht und Religion in Ländern mit muslimischer Prägung nicht durchgehend anerkannt. Wenn nun konservative Vertreter der katholischen Kirche ebenfalls Konstrukte erfinden, die diese Menschenrechte relativieren, wird damit ein Rückfall in Zeiten vor der Aufklärung gefordert. Auch Bischöfe haben zu beachten: die Zeit geht nur vorwärts, nicht rückwärts!