Eine zweite Chance

Das populistische Mobben und der neu-alte öffentliche Pranger vertragen sich nicht mit dem modernen Rechtsstaat. Am gleichen Tag zeigt sich einmal mehr die Fragwürdigkeit öffentlicher Rache.

Wie soll mit Menschen umgegangen werden, die in ihrem Leben einen aus ethischer und moralischer Sicht schwerwiegenden Fehler begangen haben, deswegen sogar rechtskräftig verurteilt wurden oder sich mit der geschädigten Person ausgesöhnt haben? Spätestens seit Eishockey- und Mentaltrainer Ralph KruegerBuchtitel beispielsweise Teamlife – Über Niederlagen zum Erfolg – ist klar: ein weiterer Versuch, eine weitere Chance ist angesagt.

Wie im Sport ist es auch im richtigen Leben: es braucht eine zweite Chance – und sicher keine Ächtung.

Doch populistisches Mobbing und öffentlicher Pranger erschweren die zweite Chance.

Da wurde 2005 ein Priester wegen Betrachten und dem Internet-Download von pornografischen Bildern von Kindern und Jugendlichen zu einer Busse verurteilt. Unterdessen arbeitet er wieder als Seelsorger – mit strengen Auflagen, wie der Arbeitgeber glaubwürdig sagt. Die Pöbel-Zeitung Blick versucht daraus einen Skandal zu machen, eigentlich ausschliesslich darum, weil diesem Priester nicht auf die Stirn gebrannt wurde „ich wurde 2005 wegen Betrachten und dem Internet-Download von pornografischen Bildern von Kindern und Jugendlichen zu einer Busse verurteilt„. Das gehört zur zweiten Chance: einerseits mit strengen Auflagen die Voraussetzungen zu schaffen, damit eine Wiederholung des Delikts nicht mehr vorkommt, andererseits unnötige Ausgrenzungen und Ächtungen zu verhindern. Die Stellungnahme des zuständigen Generalvikariats ist lesenswert und wirkt glaubwürdig; zudem zeigt die katholische Kirche Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit einem Menschen und dem Angebot einer zweiten Chance.

In einem zweiten Fall verhalten sich die Zuständigen nicht als Vermittler einer zweiten Chance, sondern kommen als RächerInnen daher. Da hat sich der frühere Armeechef Roland Nef noch vor seinem Amtsantritt gegenüber seiner früheren Partnerin ethisch und moralisch schwerwiegend falsch verhalten. In einem anschliessenden Verfahren haben sich Roland Nef und seine ehemalige Partnerin unter Bedingungen einvernehmlich ausgesöhnt und eine Wiedergutmachung vereinbart. Der Gesetzgeber sieht bei einer gütlichen Regelung zwischen geschädigten und angeschuldigten Personen in Artikel 53 des Strafgesetzbuches eine Verfahrenseinstellung vor. Weil sich vernünftige und mündige Menschen zu einer für beide Seiten akzeptablen Regelung der Situation haben durchringen können, erfolgen solche privaten Regelungen vertraulich, das heisst unter Ausschluss der Öffentlichkeit – siehe dazu auch das Interview mit dem Zürcher Oberstaatsanwalt Martin Bürgisser.

Nun, auch die Gerichte pflegen offenbar lieber das populistische Mobben und den neu-alten öffentliche Pranger als die zweite Chance: so hat das Zürcher Verwaltungsgericht auf Druck des Bundesgerichtes entschieden, dass die vom Gesetzgeber als vertraulich bezeichnete Einstellungsverfügung in diesem Fall veröffentlicht werden kann. Sollten weitere Gerichte diesen Blödsinn schützen, und sollten die klagenden Medien diese Einstellungsverfügung tatsächlich veröffentlichen, ist dies ein Schritt mehr zum Rückfall ins tiefste Mittelalter. Voyeurismus statt zweiter Chance!