Des Kaisers neue Kleider: Pussy Riot und Julian Assange

Märchen stellen Lebensweisheiten in erzählender Form dar. „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen ist also nicht bloss ein Märchen, sondern Lebensweisheit – was sich exemplarisch an den „Fällen“ Pussy Riot und Julian Assange zeigt (welche unter diesem Gesichtspunkt als Fälle der „Kaiser“ Putin und USA, Grossbritannien, … zu bezeichnen sind).

Kaiser stelen das Symbol einer autokratischen Übermacht dar, mit dem Anspruch, dass sämtliche Handlungen und Entscheidungen kritiklos aufzunehmen und zu respektieren sind. Wegleitendes Prinzip des Kaisertums ist der Willküranspruch der machthabenden Person.

In vielen solchen absoluten Monarchien gab es mindestens ein korrigierendes Element: den Hofnarren. Einerseits wurden Hoffnarren als „närrisch“ bezeichnet (als Überbleibsel davon wird die Fasnacht als Narrenzeit bezeichnet), andererseits war diesen Hofnarren durch den Schutz der „Narrenfreiheit“ auch die Kritik an den absoluten Herrschern erlaubt. „Kinder und Narren sagen die Wahrheit“ – mit diesem Hintergrund sollen, wie es die HistorikerInnen berichten, einige Hofnarren zu wichtigen Ratgebern ihrer „Kaiser“ geworden sein. Wenn selbst in autokratischen, monarchischen Systemen Kritik an den Machthabenden angezeigt ist, gilt dies erst recht für Demokratien.

Russland unter dem Amts-Chamäleon Putin hat sich innerhalb von 5 Jahren von einem Hybrid- zu einem autoritären Regime entwickelt – dieses Land hat heute deutlich weniger demokratische Ansätze als noch vor Jahren. Diktatoren schätzen Kritik nicht, und sie „halten“ sich leider auch keine Hofnarren mehr. KünstlerInnen diverser Kunstrichtungen – Musik, Bildnerische, Literatur, …) übernehmen nicht nur in Demokratien sowohl die Rolle als „SängerInnen der Macht“ als auch der KritikerInnen der Macht. SatirikerInnen (als Beispiele aus der Schweiz etwa Viktor Giacobbo, Mike Müller, Lorenz Keiser, Andreas Thiel, Joachim Rittmeyer, …) sind die Verbal-Hofnarren der direkten Demokratie. Je ironischer, satirischer, durchaus auch zynisch diese SatirikerInnen auftreten können, ohne gerade vor ein Gericht gezerrt zu werden, desto ehrlicher geht es in einem Land zu!

Ob die Aktion der russischen Punk-Band Pussy Riot aus künstlerischer Sicht gefällt, steht definitiv nicht zur Debatte. Es handelt sich eindeutig um eine zu akzeptierende Ausdrucksform. Wer die Absenderinnen dieser Botschaften vor ein Gericht stellt, wer sie gar schuldig spricht, offenbart ein gestörtes Verhältnis zur Kritik, ist unfähig auch zur Selbstkritik. Damit wird autokratische Willkür zelebriert – en Beleg mehr für den diktatorischen Charakter von Russland.


Auch Demokratien respektive deren RepräsentantInnen neigen nach wie vor dazu, die ÜberbringerInnen schlechter Botschaften zu bestrafen; insbesondere die MandatsträgerInnen in nicht-direkten respektive repräsentativen Demokratien neigen ebenfalls zu autokratischem Gebahren (immerhin mit Abwahlmöglichkeit). Ein Element von Demokratien ist Transparenz im Bezug auf die Machtstrukturen und Entscheidungswege. Die gesamte Welt hat erlebt, dass insbesondere die USA den „Kampf“ gegen die von ihr erfundene Achse des Bösen in erster Linie mit Lügen geführt hat (und wahrscheinlich immer noch führt). Wichtige Rollen kommen dabei den in ihrem Wesen antidemokratischen Institutionen Geheimdienst und Armee zu. Die RepräsentantInnen dieser geheimniskrämerischen Demokratien sind darauf angewiesen, dass ihre Machenschaften möglichst lange, im Besten Fall auf alle Ewigkeit, geheim bleiben (siehe auch mein Beitrag Wikileaks fordert die Staaten heraus: Transparenz statt unsinnige Geheimnisse).

Dass etwa Kommissionsberatungen eines Parlaments geheim sind, ist durchaus zweckmässig – die Meinungsbildung erfordert nämlich durchaus auch Positionsbezüge, die neben der offiziellen Partei- oder Fraktionsmeinung liegen, weil Lösungen in der Regel mehr und nicht eindimensional sind. Auch an den Arbeitsplätzen ist – um das Denken und die Weiterentwicklung von Ideen zu fördern – eine Vertraulichkeit erforderlich. Ohne Wenn und Aber erfordern Angaben zu Privatpersonen, zum Teil auch von Firmen, und deren Aktivitäten, erhöhte Vertraulichkeit; darum sind sowohl Whistleblowing/Mobbing (siehe Blocher-Affäre um die Nationalbank) als auch Diebstähle von BankkundInnen-Daten unakzeptabel. Staatliches Handeln im Kontext des internationalen Austausches – und vor allem solche Beiträge hat Wikileaks veröffentlicht – gehören möglichst rasch an die Oeffentlichkeit.

Ganz klar: Was Pussy Riot für Russland, ist Julian Assange für die USA, für Grossbritannien, für Schweden – abhängig von der Willkür der Machthabenden und der in solchen Fällen politisch gesteuerten, nicht mehr unabhängigen Justiz! Pussy Riot und Julien Assange sind wie „Narren und Kinder“, entsprechen jenem Kind, dass die Nacktheit des willkürlichen Machthabers entdeckt und auch benennt. Am Umgang mit „Narren und Kindern“ lässt sich die Qualität einer Demokratie ebenso erkennen wie an einem wissenschaftlich erarbeiteten Demokratie-Index!

Ein Gedanke zu „Des Kaisers neue Kleider: Pussy Riot und Julian Assange“

  1. Kinder und Narren durchschauen vielleicht die Mächtigen und erkennen ihr lächerliches Gehabe aber sie übersehen auch oft den Nutzen, den das Gehabe hat und die tieferen Gedanken, die hinter oft böse anmutenden Handlungen stehen. Das nicht als Rechtfertigung verstehen aber nicht alle Kritiker tun durch ihre Kritik gutes, weil nicht alle Zuhörer Rolle von Realität unterscheiden können und oberflächlich bleiben.

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