Gurkensalat-Staat?

Mehr Freiheit, weniger Staat„. Mit diesem Slogan hat die FDP, welche sich selber als staatstragend sieht, gegen den Staat gekämpft. Bei der Finanzkrise und dem UBS-Debakel hat dann die gleiche Partei erwartet, dass dieser absichtlich geschwächte Staat als Krisenmanager funktioniert. Die Zechpreller-„der Staat ist ein Selbstbedienungsladen“-Partei SVP hat darüber hinaus über lange Jahre bewusst das Vertrauen der Stimmberechtigten und der Wirtschaft in die Institutionen des Staates untergraben. Gewinne den Privaten, Verluste der Allgemeinheit, dorthin haben FDP und SVP, in wesentlichen Teilen durch die CVP unterstützt, die Gesellschaft gebracht.

Schon vor dem Start der Arbeiten der Nationalrats- und Ständerats-GPK war das Ergebnis der Abklärungen klar: der Bundesrat ist es, der versagt hat, egal ob es stimmt oder nicht. Man versucht die ganze Sache als individuellen Fehler einzelnen Personen anzulasten, ohne die Frage zu stellen, ob die vermeintlichen Verantwortlichen überhaupt die Instrumente zur Hand gehabt hätten, um anders reagieren zu können. Und da bekanntlich gesellschaftliche Vorgänge „Versuche ohne Wiederholmöglichkeit“ darstellen, lässt sich behaupten, eine andere Lösung wäre besser gewesen, ohne diese Behauptung beweisen zu müssen! Mehr Freiheit, weniger Staat führt sehr sehr schnell dazu, dass sowohl Einzelpersonen wie Parteien zum Schluss kommen, der Finanzmittelzufluss zu diesem Staat müsse vermindert werden. Unqualifizierte, ausschliesslich egoistisch motivierte Steuerfusssenkungen gehören dazu, aber auch die eigenartige Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Dazu gehört auch, dass Exekutivämter wenig attraktiv sind, dass Legislativämter in erster Linie von Showstars besetzt werden. Weniger Staat, also weniger gemeinschaftliche Vorgaben, ohne klare Zuweisung auch der individuellen Verantwortung, ist ein eindeutig nicht-nachhaltiges Gesellschaftssystem! Auf jeden Fall ist klar: ein derart schwacher Staat eignet sich nicht als Feuerwehr, wenn die „Zauberlehrlinge“ die Geister, die sie riefen, nicht mehr im Griff haben. Wenn Banken mit Bilanzsummen deutlich grösser als das nationale BIP wegen individueller Gier in Schwierigkeiten geraten, kann der Staat nur grobe Symptombekämpfung betreiben, und dabei kann der Staat nur schlecht abschneiden! „Mehr Freiheit, weniger Staat“ ist – und das zeigen die Ereignisse rund um die Bankenkrise deutlich – birgt die Gefahr, dass die goldene Regel der Ethik – in der Formulierung von Immanuel Kant als Imperativ „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ – nicht mehr befolgt wird. Die gewaltigen Gewinne der Banken, welche die absurden Boni ermöglichen, sind nur zu erreichen, wenn parallel damit verbunden irgendwann irgendwo riesige Verluste entstehen, welche dann wiederum den Einsatz des Staates als Feuerwehr erfordern. Die Behandlung des CO2-Gesetzes im Nationalrat Anfang Juni 2010 hat einmal mehr gezeigt, dass FDP, SVP und auch CVP immer noch nichts gelernt haben aus der Krise – Politik muss vorausschauend sein und die Interessen aller (nicht nur der eigenen Wählerschaft) einbeziehen.

Zentraler Aspekt des Gurkensalat-Staates ist die Wahl von Alt-Nationalrat Christoph Blocher in den Bundesrat und dessen (glücklicherweise) einzige Amtsperiode. Autokraten mit individueller Interpretationsmacht von Verfassung und Gesetz sind schlicht demokratieuntauglich, weil sie gar nicht anderes tun können, als ihre egoistischen Interessen zu vertreten – und diesem Anliegen sowohl strategisch wie taktisch alles unterordnen. Eine Exekutiv-Behörde schweizerischen Zuschnitts kann nur funktionieren, wenn sie als Kollegialbehörde (was nicht das gleiche ist wie eine Kollegialitätsbehörde, aber das ist ein Detail) funktioniert. SVP-PolitikerInnen sind von den Vorgaben ihrer Partei prinzipiell nicht in der Lage, in einer Kollegialbehörde mitzuwirken, weil sie ausschliesslich die Vorstellungen der SVP zu verwirklichen haben, welche in keiner Art und Weise mit den Interessen des Staates übereinstimmen. Herr Blocher hat diesen Parteiegoismus überstrapaziert, was auf lange Zeit hinaus, selbst nach seinem erzwungenen Rücktritt aus dem Bundesrat, das Funktionieren der Kollegialbehörde verunmöglich hat. Die SVP und ihr vergötterter Exponent Blocher haben das Kollegialprinzip vernichtet und das Funktionieren des Bundesrates verunmöglicht. Eine solche Behörde kann nicht einmal im Normalbetrieb funktionieren, geschweige denn in Krisensituationen. Letztlich habe einige wenige kluge ChefbeamtInnen der Bundesverwaltung dafür gesorgt, dass der Staat minimal handlungsfähig war. Das „Bank(kundInnen)geheimnis“ war schon immer mehr Legende als Substanz, spätestens seit 2002 – dem Beschluss der OECD zum Muster-Abkommen für den Informations-Austausch in Steuersachen – war klar, dass gröbere Veränderungen bei der Wahrnehmung dieser Legende erforderlich waren. Da sich insbesondere die SVP noch im tiefen Mittelalter bewegt und sich daneben hauptsächlich mit der Verehrung ihres autokratischen Scheinstrategen Blocher beschäftigt, ist einmal mehr klar: insbesondere die SVP ist staatsgefährdend und muss dringlich verboten werden. Dies ermöglicht auch der FDP, endlich wieder ein eigenes Profil zu finden, ohne dauernd auf die Zechpreller-SVP schielen zu müssen; so kann die FDP sich auch von ihren Vorstellungen eines Gurkensalat-Staates verabschieden.

Es ist allerdings zu befürchten, dass die SVP nicht verboten wird, dass die FDP nicht dazu gezwungen wird, die Leerformel „Freiheit“ mit „Eigenveranwortung“ zu übersetzen. Dies heisst: es ist zu befürchten, dass die Schweizer Politik weiterhin feuerwehrmässig funktioniert, um mit Verspätung und nicht ausreichenden Mitteln auf das zu reagieren, was gierige AbzockerInnen und selbstbedienende ZechprellerInnen in diesem Staat anstellen.