Klimaschutz und Flugreisen

Wieder einmal thematisiert ein dürftiger Tamedia-Beitrag Klimaschutz und Flugreisen. Auf diese Weise ist dies allerdings definitiv ein Themenkiller und erbringt keinen Beitrag zur Veränderung der Situation.

Es geht um die Flugreisen der Mitarbeitenden der für die Klimaschutzpolitik zuständigen Bundesamtes für Umwelt BAFU. Vorerst: es wird zu viel geflogen, und entgegen den gegenwärtigen Tendenzen ist dafür zu sorgen, dass gerade Menschen aus reichen Ländern weniger fliegen.

Es beginnt schon mit den Titeln. Bei der Sonntagszeitung heisst der Artikel vom 22.12.2013 „Umweltbeamte sind grosse Luftverschmutzer„, bei TA-Online „Bundesamt für Umwelt verbraucht zu viel CO2“ (um 11:46 geändert zu „Bundesamt für Umwelt erzeugt zu viel CO2„). In Kürze: „Beamte“ gibt es beim Bund schon lange nicht mehr. Treibhausgase wie CO2 gelten nicht als eigentliche Luftverschmutzung. Die zur Diskussion stehenden Treibhausgase haben nicht direkt mit dem Bundesamt zu tun, sondern wenn schon mit den Mitarbeitenden des Bundesamtes. CO2 wird hie nicht „verbraucht“, sondern ausgestossen. Mit solchen Titeln disqualifizieren sich die Artikel bereits vor der ersten Zeile.

Die Artikel haben eigentlich eine einzige Grundhaltung: die Flüge der BAFU-Mitarbeitenden seien unnötig und dienten in erster Linie dem privaten Vergnügen.

Neben den diversen (Flug-)Reisen des BAFU-Direktors Bruno Oberle aus mehreren Jahren werden als Beispiele die Reise der offiziellen Delegation der Schweiz an der internationalen Konferenz „Rio+20“ und zu einer Reise an einen technischen Workshop der Klimakonvention erwähnt.

An Rio+20 – als 20-Jahre-danach-Konferenz der Nachhaltigkeitskonferenz 1992 von Rio zu verstehen – nahmen gemäss den Artikel eine offizielle Delegation von 18 Person teil. In einer Medienmitteilung des Bundesrates vom 08.06.2012 steht dazu:
Die vom Bundesrat ernannte ministerielle Delegation umfasst zur Unterstützung der Regierungsmitglieder und dem BAFU-Chef zehn Personen. Die Verhandlungsdelegation unter der Leitung von Botschafter Franz Perrez, Chef der Abteilung Internationales im BAFU, umfasst ebenfalls zehn Personen aus der Bundesverwaltung, sieben Personen aus Organisationen der Zivilgesellschaft (Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, Wirtschaftsverbände, Wissenschaft, Jugend) eine Kantons- und Städtevertretung sowie ein Mitglied des Bundesparlaments. … Weitere 11 Vertreterinnen und Vertreter der Bundes (davon 7 aus der DEZA, 2 vom BAFU, eine vom ARE und eine von der Nationalen Plattform Naturgefahren) reisen ebenfalls nach Rio.

Mehr als 50’000 TeilnehmerInnen wurden am Rio+20-Kongress erwartet – die Schweiz macht etwa ein Promille der Weltbevölkerung aus, 50 Menschen aus der Schweiz würden diesem Anteil entsprechen – 40 Personen umfasst die Aufzählung aus der oben zitierten Medienmitteilung des Bundesrates.

Die VertreterInnen des Bundesstaates Schweiz, aber auch Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, Wirtschaftsverbände und Wissenschaft, sind der Ansicht, dass die Teilnahme der Schweiz an derartigen Konferenzen in diesem Umfang erforderlich ist. Nun finden derartige Konferenzen irgendwo auf der Erde statt – der internationale Klimaschutzgipfel COP 19 fand in Warschau statt – kürzere Reisewege für SchweizerInnen, längere für Menschen aus anderen Ländern.

Unter anderem nimmt die Umweltorganisation WWF innerhalb der offiziellen Schweizerischen Delegation an solchen Konferenzen teil, trotz negativen öffentlichen Beurteilungen der Verhandlungsergebnisse (z.B. zu Rio+20). COP 19 haben die Umweltorganisationen vorzeitig verlassen – ein schon fast geflügeltes Wort hat Ion Karagounis, Leiter Programm WWF Schweiz, dazu festgehalten: „Wir gehen nicht, weil die Verhandlungen nicht wichtig wären. Sondern weil sie so wichtig sind.“

Die Reise von Zürich nach Warschau ist mit dem Zug möglich (z.B. Zürich HB ab 12:40, Warschau an am anderen Morgen 7:50, via Wien, Reisezeit 19 Stunden, 10 Minuten). Auch dies könnte wieder Anlass zu Kritik geben: Ökologie und Ökonomie sind hier oft im Widerspruch (Zitat aus dem Umweltbericht 2013 des Bundes!).

Wenn die Teilnahme von starken Delegationen an solchen Konferenzen einem Konsens der Politik und der Zivilgesellschaft entspricht, steht es Medienschaffenden nicht zu, die dazu erforderlichen Flugreisen zu kritisieren.

Auch die Kritik der Reise von zwei BAFU-Mitarbeitenden an einen technischen Workshop der Klimakonvention auf der Insel Samoa gehört dazu. Die Schweiz ist der Klimakonvention beigetreten, dazu gehört auch die Teilnahme an den technischen Workshops. Samoa ist eine jener Inseln, die vom Mensch gemachten Klimawandel bedroht ist – ein anderes Mal könnte ein solcher Workshop auch im Nahbereich eines Alpengletschers astattfinden. Da könnten BAFU-Mitarbeitende ohne Flugreise hingehen, dafür hätten andere Workshop-Teilnehmende lngere Anreisen inklusive Flugreisen in Kauf zu nehmen.

Die Frage ist uralt: müssen Menschen, die sich mit Klimaschutz beschäftigen, besonders vorbildlich sein, was den Klimaschutz betrifft? Al Gore hat mit seinem Film „An Inconvenient Truth“ das Verständnis für die Notwendigkeit des Klimaschutzes erheblich gesteigert – auffällig ist, dass es vor allem ZweiflerInnen an der mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesenen These des Mensch gemachten Klimawandels sind, die den Klimaschutz-Botschafter Al Gore für seinen ökologischen Fussabdruck kritisieren.

Es hat durchaus Ironie-Potenzial, wenn auch Klimaschutzaktivitäten zum Ausstoss von Treibhausgasen führen. An den Schweizerischen Flughäfen erfolgen mehr als 2/3 aller Flugreisen aus privaten Zwecken – Flugreisen für geschäftliche und „politische“ Zwecke sind also in der Minderzahl. Tatsache ist, dass Flugreisen in der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion als normal gelten. Die Flugverkehrsindustrie inseriert – auch für klassische Kurzstreckenflüge regelmässig nicht nur in Tamedia-Publikationen.

Der quotengrüne Nationalrat Bastien Girod wird zitiert mit dem Hinweis auf die Möglichkeiten von Videokonferenzen – dazu steht im Umweltbericht 2013 der Bundesverwaltung: Dank RUMBA wurden bereits Massnahmen zur Verminderung von Flugreisen eingeführt: kleinere Delegationen, Ersatz von Flug- durch Bahnreisen, Videokonferenzen oder ein besseres Controlling der Reisetätigkeit. Die gesellschaftspolitisch relevante Frage dazu auch hier: gehört es zu den Aufgaben auch der KlimaschützerInnen, die nur für einen kleinen Anteil am Treibhausgasausstoss verantwortlich sind, hier neue Wege der Kommunikationstechnik zu begehen, statt sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren? Es ist durchaus davon auszugehen, dass ein internationaler Kongress, welcher in kontinentale Teilkongresse mit viel technischer Kommunikationsvernetzung aufgeteilt stattfindet, ebenfalls wieder ähnlich unqualifizierte KritikerInnen in den Medien finden würde. Das ist allerdings kein Argument, es nicht doch mal zu probieren.

P.S. „quotengrün“ verstehe ich hier nicht als Abwertung der Arbeit von Bastien Girod, die Personalisierung ökologischer Themen ist durchaus positiv zu werten. Ich beziehe mich dabei auf die Erwartung der Medienschaffenden, von Bastien Girod jederzeit ein publikationsfähiges Statement zu erwarten, statt eigene Denkarbeit leisten zu müssen.

Fazit: so, wie dies Tamedia in den beiden Artikeln macht, kann der Komplex „Klimaschutz und Flugreisen“ nicht abgehandelt werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Tamedia nach wie vor aktiv dazu beiträgt, die Normalität auch von kürzeren Flugreisen, in erster Linie im privaten Bereich, zu verankern. Klimaschutz ist und bleibt ein Thema, unabhängig davon, dass derzeit auch KlimaschutzaktivistInnen am Ausstoss von Treibhausgasen beteiligt sind. Vorbildwirkung von KlimaschutzaktivistInnen ist erwünscht, aber hie und da gar nicht möglich.


Der Vollständigkeit halber: ich sass vor 35 Jahren zum letzten Mal in einem Flugzeug.