Warum ist Demokratie kein Exportartikel?

Auffällig: die südlichen Nachbarn „Europas“ Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten gelten laut Demokratieindex der Zeitschrift The Economist als „autoritäre Regimes“. Die politischen Entwicklungen in einigen dieser Länder bringen eine weitgehend verdrängte Tatsache ans Tageslicht: obwohl ein reger wirtschaftlicher Austausch zwischen „Europa“ und diesen nordafrikanischen Staaten stattfindet, ist es nicht gelungen, die Staatsform der real existierenden Demokratie in diese Länder zu exportieren.

Ein Teil der Gärten Europas liegt in Nordafrika. Wer die Kataloge der Reisebüros durchblättert, findet eine grosse Zahl von Ferienorten in Nordafrika. Erdgas auch in der Schweiz stammt zu einem bemerkenswerten Anteil aus Nordafrika. Es gäbe eine Vielzahl weiterer Beispiele.

Ebenso hat eine staunende Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen, dass die autoritären Herrscher(familien) in diesen Ländern ihre Macht mit Wissen und Billigung zahlreicher europäischer Staaten, der EU und der USA ausüben respektive ausgeübt haben. Ob wohl die Scheinparlamente und Scheinwahlen in diesen Ländern gerade mit dem Hintergrund der europäischen und nordamerikanischen Billigung gute Werbung für die Demokratie sind – nicht nur das Beispiel Ägypten zeigt, dass diese Scheindemokratien mit Billigung der vorgeblichen Musterdemokratien aus Europa und Nordamerika breiten Bevölkerungskreisen nicht gut bekommen sind. Wenn es tatsächlich stimmt, dass die Familie Mubarak 70 Milliarden Dollar Vermögen angehäuft hat, so wirkt die Billigung dieses Regimes mehr als eigenartig – gerade im Wissen darum, dass die Menschen in Ägypten nach wie vor in erheblichem Ausmass von Armut betroffen sind.

Auch in der Schweiz ist es durchaus üblich, dass zumindest die StammtischlerInnen „ausländische Beurteilungen“ alles andere als wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Die aktuellen Beispiele der Verhaltensweisen der autoritären Regimes auch aus Nordafrika zeigen, dass es offenbar bis jetzt keine anerkannte Form gibt, wie die Staatengemeinschaft Entwicklungen hin zur Demokratie einfordern kann. Auch die aktuellen Despoten kleben an der Macht … Hier besteht dringender Handlungsbedarf! Es kann und darf nicht sein, dass weltweit nur 30 Länder als funktionierende Demokratien gelten.

Möglicherweise hat die Duldung etwa des autoritären Regimes in Ägypten durch Europa und Nordamerika einen gewichtigen Hintergrund: das Wohlverhalten Mubaraks gegenüber Israel – siehe dazu ein bemerkenswerter Artikel von Einat Wilf, Knesset Mitglieder (früher der Arbeiterpartei, jetzt unabhängig). Ist die Politik Europas und Nordamerikas also eine Form des Management des „Pulverfasses Nahost“ – mit unbeherrschbaren Eskalationsformen? P.S. Israel gilt im Demokratieindex als „fehler- oder mängelbehaftete Demokratie“ – mit 6 % weniger Punkten als die „Musterdemokratie“ Italien …

Ein energiepolitischer Aspekt: Desertec beabsichtigt, solare Kraftwerke, die Solarstrom für Europa produzieren sollen, in Nordafrika, etwa in Marokko, zu bauen. Also in Ländern, die von Armut betroffen sind und den Strom eigentlich selber besser brauchen könnten. Auch die von der ETH-Architekturabteilung postulierte “Towards Zero-Emission Architecture” baut auf Strom aus Nordafrika. Es kann ja nicht sein, dass die Schweiz autoritäre Regimes z.B. in Nordafrika unterstützen muss, nur damit die SchweizerInnen weniger sparsam mit Energie umgehen können. Die 2000-Watt-Gesellschaft ist ein Beitrag zu mehr Demokratie, nicht nur in der Schweiz!