Klimaschutz, Lärmschutz – oder kollektive Bequemlichkeitsverblödung?

Der nachweislich Mensch gemachte Klimawandel, die übermässig Mensch gemachte Lärmbelastung sind eindeutige Hinweise darauf, dass insbesondere die Menschen in den reicheren Ländern (im Mittel) über ihre Verhältnisse leben. Der jährliche Overshoot Day ist ein offensichtlicher Hinweis auf einen nicht nachhaltigen Lebensstil. Zwingend erforderlich wären wirksame und eingreifende Handlungsschritte – stattdessen übt sich die zum Handeln aufgerufene Gesellschaft in kollektiver Bequemlichkeitsverblödung.

Eine Welt, die ab 2040 ausschliesslich mit erneuerbaren Energien funktioniert, eine Welt, die den Lärm an der Quelle verhindert – was zu tun ist, ist bestens bekannt. Es braucht disruptive Schritte, um dystopische Entwicklungen zu verhindern. Oder anders: Die Zukunftschance der Menschheit besteht darin, sich so rasch als möglich von den den fossilen und nuklearen Energien zu verabschieden und ausschliesslich erneuerbare Energien nachhaltig zu nutzen!

Wenn wir dies wollen, ist dies auch möglich. Offensichtlich ist allerding, dass bereits dieses gemeinsame Wollen Opfer der kollektiven Bequemlichkeitsverblödung ist. Zu beachten dabei: Lärmschutz, Klimaschutz sind zuerst Menschenschutz. Es geht darum, gute Lebensbedingungen und bewältigbare Veränderungen zu ermöglichen.

In der Schweiz weigert sich der Bundesrat, Klimaschutzziele zu formulieren, die ehrlich und ernsthaft mit dem Pariser Klimaschutz-Übereinkommen vereinbar sind (siehe dazu die Medienmitteilung des WWF vom 6. Oktober 2017). Und es gibt PolitikerInnen, die ernsthaft beabsichtigen, die Lärmschutzgrenzwerte aufzuweichen, um die LärmverursacherInnen zu schonen (siehe zum Beispiel NZZ vom 4. November 2017).

Dieser NZZ-Artikel erläutert die Verblödung recht gut. Offensichtlich ist, dass der bestehende Verkehr zu lärmig ist. Die Explosionsmotoren (heute heissen sie plötzlich Verbrennungsmotoren) haben einen furchtbar tiefen Wirkungsgrad – weil Energie nicht vernichtet werden kann, sind solche Fahrzeuge sehr laute Lärmquellen. Die Erfahrungen der letzten 30 Jahre zeigen leider, dass Massnahmen an der Quelle, etwa Tempo 30 in der Nachbarschaft von Wohngebieten oder andere Antriebstechniken, sehr schwierig umzusetzen sind. Noch offensichtlicher ist, dass grundsätzliche Fragestellungen nicht interessieren – wir haben schlicht zu viel (Auto-)Verkehr, generell müssen Menschen in ihrem Alltag zu viel unterwegs sein. Wir brauchen endlich eine Strategie der Nähe, um im Alltag mit den aus gesundhelticher Sicht empfehlenswerten täglich 7’000 Schritten auskommen zu können. Wenn wir dies wollen, ist dies möglich – dazu müssten wir zuerst erkennen, dass Mobilität und Verkehr wenig bis nichts miteinander zu tun haben. Je mehr Verkehr, desto weniger mobil sind wir!

Weil es also an der Lärmquelle nicht klappt, geht es nur noch um den Lärmschutz am Empfangsort. Nun, es ist durchaus diskutabel, ob offene Fenster in der Nacht geeignet sind, um die Lärmbelastung zu beurteilen. Allerdings müssten bei geschlossenen Fenstern auch Lüftungen – von den einen Zwangs-, von den anderen Komfortlüftungen genannt – genutzt werden. Allein die beiden Begriffe «Zwang» und «Komfort» illustrieren die Breite der öffentlichen Wahrnehmung.

Es ist nicht gerade hilfreich, dass ausgerechnet jene politische Parteien, die als Propaganda-Organisationen für noch mehr Autoverkehr dienen (insbesondere FDP und SVP) auch jene sind, die gegen sämtliche wissenschaftliche Erkenntnisse für weniger Lärmschutz entlang von Strassen eintreten, und dies mit billigerem Wohnraum begründen. Muss also, wer billig(er) wohnen will oder muss, mit gesundheitlich bedenklichen Lärmbelastungen rechnen?

Zwangs- oder Komfortlüftungen dienen neben dem Lärmschutz auch noch der Verminderung des Energieverbrauchs (wenn sie denn richtig genutzt werden). Sie leisten somit einen Beitrag zum Klimaschutz. Leisere Autos wären etwa Elektroautos, die – wenn wir es wollen – ausschliesslich mit erneuerbaren Energien betrieben werden können und für deren Herstellung auf das «Von-der-Wiege-zur-Wiege»-Konzept, also auf geschlossene Stoffkreisläufe, gesetzt werden kann. Weil dies derzeit nicht der Fall ist, betreibt «das fossile Imperium» derzeit massive Propaganda für den Verbleib beim Explosions- oder Verbrennungsmotor.

Kollektive Bequemlichkeitsverblödung funktioniert, weil die Gegenwart lauter schreit als die Zukunft. Vielen Menschen steht die gegenwärtige Bequemlichkeit näher als das Eintreten für eine enkel- und urenkeltaugliche Entwicklung. Verbal wird zwar gelegentlich deklariert, dass es so wie bis anhin nicht weitergehen könne – die Klugheit, die notwendigen Schritte für die erforderlichen disruptiven Veränderungen einzuleiten, vermag sich beim gegenwärtigen Mass an Bequemlichkeitsverblödung allerdings leider leider nicht durchzusetzen.

Im letzten Kapitel des Buches «Kraftwerk Schweiz» von Anton Gunzinger schreibt im Jahr 2097 eine Studentin an ihren Urgrossvater selig. Sie schreibt als Vertreterin einer nachhaltigen Gesellschaft, die dankbar dafür ist, dass dieser Schritt gelungen ist, dass das Leben in einer solchen Welt möglich ist. Sie stellt Fragen, die wir beantworten sollten, bevor wir schulterzuckend auf ehrlichen und ernsthaften Klimaschutz, auf wirksamen Lärmschutz verzichten:

  • Konntest du damals nicht wissen, was auf die Welt zukam – oder wolltest du es nicht wissen?
  • Hast du deine Augen wie die meisten Menschen vor den Entwicklungen verschlossen, die sich immer deutlicher abzeichneten?
  • Für mich und meine Freunde ist es schwer zu begreifen, … wie ihr alle Probleme verdrängt und keinen Gedanken an die Zukunft – unsere Zukunft – verschwendet habt.
  • Was hast du getan, Urgrossvater, als die Erde jahrzehntelang so schamlos geplündert wurde? Hast du dich dafür eingesetzt, die fossilen Energien zu schonen und durch erneuerbare zu ersetzen?

Diese Fragen sind gestellt, auch wenn dies heutige Menschen – Anton Gunzinger und Ghostwriter René Staubli – tun. Trotz aller kollektiven Bequemlichkeitsverblödung müssen wir diese Fragen immer wieder sehr laut und mit viel Energie stellen, und beharrlich auf ernsthaften und ehrlichen Antworten bestehen.

Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass die Beantwortung dieser Fragen und die sich daraus ergebenden Handlungen drängend und dringend sind.

Es bleibt dabei: Wenn wir uns einigermassen zukunftstauglich verhalten wollen, ist alles daran zu setzen, um 2040 herum ausschliesslich auf nachhaltig genutzte erneuerbare Energien zu setzen – und bis dann definitiv und endgültig aus den fossilen und nuklearen Energien auszusteigen. Wenn ich will, du willst, Sie wollen, wir wollen, ist dies wirklich zu schaffen!