Konstant tiefer Steuerfuss als einziges Politikziel?

Budgetdebatten wie etwa im Gemeinderat der Stadt Zürich vermitteln den Eindruck, ein konstanter und tiefer Steuerfuss sei das einzig relevante Politikziel. Insbesondere vor Wahlen kümmern sich die „WahlkämpferInnen“ überhaupt nicht darum, ob der Staat die Aufgaben, die er in einer komplexen Gesellschaft zu erfüllen hat, wahrnimmt. „Good Governance“, „Legal Compliance“, „Global Goals“ sind offensichtlich tatsächliche Fremdwörter. Im vollen Wissen, dass Städte, dass Nationen, dass die Welt weitab von einer nachhaltigen Entwicklung sind, wird in den Parlamenten willkürliches Budget-Roulette gespielt – mit „Budgethoheit“ hat dies nichts mehr zu tun.

Über 536 Anträge zum Budget 2014 hat der Stadtzürcher Gemeinderat in rund 22 Stunden entschieden – etwa 2 Minuten pro Antrag im Mittel. Die Entscheide dazu sind nur der Nachvollzug dessen, was in sehr vielen Sitzungen der zuständigen Rechnungsprüfungskommission seit Anfang September 2013 erfolgt ist. Vorangegangen ist dieser Beratung eine erheblich umfassendere Bearbeitung in Verantwortung des Stadtrates von Zürich. Veränderungen gegenüber dem Budgetentwurf des Stadtrates haben nichts mit Sachlichkeit zu tun, sondern sind reine Willkür der Legislative – in der aktuellen Form ist die Gemeinderats-Budget-Prozess Roulette.

Die Berichterstattung in den Medien zeigt, dass dieser Prozess ausschliesslich VerliererInnen zurücklässt. Dies liesse sich durchaus als allgemeiner Spruch formulieren: „Demokratie ist die Staatsform, in der sich alle als VerliererInnen fühlen„.

Good Governance, Legal Compliance, Global Goals habe ich oben als Politik-Fremdwörter bezeichnet. Gute Regierungsführung, Regelkonformität und grosse gesellschaftliche Ziele (zum Beispiel als Millennium-Entwicklungsziele formuliert) sind mögliche Übersetzungen. Seit langen Jahren gilt in der Schweiz ein tiefer Steuerfuss als oberste Politikmaxime. Ob der Staat seine eigenen Gesetze einhält, ob die „Allmende“ Welt nachhaltig genutzt wird, welche auch langfristig nicht zu behebenden Folgeschäden diese Finanzpolitik hat, interessiert nicht – die nächsten Wahlen sind immer maximal vier Jahre entfernt!

Der Staat muss seine Ausgaben den Einnahmen anpassen – das muss jede Privatperson und jedes Unternehmen ja schliesslich auch. Diese absurde Aussage prägt auch die Budgetdebatten in Parlamenten und Gemeindeversammlung. Wahrscheinlich ist „absurd“ hier das falsche Wort, weil es sich das Ergebnis einer ökonomischen Glaubenslehre handelt. Öffentliche Haushalte haben Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit zu erfüllen, während private Haushalte in erster Linie eigene Bedürfnisse abdecken können. Darum haben Staaten die Möglichkeit, Steuern zu erheben, und diese Steuern so festzusetzen, dass sie einerseits den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Steuerpflichtigen entsprechen, andererseits aber auch die zur Aufgabenerfüllung des Staates erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Die Stadt Zürich müsste etwa 400 bis 500 Mio CHF mehr ausgeben, um im Sinne der nachhaltigen Entwicklung zu handeln – das wäre Good Governance und Legal Compliance, würde dem Beitrag zu den Global Goals entsprechen. Der Budgetentwurf des Stadtrates war in dieser Hinsicht bereits Minimalismus, die korrigierte Version des Gemeinderates verstärkt diesen Minimalismus.

Im Übrigen: da viele Folgen der aktuellen Wirtschaftsweise nicht von den Verursachenden bezahlt werden, hat der Staat einiges an externen Kosten zu übernehmen. Durch eine Verbesserung der Kostenwahrheit, z.B. durch die Abkehr von lügenden Energiepreisen, könnte der Mittelbedarf der öffentlichen Hände zur Aufgabenerfüllung durchaus vermindert werden. Interessanterweise sind jene, die möglichst tiefe Steuern fordern, die gleichen, die sich gegen die Verbesserung der Kostenwahrheit wehren (z.B. Economiesuisse-Stellungnahme zur möglichen längerfristigen Einführung von Energielenkungsabgaben)!

Höhere Ausgaben hätten allerdings auch einen höheren Steuerfuss zur Folge. Dies wäre der eine mögliche Ansatz. Dass etwa zwar Banken ganze Uni-Institute kaufen können, viel Geld in Abstimmungskämpfe und politische Parteien stecken können, gleichzeitig aber keine Steuern bezahlen müssen, ist schlicht unverständlich. Da hat die Gesetzgebung aller Stufen in erheblichem Umgang versagt. Kommt dazu, dass Banken aus eigenem Antrieb schlecht gewirtschaftet haben, ohne dass die Unternehmen, aber auch die ausführenden Personen dafür die Verantwortung übernehmen müssen – auch ein Bereich, in dem keine Kostenwahrheit besteht, wo die Allgemeinheit für das Fehlverhalten einiger weniger herhalten muss. Es braucht also nicht nur stark lenkende Energieabgaben, es braucht weitere Lenkungsabgaben (etwa bei Wohnflächen und Verkehrsmengen), es braucht eine Tobin-Tax auf Finanztransaktionen. Neben Steuerfusserhöhungen sind weitere Elemente erforderlich, die sicherstellen, dass die Kostenwahrheit umfassend verwirklicht wird, dass Zechprellerei einzelner an der Allmende nicht mehr möglich ist.

Die Parlamente berufen sich bei ihren willkürlichen Budgetumgestaltungen immer wieder auf die Budgethoheit. Mit „Hoheit“ werden KönigInnen und andere monarchistische Elemente angesprochen. Wer Hoheit beansprucht, hat sich auch „königlich“ zu benehmen. Die Zeit der absolutistischen Monarchen ist vorbei (leider gibt es auch ausreichend absolutistisch wirkende DespotInnen in vielen Staaten dieser Erde). Was heisst genau „königlich“? Antoine de Saint-Exupéry hält dazu im “kleinen Prinzen” fest: “Wenn ich geböte”, pflegte er [der König] zu sagen, “wenn ich einem General geböte, sich in einen Seevogel zu verwandeln, und wenn dieser General nicht gehorchte, es wäre nicht die Schuld des Generals. Es wäre meine Schuld.” Mit 436 Anträgen, viele davon mit willkürlichem Charakter, hat sich der Gemeinderat von Zürich nicht wirklich hoheitlich gezeigt.