Strommarkt und Klimaschutz: braucht es für den Winter neue Grosskraftwerke?

Die Stromversorgung ändert sich laufend. Statt sehr grosse Kraftwerke entstehen immer mehr dezentrale Klein- und Kleinstkraftwerke. Allein das ausschöpfbare Solar-Strompotenzial bei Schweizer Gebäuden beträgt 110 Prozent des Stromverbrauchs der Schweiz.

Eine Herausforderung besteht bereits heute, sie wird tendenziell in der Zukunft grösser: Produktion und Verbrauch von Strom sind zeitlich nicht deckungsgleich. Offensichtlich ist etwa, dass im Sommer mehr Solarstrom anfällt als im Winter, dafür wegen der kürzeren Tage und der kälteren Aussenbedingungen der Stromverbrauch im Winter höher ist als im Sommer.

Gerade weil sich der Strommarkt derzeit von einer ProduzentInnen/KonsumentInnen-Konstellation hin zu einer Prosumer-Situation verändert, sind die Winterverhältnisse mit sowohl hohen Stromverbrauchs- als auch Leistungs-Anteilen sehr gut zu beobachten.

Zu beachten ist dabei: Sowohl für den Verkehr wie bei der Wärmeversorgung von Bauten besteht angesichts der Klimakrise ein Trend hin zu strombetriebenen Fahrzeugen und Wärmeerzeugungsgeräten (zum Beispiel Wärmepumpen mit einem hohen Anteil an genutzter Umweltenergie).

Spätestens seit dem Aufkommen von mobilen Computern und multifunktionalen Telekommunikationsgeräten (üblicherweise als Smart Phones bezeichnet) ist ein altes Dogma ins Wanken gekommen. Im Gegensatz zu früheren Überlegungen ist bereits heute durchaus davon auszugehen, dass Strom als Strom gespeichert werden kann.

Diese Erkenntnis führt zu erheblichen Entwicklungsanstrengungen – es ist durchaus absehbar, dass auch grössere Strommengen über längere Zeiträume gespeichert werden können; für Wärmeanwendungen bieten sich allenfalls auch Wärmespeichersysteme mit unterschiedlichen Konzepten und damit unterschiedlichen Speicherzeiträumen (zum Beispiel Monate, Wochen, Tage, Stunden) an. Es ist davon auszugehen, dass auch erhebliche Verbesserungspotenziale bei den eingesetzten Materialien bestehen, zum Beispiel Minimierung oder gar Verzicht auf den Einsatz von so genannten Konflikt-Mineralien. 

PS: Power-To-X-To-Power, also zum Beispiel Produktion von speicherbarem Wasserstoff (X) mit Strom (Power) und bei Bedarf die Produktion von Strom (Power) aus Wasserstoff (X) wird eher nicht zu den zukünftigen Speichersystemen für Gebäude gehören.

Aus Klimaschutzsicht leider und aus Versorgungssicht zum Glück werden sich die Veränderungen sowohl beim Verkehr wie bei der Wärmeversorgung nicht von heute auf morgen ergeben. Neuere Zahlen zeigen, dass etwa beim Ersatz von fünf Heizungen, die heute mit Öl oder Gas betrieben werden, nach wie vor vier der neuen Anlagen wieder Öl oder Gas als Energieträger funktionieren. [Diese umständliche Formulierung verwende ich statt der einfachen, aber semantisch falschen Aussage «Vier von fünf bestehenden fossilen Heizungen werden durch eine fossile Heizung ersetzt.»]

Dies bedeutet: Wir müssen uns ziemlich beeilen, dass bis spätestens 2050 keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr verbraucht werden, dafür erfolgt der Wechsel hin zu einer Stromversorgung ausschliesslich aus erneuerbaren Energien in einem kontinuierlichen, zwanzig bis dreissig Jahre andauernden Prozess, verbunden mit einer zunehmenden Bedeutung der Strom-Prosumer.

Somit: Die Entwicklung muss gut beobachtet und analysiert werden – und erfordert derzeit noch keine Aufträge zur Erstellung von Grosskraftwerken.

Es braucht aber für die diversen Marktteilnehmenden eindeutige Botschaften.

Als ein Beispiel: Bei Gebäuden sind sowohl bei Neubauten wie bei Bestandesbauten so rasch als möglich Plusenergiebauten anzustreben, Gebäude also, bei denen im Jahresverlauf mehr Energie produziert als verbraucht wird. Ebenso sind Speichermedien zu verwenden, um zum Beispiel im Sommer die den Energiebedarf übersteigende Energieproduktion abpuffern zu können und möglichst weit in den Winter hinein zu übertragen.

Es ist zudem anzuregen, dass zivilgesellschaftliche Institutionen die saisonalen, monatlichen, wöchentlichen, täglichen und stündlichen Bilanzen von Produktion und Verbrauch von Strom intensiv beobachten und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen der Öffentlichkeit und der Politik mitteilen. Bei Bedarf sind auch die Botschaften für die Marktteilnehmenden anzupassen.

Der Strommarkt ist umzubauen – die hauptsächlich stromproduzierenden und stromhandelnden Unternehmen, die ihre Produktion und ihre Einkäufe möglichst zu den markthöchsten Preisen verkaufen wollen, sollten sich zu PartnerInnen-Unternehmen für die vielen kleinen und mittleren Strom-Prosumenten weiterentwickeln, die dazu beitragen, die produzierten und konsumierten Strommengen unter Einbezug der bestverfügbaren Speichermöglichkeiten klug zu bewirtschaften. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Marktfixierung auf nachweislich lügende Strompreise nicht zukunftsfähig ist.

Wenn ein echter Prosumer-Markt gelingt, wird es keine neuen Grosskraftwerke brauchen! Wer bereits heute nach solchen Grosskraftwerken ruft, betont die eindimensionale ProduzentInnensicht mit der Hoffnung auch auf weiterhin lügende Strompreise – nicht wirklich eine zukunftsfähige Optik!