Die Altlastenhysterie: Zechprellerei oder echte Sorge?

Darf eine an der Nachhaltigkeit orientierte Stadt Kindergärten auf einem sorgfältig abgeklärten Altlastengrundstück errichten? Diese Frage stellt sich einmal mehr, seit der Auto-Anzeiger, früher Tages-Anzeiger, den Schulbeginn zum Anlass nahm, in der Sauregurkenzeit ein Hysteriesüppchen zu kochen. Ja: die Stadt muss und soll auf solchen Grundstücken bauen, auch Kindergärten! Warum?

Altlasten sind Altlasten. Dass es sie gibt, ist ein Indiz für das grobe Versagen der Gesellschaft im Bezug auf die Nachhaltigkeit. Es kann und darf nicht sein, dass das menschliche Verhalten dazu führt, dass nachfolgende Generationen die negativen Folgen zu tragen haben. Oder anders: Abfall darf es nicht geben, egal ob Sondermüll oder übermässige CO2-Emissionen! Diese harte Definition der Nachhaltigkeit muss Vorgabe sein für die Beurteilung des menschlichen Verhaltens. Allerdings: trotz dieser unverzeihlichen Altlasten, die Menschheit hat wenig bis nichts gelernt. Insbesondere in den reichen Ländern gilt Nachhaltigkeits-Zechprellerei nach wie vor als Standard und ist gesellschaftlich akzeptiert.

Raum ist knapp in städtischen Siedlungsgebieten. Die klassische „grüne Wiese“ gibt es nicht mehr: städtischer Boden hat eine lange Geschichte, vieles ist in den Jahrhunderten seit der Besiedlung darauf passiert, viel Freude, viel Trauer würde sich in den Bodengeschichten zeigen – und eben auch die Rückstände. Oder anders: das Kindergartengrundstück liegt an der Mühlackerstrasse. Auch wenn hier eine Vergangenheit mit landwirtschaftlicher Nutzung angedeutet wird: der Strassenname müsste eigentlich zu „Mülldeponiestrasse“ umgeschrieben werden: auch als Auftrag an die Eltern, den KindergartenschülerInnen erklären zu müssen, dass ihre Vorfahren – Eltern, Grosseltern, Urgrosseltern – mit ihrer Welt, ihrem Lebensraum nicht gerade pfleglich umgegangen sind!

Die Fachleute der Stadt haben die Risiken dieses Grundstücks umfassend abgklärt. Sie sind zum Schluss gekommen, dass mit einigen Auflagen eine Nutzung auch für einen Kindergarten verantwortet werden kann. Wer sich dieser Beurteilung der Fachleute nicht anschliesst, handelt zechprellerisch. Auch als Nachgeborener besteht die Pflicht, die Lasten der Vorfahren mitzutragen. Die Erfahrungen zeigen zudem: es gibt diverse Sanierungen von Altlasten, die in der Summe zu grösseren Belastungen für Mensch und Umwelt führen, als wenn auf die Sanierung verzichtet worden wäre. Denn: mit der Sanierung ist die Altlast in der Regel nicht beseitigt, sondern meist bloss verschoben worden.

Nun, die Emotionen wurden durch den Auto-Anzeiger geschürt, es ist absehbar, dass der Kindergarten gezügelt werden muss. Damit auch hier nicht noch die Zechprellerei gefördert wird, müsste die Stadt Zürich im Interesse ihrer eigenen Nachhaltigkeitspolitik Verpflichtungserklärungen sowohl beim Auto-Anzeiger respektive früher Tages-Anzeiger, beim Quartierverein als auch bei den Eltern der Kinder abholen: die Interessierten haben sich zu verpflichten, durch ihr Verhalten dafür zu sorgen, dass keine „Neulasten“ respektive später Altlasten entstehen. Einige Ideen für mögliche Massnahmen (uralt und eigentlich bestens bekannt, siehe etwa der Energiespar-Phrasendrescher):

  • Als ersten Schritt: die eigene Umweltbilanz kennenlernen, zum Beispiel mit dem persönlichen ECO2-Rechner.
  • Falls das Ergebnis der persönlichen Bilanz über 3’800 Watt liegt: individueller, freiwilliger Massnahmenplan, wie innerhalb von vier Jahren die persönliche Oekobilanz verbessert werden kann, hin zu Werten im Bereich von 3’200 bis 3’400 Watt.
  • Dazu gehört auch die regelmässige Rechenschaftsablage über Erfolge und Misserfolge des eigenen ökologischen Verbesserungsprogramms, zum Beispiel mit selbst auferlegten Bussen – etwa Spenden an Greenpeace, WWF oder entwicklungspolitische Organisationen-, wenn das Ziel nicht erreicht wird, aber auch mit (nachhaltigen) Belohnungen, wenn der Entwicklungspfad stimmt.

Nur wenn es gelingt, aus der Sorge über die Altlasten Nachhaltigkeitsaktivitäten aller Betroffenen auszulösen, geht die aktuelle Hysterie in Auto-Anzeiger und Quartier über die übliche Zechprellerei hinaus.