Initiativfähigkeit am Beispiel der «Energie- statt Mehrwertsteuer»-Initiative: im Minimum ein Achtungserfolg ist zwingend

Mindestens 100’000 gültige Unterschriften für eine Volksinitiative zusammenzubringen, ist eine der notwendigen Bedingungen, damit eine politische Partei oder Gruppierung als initiativfähig bezeichnet werden kann. Dies reicht allerdings nicht aus. Zusätzlich und zwingend ist es nämlich erforderlich, dass mit der Initiative direkt oder indirekt eine Veränderung erreicht werden kann. Im Minimum ist bei der Volksabstimmung ein Achtungserfolg, also ein Ja-Stimmenanteil von mindestens 40 Prozent, erforderlich. Noch besser ist es, wenn gar in einigen Kantonen ein Ja der Stimmberechtigten resultiert.

100’000 gültige Unterschriften zusammenzubringen, ist eine nicht zu anspruchsvolle logistische Aufgabe. Egal ob auf der Strasse oder via Kampagne, dass Sammeln der Unterschriften braucht Geld und menschliche Ressourcen. Im Sinne einer ganz einfachen Abschätzung: eine Person kann in einer Stadt etwa 15 Unterschriften pro Stunde sammeln. Für das Sammeln von 120’000 Unterschriften, damit sicher genügend zusammenkommen, braucht es auf diesem Weg 8000 aktive Präsenzstunden. Die Grünliberalen haben gemäss Wikipedia etwa 4000 Mitglieder. Da sollten sich 20 Prozent davon, also 800 Menschen, für das Sammeln von Unterschriften begeistern lassen. Pro UnterschriftensammlerIn wären also 10 Präsenzstunden erforderlich. Zum Beispiel an fünf Samstagen, an einem stark belebten städtischen Platz, je zwei Stunden pro Präsenz also. verteilt auf das Sommerhalbjahr wäre dies monatlich ein Einsatz, und dann wären die Unterschriften zusammen. Oder anders: selbst wenn Freiwillige arbeiten, kann ein Ansatz von 60 Franken pro Stunde eingesetzt werden. Mit 600 Franken, dem Gegenwert eines solchen Einsatzes, sollte es mit Mitteln des Marketings möglich sein, etwa gleich viele Unterschriften auf Papier mit Briefversänden zu erreichen. Gemäss Gesetz stehen für das Sammeln von 100’000 Unterschriften für eine Initiative 18 Monate zur Verfügung. Aus politischen Gründen ist es sicher zweckmässiger, das Unterschriftenziel in einer sechs Monate langen Intensivphase zu erreichen.

Wie gesagt, die Unterschriften-Logistik ist nur ein Teil der Initiativfähigkeit. In einer ersten Runde geht es um die Inhalte.

Die Besteuerung der Energie ist schon länger ein Thema, ebenso ist es mit verschiedenen Formen von lenkenden Energieabgaben mit vollständiger Rückerstattung. In langen Jahren sind diverse erfolgsversprechende Ansätze debattiert worden. Eine politische Partei wie die Grünliberalen kann allerdings nicht auf Konsenslösungen setzen, sondern braucht einen Initiativtext mit Eigenstellungsmerkmalen. Ein in erster Linie finanzpolitischer Ansatz – mit dem Ersatz der Mehrwertsteuer durch eine Energiesteuer auf nicht erneuerbaren Energieträgern – schien trotz offensichtlichen Mängeln geradezu gemacht für die Grünliberalen. Einmal mehr zeigte sich allerdings, dass Energie- und Klimaschutzpolitik nicht parteientauglich ist, sondern von Verbänden als breit abgestützte Konsensprojekte vorangebracht werden müssen.

Eine der Hoffnungen von InitiantInnen ist, dass Bundesrat und Parlament die Denkarbeit weiterführen und einen Gegenvorschlag zur Initiative ausarbeiten, je direkter desto besser. Einen solchen indirekten Gegenvorschlag gibt es, sehr sehr indirekt allerdings, da geht es um einen (schwach) lenkende Energieabgabe mit vollständiger Rückerstattung an Haushalte und Wirtschaft. «Sehr sehr indirekt» meint, dass eine solche Lenkungsabgabe eher nicht mehr in den voraussichtlichen Amtszeiten der aktuellen Energie- und Klimaschutzbundesrätin Leuthard und der aktuellen Finanzbundesrätin Widmer-Schlumpf eingeführt werden dürfte. Offenbar waren bei dieser Initiative sowohl Bundesrat und Parlament als auch die Grünliberalen in ihren Positionen ziemlich festgefahren – ein Konsensvorschlag kam nicht zustande, die Grünliberalen bestanden trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit auf ihrer Initiative. Und sie schafften es sogar, die Grünen und einige Umweltverbände zu einer Ja-Parole zu bringen. Hauptargument waren dabei nicht die Inhalte der Initiative, sondern die Aussichten auf eine schon lange herbeigedachte Veränderung.

Das Ergebnis liegt nun vor: gerade 8.04 Prozent der Stimmberechtigten haben Ja gesagt zur grünliberalen Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer». Das ist nicht einmal doppelt so viel wie der WählerInnenanteil der Grünliberalen bei den Nationalratswahlen 2011. Dies ist ein offensichtlicher Flop – die Grünliberalen sind somit zumindest in ökologischen Fragen nicht als initiativfähig zu betrachten.

Die Hoffnung bleibt, dass die neuesten Vorschläge des Bundesrates für eine Lenkungsabgabe mit Rückerstattung an Haushalte und die Wirtschaft deutlich stärker ausgestaltet wird und deutlich schneller kommt als derzeit geplant. Die riesigen Herausforderungen in der Energie- und Klimaschutzpolitik erfordern solche mutigen Schritte. Eine Energielenkungsabgabe scheint mehrheitsfähig, da dürfte selbst das prinzipielle Nein der SVP nichts ändern.

Was derzeit als Energiestrategie 2050 debattiert wird, reicht bei weitem nicht, um den Weg Richtung fossil- und nuklearfreie Energieversorgung zu gehen.