Subjektivitäten

Constantin Seibt schrieb am 13.11.2012 in seinem Blog von der Irrelevanz der „Weltwoche“ und traute Roger Köppel die Schaffung eines „Paralleluniversums mit eigenen Fakten“ zu. Roger Köppel konterte am 19.11.2012 und behauptet, die „Weltwoche“ setze auf Fakten. Was ist von diesem medialen Geköche zu halten?

Abgesehen davon, dass die erste Aussage von Herrn Seibt widersprüchlich ist – dass er sich mit der „Weltwoche“ beschäftigt, bestätigt ja gerade die Relevanz dieses unsäglichen Druckerzeugnisses – gilt auch hier der Satz von Daniel Patrick Moynihan: „Jeder Mensch hat ein Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten.“. Medien sind nun mal Instrumente der Meinungsbildung – das Schaffen von Fakten gehört ganz klar nicht zum gesellschaftlichen „Leistungsauftrag“ an Medien. Mit dem Anspruch auf Faktentreue“ der Weltwoche will Herrn Köppel absichtlich die Meinungsäusserungsfreiheit missverstehen. Das kommt allerdings nicht gut!

Ein Zitat aus den Aussagen von Herr Köppel „Sie [die Journalisten] sind … für den Atomausstieg und gegen den menschgemachten Klimawandel, wobei sich die … beiden Ansätze widersprechen, was aber keine Rolle spielt, weil es die Mehrheit ähnlich sieht und deshalb nicht so genau hinschaut.

Nach-nuklear und nach-fossil: heute beginnen!: so habe ich am 19. März 2011, wenige Tage nach den GAUs in Fukushima, meine persönliche Meinungsäusserung dargestellt und mit einem stabilen Zahlengerüst ein entsprechendes Szenario dargelegt. Ich habe genau hingeschaut, ich habe seither meine Ueberlegungen regelmässig überprüft und mit Aussagen anderer Fachleute verglichen. Da es mindestens ein plausibles, zwar ambitiöses aber realisierbares Szenario auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft gibt, welches sowohl den Ausstieg aus der Atomenergie als auch aus den fossilen Energien mit einschliesst, kann es keinesfalls als Fakt gelten, dass sich Atomausstieg und Klimaschutz widersprechen. Die Meinung vom Widerspruch zwischen Atomausstieg und Klimaschutz vertreten einige $VP-PolitikerInnen, einige davon wie etwa der Zürcher Baudirektor Markus Kägi leider an entscheidrelevanter Stelle.

Bei den ebenfalls von Herrn Köppel zitierten Beispielen „Fall Sozialamt Zürich„, „Fall Zuppiger„, „Fall Blocher“ (den Herr Köppel nach wie vor tatsachenwidrig als „Fall Hildebrand“ bezeichnet) ist darauf hinzuweisen, dass die Sicht von Herrn Köppel eine sehr einseitige ist – diese Beispiele hätten nachhaltiger für alle Beteiligten im Rahmen der demokratisch beschlossenen Rechtsordnung abgehandelt werden können. Dies wurde durch das Holzhammermedium Weltwoche nachweislich verunmöglicht.

Nein, Herr Köppel ist nicht faktenorientiert, und er missbraucht die Meinungsäusserungsfreiheit in erheblichem Umfang.

Warum soll die Öffentlichkeit Constantin Seibst mehr trauen als Roger Köppel?

Unter anderem darum, weil Herr Köppel Antidemokrat ist. Herrn Köppel zitiert in seinem Beitrag Bren Bradlee, den früheren Chefredaktor der „Washington Post“. Dieser soll gesagt haben: „Glauben Sie nie, was Ihnen Ihre Regierung sagt„. Es ist festzuhalten, dass auch in der Politik nicht um Glauben geht, sondern um gesellschaftsrelevante Entscheidungen, die die Wirklichkeit beeinflussen. Regierungen sind von der Mehrheit der Stimmberechtigten gewählt worden. In der Schweiz funktionieren Regierungen nach dem Konkordanz-Prinzip – die Regierung besteht aus VertreterInnen vieler Parteien, die jede für sich nicht mehrheitsfähig ist – ausgerechnet bei einer solchen Fragestellung einen USA-bezogenen Spruch zu verwenden, ist ein weiterer Beleg für die Faktenferne der Weltwoche resp. von Herrn Köppel. Wer diesen nach dem Majorsystem gewählten Regierungen nicht traut, stellt sich letztlich gegen das demokratische System!

Braucht es so etwas wie Demokratie- und MeinungsäusserungsschiedsrichterInnen? Nicht nur am Montag nach einem Fussballsonntag, an dem ein „Lame Duck“-Schiedsrichter im Spiel FC Basel gegen GC Zürich mindestens zwei, eher sogar drei Tore wegen gravierender Fehlentscheide anerkannt hat, was einmal mehr den Verdacht nach manipulativen Eingriffen in die Fussballmeisterschaft nicht unmöglich erscheinen lässt, ist die Antwort einfach: NEIN. Aber es braucht eine massive Qualitätssteigerung bei den Medien, es braucht die Verpflichtung auf Rechtsstaat und Demokratie, und es braucht vor allem eine absolute Transparenz. Und es braucht die absolute Verpflichtung auf den Leistungsauftrag „Meinungsbildung“ – im Wissen darum, dass vielfach Fakten durch erhebliche Subjektivitäts-Filter betrachtet werden.