Keine Gewalt

Die Gewalttätigkeiten des 13. November 2015 mit über 100 toten Menschen allein in Paris sind erschreckend und auch lähmend. Selbst dann, wenn diese gewalttätigen Ereignisse stellvertretend stehen für die alltägliche Gewalt. Die lautesten und pietätlosesten Schreier rufen nach mehr Kontrollen, mehr militärischen Einsätzen, weniger Demokratie, weniger Rechtsstaat. Die in Paris getöteten Menschen genossen Musik, wollten gemeinsam einen Sportanlass erleben, waren am gemeinsamen Essen. Tätigkeiten also, die nur ohne Gewalt möglich sind.

Die Analyse ist recht eindeutig: IS ist eine Folge des Eingreifens der Staatengemeinschaft unter Führung der USA in Irak.

Die damaligen Begründungen für dieses Eingreifen waren in wichtigen Bereichen falsch, waren Lügen. Als mit ein Argument für das Eingreifen wurde genannt, dass Irak kein demokratischer Rechtsstaat sei. Offen und ungeklärt ist die Frage, ob es je gelungen ist, mit Gewalt einen demokratischen Rechtsstaat herbeizuführen. Offensichtlich ist, dass das militärische Eingreifen in Irak zwar das Willkür-Regime von Saddam Hussein beseitigt hat. Es fehlte aber ein realistischer Plan, wie die Errichtung eines demokratischen Rechtsstaates angegangen werden könnte.

Die USA haben in Irak in direkter Folge der massiven Gewaltakte am 9. September 2001 in New York (9-11) den «Krieg gegen den Terrorismus» geführt, welcher aber zumindest auch ein «Krieg um die Bestimmungsmacht über den Erdölmarkt» war. Kluge Köpfe in den USA haben erkannt, dass weder der Krieg gegen den Terrorismus noch der Krieg um die Oel-Welthoheit zu gewinnen ist. Spätestens seit der ersten Amtszeit von Barack Obama sind die USA daran, ihre Rolle als «Weltpolizei» neu zu definieren. Der mittlere Osten (aus Sicht von Europa) bleibt nur darum im Fokus, weil ein Ringen stattfindet, wer in diesem Gebiet die Schirmherrschaft übernimmt, und es insbesondere für Europa undenkbar ist, dass diese Rolle von Russland oder von China wahrgenommen wird.

Speziell zu beachten: eine ganze Reihe von Staaten im mittleren Osten gelten als Rentierstaaten, weil sie in erster Linie von Renten aus der Nutzung von Ressourcen (von Erdölförderung bis zur Durchfahrt durch den Suezkanal) leben. Die Verfügung über diese Renten ist oberstes Machterhaltungsprinzip in dieser und anderen Weltgegenden. Es gibt ausreichende Untersuchungen, die belegen, dass die unmittelbaren Rentenprofiteure alles unternehmen, um diese Verfügungsgewalt zu erhalten, siehe etwa das Dokument von Michael Blume. Dazu gehört nach Blume auch die Förderung extremistischer Organisationen mit religiösem Hintergrund. Auch wenn aus offensichtlichen Gründen keine Transparenz besteht, ist davon auszugehen, dass die Öl-Renten-Profiteure im mittleren Osten im erheblichen Umfang zur IS-Finanzierung beitragen. Festzuhalten ist: spätestens mit dem militärischen Eingreifen im Irak hat die Weltgemeinschaft unter den USA zu erkennen gegeben, dass (militärische) Gewalt als generelle Vorgehensweise akzeptiert ist. Ob nun das Vorgehen von IS militärisch oder terroristisch ist, ist zwar von den Wirkungen her irrelevant, dürfte aber aus Sicht des mittleren Ostens und von Europa/USA anders eingeschätzt werden, mit nochmals anderer Wahrnehmung in Russland und China.

Die Gewalttätigkeiten des IS am 13. November 2015 erfolgten rund zweieinhalb Wochen vor dem Start der UN-Weltklimakonferenz COP 21 in Paris. Es ist aufgrund der bisherigen Meldungen aus der Staatenrunde davon auszugehen, dass Einigkeit darüber bestehen dürfte, dass ein grosser Teil der fossilen Energieressourcen im Boden bleiben sollte, um den Mensch gemachten Einfluss auf das Klima begrenzen zu können. Dies heisst aber auch, dass die zukünftige Erdöl-Renteneinnahmen der Rentier-Staaten erheblich von den Entscheiden der COP 21 abhängig sind. Offensichtlich ist aber auch, dass in den meisten Rentier-Staaten keine funktionierende Ökonomie neben der Rohölwirtschaft besteht. Klar ist zudem auch, dass ohne diese Rohöl-Renteneinnahmen der IS keine Finanzgrundlagen mehr hat. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass sowohl Ort wie Zeitpunkt dieser IS-Gewalttätigkeiten einen Zusammenhang mit COP 21 haben. Sowohl in Statements der französischen wieder US-Regierung wurde relativ schnell nach den IS-Gewalttätigkeiten in Paris festgehalten, dass COP 21 in Paris stattfinden werde.

Die Gewalt-Eskalations-Spirale ist im Kontext mittlerer Osten leider bereits sehr kräftig im Gange. Es bleibt die Hoffnung, dass es gelingt, aus dieser Spirale herauszukommen. Es ist und bleibt eine Herausforderung, dass dies trotz Wut, Trauer und Erschrecken mit rechtsstaatlichen Mitteln im demokratischen Rahmen möglich ist, im Wissen darum, dass der IS aus einer anderen gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen «Welt» kommt.

Gewalt darf so rasch als möglich kein Instrument der Konfliktregelung sein, auch wenn dies die Menschheit seit mindestens der Steinzeit prägt. Dies ging nicht etwa zur Ende, weil es keine Steine mehr gegeben hätte – sondern darum, weil sich die Menschen weiterentwickelt haben. Es wäre an der Zeit, auch bei gesellschaftlichen Konflikten die Steinzeitkeulen (auch wenn diese technologisch weiterentwickelt wurden) wegzulassen.